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Martin, Marie: Soll die christliche Frau studieren? In: Martin, Marie et al.: Soll die christliche Frau studieren? Die Hausindustrie der Frauen in Berlin. Der neue Gewerkverein der Heimarbeiterinnen für Kleider- und Wäschekonfektion. Berlin, 1901 (= Hefte der Freien Kirchlich-Sozialen Konferenz, Bd. 17). S. 3–21.

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heit entwickelt, so wenig braucht man das Mannweib zu
fürchten, wenn dem weiblichen Geist dieselben Stoffe ge-
boten werden, als dem männlichen. Das wird erst Mannig-
faltigkeit in der Einheit geben, wenn Männer und Frauen
wetteifern, ihrer Art entsprechend die Probleme zu erfassen.

3. Viele Gegner, obwohl sie Diakonissen, Pflegerinnen,
Hebammen ruhig mit Männern lernen und arbeiten lassen,
fürchten beim Studium so sehr eine Schädigung der
weiblichen Schamhaftigkeit und Reinheit
.
Allerdings, errötender, nichts zu wissen scheinender Back-
fisch kann keine Studentin bleiben. Sie muß manches sehen,
hören und sprechen, das nicht für "höhere Töchter" berech-
net ist. Wir müssen diese Art Unschuld zu ersetzen suchen
durch eine Herzensreinheit, die sich bewußt von allem
Unreinen abwendet. Zudem hat die Studentin einen mäch-
tigen Schutz an der objektiv sachlichen, eben wissenschaft-
lichen Art des Arbeitens und in der gesellschaftlichen Stel-
lung der Dame, die das Benehmen der Männer ihr gegen-
über regelt. Sind die Männer rein, mit denen sie
arbeitet, so wird kein peinliches Gefühl aufkommen bei ihr.
Sind die das nicht - ja dann liegt das Böse nicht im Stu-
dium, sondern in etwas, das der Frau das Leben in den
geistig einfachsten Verhältnissen vergiften kann.

4. Eine Sorge der Gegner ist allerdings nicht ganz
grundlos: das Frauenstudium werde die Ehe-
losigkeit fördern
. Neben wirtschaftlichen Schwierig-
keiten, neben der egoistischen Genußsucht vieler Männer wird
auch das manche Eheschließung hindern, daß die Frau
nicht nach Versorgung und Lebensinhalt zu suchen braucht,
und daß der Vergnügungstrubel die Liebelei nicht mehr so
begünstigt. Der Mann, er mag gelebt und genossen haben,
wie er will, wird nicht mehr so vielen Müttern als fetter
Brocken, so viel verträumten Töchtern als selige Erfüllung
der Lebenshoffnung erscheinen. Wer das bedauert, muß ent-
schieden ein Feind aller ernsten Frauenarbeit bleiben. Den
meisten wird hoffentlich ein Ersatz sein, daß nun mehr
Männer und Mädchen sich bei ernster Arbeit gründlich
kennen lernen vor der Ehe. Und auf die Liebe dürfen wir
ohne Blasphemie das Wort anwenden: sie höret nimmer
auf!


heit entwickelt, so wenig braucht man das Mannweib zu
fürchten, wenn dem weiblichen Geist dieselben Stoffe ge-
boten werden, als dem männlichen. Das wird erst Mannig-
faltigkeit in der Einheit geben, wenn Männer und Frauen
wetteifern, ihrer Art entsprechend die Probleme zu erfassen.

3. Viele Gegner, obwohl sie Diakonissen, Pflegerinnen,
Hebammen ruhig mit Männern lernen und arbeiten lassen,
fürchten beim Studium so sehr eine Schädigung der
weiblichen Schamhaftigkeit und Reinheit
.
Allerdings, errötender, nichts zu wissen scheinender Back-
fisch kann keine Studentin bleiben. Sie muß manches sehen,
hören und sprechen, das nicht für „höhere Töchter“ berech-
net ist. Wir müssen diese Art Unschuld zu ersetzen suchen
durch eine Herzensreinheit, die sich bewußt von allem
Unreinen abwendet. Zudem hat die Studentin einen mäch-
tigen Schutz an der objektiv sachlichen, eben wissenschaft-
lichen Art des Arbeitens und in der gesellschaftlichen Stel-
lung der Dame, die das Benehmen der Männer ihr gegen-
über regelt. Sind die Männer rein, mit denen sie
arbeitet, so wird kein peinliches Gefühl aufkommen bei ihr.
Sind die das nicht – ja dann liegt das Böse nicht im Stu-
dium, sondern in etwas, das der Frau das Leben in den
geistig einfachsten Verhältnissen vergiften kann.

4. Eine Sorge der Gegner ist allerdings nicht ganz
grundlos: das Frauenstudium werde die Ehe-
losigkeit fördern
. Neben wirtschaftlichen Schwierig-
keiten, neben der egoistischen Genußsucht vieler Männer wird
auch das manche Eheschließung hindern, daß die Frau
nicht nach Versorgung und Lebensinhalt zu suchen braucht,
und daß der Vergnügungstrubel die Liebelei nicht mehr so
begünstigt. Der Mann, er mag gelebt und genossen haben,
wie er will, wird nicht mehr so vielen Müttern als fetter
Brocken, so viel verträumten Töchtern als selige Erfüllung
der Lebenshoffnung erscheinen. Wer das bedauert, muß ent-
schieden ein Feind aller ernsten Frauenarbeit bleiben. Den
meisten wird hoffentlich ein Ersatz sein, daß nun mehr
Männer und Mädchen sich bei ernster Arbeit gründlich
kennen lernen vor der Ehe. Und auf die Liebe dürfen wir
ohne Blasphemie das Wort anwenden: sie höret nimmer
auf!


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[14/0014] heit entwickelt, so wenig braucht man das Mannweib zu fürchten, wenn dem weiblichen Geist dieselben Stoffe ge- boten werden, als dem männlichen. Das wird erst Mannig- faltigkeit in der Einheit geben, wenn Männer und Frauen wetteifern, ihrer Art entsprechend die Probleme zu erfassen. 3. Viele Gegner, obwohl sie Diakonissen, Pflegerinnen, Hebammen ruhig mit Männern lernen und arbeiten lassen, fürchten beim Studium so sehr eine Schädigung der weiblichen Schamhaftigkeit und Reinheit. Allerdings, errötender, nichts zu wissen scheinender Back- fisch kann keine Studentin bleiben. Sie muß manches sehen, hören und sprechen, das nicht für „höhere Töchter“ berech- net ist. Wir müssen diese Art Unschuld zu ersetzen suchen durch eine Herzensreinheit, die sich bewußt von allem Unreinen abwendet. Zudem hat die Studentin einen mäch- tigen Schutz an der objektiv sachlichen, eben wissenschaft- lichen Art des Arbeitens und in der gesellschaftlichen Stel- lung der Dame, die das Benehmen der Männer ihr gegen- über regelt. Sind die Männer rein, mit denen sie arbeitet, so wird kein peinliches Gefühl aufkommen bei ihr. Sind die das nicht – ja dann liegt das Böse nicht im Stu- dium, sondern in etwas, das der Frau das Leben in den geistig einfachsten Verhältnissen vergiften kann. 4. Eine Sorge der Gegner ist allerdings nicht ganz grundlos: das Frauenstudium werde die Ehe- losigkeit fördern. Neben wirtschaftlichen Schwierig- keiten, neben der egoistischen Genußsucht vieler Männer wird auch das manche Eheschließung hindern, daß die Frau nicht nach Versorgung und Lebensinhalt zu suchen braucht, und daß der Vergnügungstrubel die Liebelei nicht mehr so begünstigt. Der Mann, er mag gelebt und genossen haben, wie er will, wird nicht mehr so vielen Müttern als fetter Brocken, so viel verträumten Töchtern als selige Erfüllung der Lebenshoffnung erscheinen. Wer das bedauert, muß ent- schieden ein Feind aller ernsten Frauenarbeit bleiben. Den meisten wird hoffentlich ein Ersatz sein, daß nun mehr Männer und Mädchen sich bei ernster Arbeit gründlich kennen lernen vor der Ehe. Und auf die Liebe dürfen wir ohne Blasphemie das Wort anwenden: sie höret nimmer auf!

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Zitationshilfe: Martin, Marie: Soll die christliche Frau studieren? In: Martin, Marie et al.: Soll die christliche Frau studieren? Die Hausindustrie der Frauen in Berlin. Der neue Gewerkverein der Heimarbeiterinnen für Kleider- und Wäschekonfektion. Berlin, 1901 (= Hefte der Freien Kirchlich-Sozialen Konferenz, Bd. 17). S. 3–21, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martin_frau_1901/14>, abgerufen am 23.11.2024.