Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Von der Neutralität.
der hierinn eine Ungleichheit beobachtet dadurch die Pflichten
der Unpartheylichkeit nicht verletzet, wenn nemlich diese un-
gleiche Behandlung schon in Friedenszeiten beobachtet wurde,
oder in allgemeinen, vor Ausbruch des Kriegs geschlossenen,
Verträgen ihren Grund hat.

Nur dann verletzt ein Staat die Neutralität wenn er
aus freyem Willen nach ausgebrochenem Kriege dem einen
Theile Durchmarsch und Werbungen gestattet und diese dem
andren verweigert, oder dem einen Theile kriegerische Zurü-
stungen, Anlegung oder Besetzung der Festungen u. s. f. in
seinem Gebiet gestattet, wovon nicht leicht gedenkbar ist, daß
er sie beyden Theilen zugleich erlauben wolle b).

a) Galliani B. I. Cap. VIII. §. 4. 5. 6. S. 313 u. f.
b) Selbst wenn ein Staat sich erböte beiden Theilen z. B. die Aus-
rüstung von Caper- oder Kriegsschiffen in seinen Häfen zu gestatten
würde bey der hier oft auffallenden Verschiedenheit des Interesse
dieses zu Beobachtung der Neutralität nicht hinreichen.
§. 306.
Rechte und Verbindlichkeiten der kriegführenden Mächte
in Hinsicht des neutralen Gebiets.

So lange ein neutraler Staat die Pflichten der Neu-
tralität nicht verletzet, hat der Regel nach der kriegführende
Theil kein Recht wider dessen Willen sein Land oder Seege-
biet zu berühren, viel weniger in selbigem wider seinen Feind,
dessen Unterthanen oder Güter Gewaltthätigkeiten anzufan-
gen oder fortzusetzen; er kann daher aus einem neutralen
Gebiet
keine feindliche Güter hinwegnehmen, ohne die
vollkommnen Pflichten zu verletzen, die er gegen den Staat
unter dessen Schutz sie stehn zu beobachten hat.

Erst dann wenn die Pflichten der Neutralität von die-
sem verletzet worden, hat der kriegführende Theil das Recht
wider den Willen des neutralen Staats mit bewaffneter
Macht in dessen Gebiet einzudringen, um den Feind zu
schwächen, zu verdrängen, und selbst um Genugthuung an

den
Y 5

Von der Neutralitaͤt.
der hierinn eine Ungleichheit beobachtet dadurch die Pflichten
der Unpartheylichkeit nicht verletzet, wenn nemlich dieſe un-
gleiche Behandlung ſchon in Friedenszeiten beobachtet wurde,
oder in allgemeinen, vor Ausbruch des Kriegs geſchloſſenen,
Vertraͤgen ihren Grund hat.

Nur dann verletzt ein Staat die Neutralitaͤt wenn er
aus freyem Willen nach ausgebrochenem Kriege dem einen
Theile Durchmarſch und Werbungen geſtattet und dieſe dem
andren verweigert, oder dem einen Theile kriegeriſche Zuruͤ-
ſtungen, Anlegung oder Beſetzung der Feſtungen u. ſ. f. in
ſeinem Gebiet geſtattet, wovon nicht leicht gedenkbar iſt, daß
er ſie beyden Theilen zugleich erlauben wolle b).

a) Galliani B. I. Cap. VIII. §. 4. 5. 6. S. 313 u. f.
b) Selbſt wenn ein Staat ſich erboͤte beiden Theilen z. B. die Aus-
ruͤſtung von Caper- oder Kriegsſchiffen in ſeinen Haͤfen zu geſtatten
wuͤrde bey der hier oft auffallenden Verſchiedenheit des Intereſſe
dieſes zu Beobachtung der Neutralitaͤt nicht hinreichen.
§. 306.
Rechte und Verbindlichkeiten der kriegfuͤhrenden Maͤchte
in Hinſicht des neutralen Gebiets.

So lange ein neutraler Staat die Pflichten der Neu-
tralitaͤt nicht verletzet, hat der Regel nach der kriegfuͤhrende
Theil kein Recht wider deſſen Willen ſein Land oder Seege-
biet zu beruͤhren, viel weniger in ſelbigem wider ſeinen Feind,
deſſen Unterthanen oder Guͤter Gewaltthaͤtigkeiten anzufan-
gen oder fortzuſetzen; er kann daher aus einem neutralen
Gebiet
keine feindliche Guͤter hinwegnehmen, ohne die
vollkommnen Pflichten zu verletzen, die er gegen den Staat
unter deſſen Schutz ſie ſtehn zu beobachten hat.

Erſt dann wenn die Pflichten der Neutralitaͤt von die-
ſem verletzet worden, hat der kriegfuͤhrende Theil das Recht
wider den Willen des neutralen Staats mit bewaffneter
Macht in deſſen Gebiet einzudringen, um den Feind zu
ſchwaͤchen, zu verdraͤngen, und ſelbſt um Genugthuung an

den
Y 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0373" n="345"/><fw place="top" type="header">Von der Neutralita&#x0364;t.</fw><lb/>
der hierinn eine Ungleichheit beobachtet dadurch die Pflichten<lb/>
der Unpartheylichkeit nicht verletzet, wenn nemlich die&#x017F;e un-<lb/>
gleiche Behandlung &#x017F;chon in Friedenszeiten beobachtet wurde,<lb/>
oder in allgemeinen, vor Ausbruch des Kriegs ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen,<lb/>
Vertra&#x0364;gen ihren Grund hat.</p><lb/>
            <p>Nur dann verletzt ein Staat die Neutralita&#x0364;t wenn er<lb/>
aus freyem Willen nach ausgebrochenem Kriege dem einen<lb/>
Theile Durchmar&#x017F;ch und Werbungen ge&#x017F;tattet und die&#x017F;e dem<lb/>
andren verweigert, oder dem einen Theile kriegeri&#x017F;che Zuru&#x0364;-<lb/>
&#x017F;tungen, Anlegung oder Be&#x017F;etzung der Fe&#x017F;tungen u. &#x017F;. f. in<lb/>
&#x017F;einem Gebiet ge&#x017F;tattet, wovon nicht leicht gedenkbar i&#x017F;t, daß<lb/>
er &#x017F;ie beyden Theilen zugleich erlauben wolle <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">b</hi></hi>).</p><lb/>
            <note place="end" n="a)"><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Galliani</hi></hi> B. <hi rendition="#aq">I.</hi> Cap. <hi rendition="#aq">VIII.</hi> §. 4. 5. 6. S. 313 u. f.</note><lb/>
            <note place="end" n="b)">Selb&#x017F;t wenn ein Staat &#x017F;ich erbo&#x0364;te beiden Theilen z. B. die Aus-<lb/>
ru&#x0364;&#x017F;tung von Caper- oder Kriegs&#x017F;chiffen in &#x017F;einen Ha&#x0364;fen zu ge&#x017F;tatten<lb/>
wu&#x0364;rde bey der hier oft auffallenden Ver&#x017F;chiedenheit des Intere&#x017F;&#x017F;e<lb/>
die&#x017F;es zu Beobachtung der Neutralita&#x0364;t nicht hinreichen.</note>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 306.<lb/><hi rendition="#fr">Rechte und Verbindlichkeiten der kriegfu&#x0364;hrenden Ma&#x0364;chte<lb/>
in Hin&#x017F;icht des neutralen Gebiets.</hi></head><lb/>
            <p>So lange ein neutraler Staat die Pflichten der Neu-<lb/>
tralita&#x0364;t nicht verletzet, hat der Regel nach der kriegfu&#x0364;hrende<lb/>
Theil kein Recht wider de&#x017F;&#x017F;en Willen &#x017F;ein Land oder Seege-<lb/>
biet zu beru&#x0364;hren, viel weniger in &#x017F;elbigem wider &#x017F;einen Feind,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Unterthanen oder Gu&#x0364;ter Gewalttha&#x0364;tigkeiten anzufan-<lb/>
gen oder fortzu&#x017F;etzen; er <hi rendition="#fr">kann daher aus einem neutralen<lb/>
Gebiet</hi> keine <hi rendition="#fr">feindliche Gu&#x0364;ter hinwegnehmen</hi>, ohne die<lb/>
vollkommnen Pflichten zu verletzen, die er gegen den Staat<lb/>
unter de&#x017F;&#x017F;en Schutz &#x017F;ie &#x017F;tehn zu beobachten hat.</p><lb/>
            <p>Er&#x017F;t dann wenn die Pflichten der Neutralita&#x0364;t von die-<lb/>
&#x017F;em verletzet worden, hat der kriegfu&#x0364;hrende Theil das Recht<lb/>
wider den Willen des neutralen Staats mit bewaffneter<lb/>
Macht in de&#x017F;&#x017F;en Gebiet einzudringen, um den Feind zu<lb/>
&#x017F;chwa&#x0364;chen, zu verdra&#x0364;ngen, und &#x017F;elb&#x017F;t um Genugthuung an<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Y 5</fw><fw place="bottom" type="catch">den</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[345/0373] Von der Neutralitaͤt. der hierinn eine Ungleichheit beobachtet dadurch die Pflichten der Unpartheylichkeit nicht verletzet, wenn nemlich dieſe un- gleiche Behandlung ſchon in Friedenszeiten beobachtet wurde, oder in allgemeinen, vor Ausbruch des Kriegs geſchloſſenen, Vertraͤgen ihren Grund hat. Nur dann verletzt ein Staat die Neutralitaͤt wenn er aus freyem Willen nach ausgebrochenem Kriege dem einen Theile Durchmarſch und Werbungen geſtattet und dieſe dem andren verweigert, oder dem einen Theile kriegeriſche Zuruͤ- ſtungen, Anlegung oder Beſetzung der Feſtungen u. ſ. f. in ſeinem Gebiet geſtattet, wovon nicht leicht gedenkbar iſt, daß er ſie beyden Theilen zugleich erlauben wolle b). a⁾ Galliani B. I. Cap. VIII. §. 4. 5. 6. S. 313 u. f. b⁾ Selbſt wenn ein Staat ſich erboͤte beiden Theilen z. B. die Aus- ruͤſtung von Caper- oder Kriegsſchiffen in ſeinen Haͤfen zu geſtatten wuͤrde bey der hier oft auffallenden Verſchiedenheit des Intereſſe dieſes zu Beobachtung der Neutralitaͤt nicht hinreichen. §. 306. Rechte und Verbindlichkeiten der kriegfuͤhrenden Maͤchte in Hinſicht des neutralen Gebiets. So lange ein neutraler Staat die Pflichten der Neu- tralitaͤt nicht verletzet, hat der Regel nach der kriegfuͤhrende Theil kein Recht wider deſſen Willen ſein Land oder Seege- biet zu beruͤhren, viel weniger in ſelbigem wider ſeinen Feind, deſſen Unterthanen oder Guͤter Gewaltthaͤtigkeiten anzufan- gen oder fortzuſetzen; er kann daher aus einem neutralen Gebiet keine feindliche Guͤter hinwegnehmen, ohne die vollkommnen Pflichten zu verletzen, die er gegen den Staat unter deſſen Schutz ſie ſtehn zu beobachten hat. Erſt dann wenn die Pflichten der Neutralitaͤt von die- ſem verletzet worden, hat der kriegfuͤhrende Theil das Recht wider den Willen des neutralen Staats mit bewaffneter Macht in deſſen Gebiet einzudringen, um den Feind zu ſchwaͤchen, zu verdraͤngen, und ſelbſt um Genugthuung an den Y 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/373
Zitationshilfe: Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/373>, abgerufen am 05.12.2024.