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Martin, Marie: Soll die christliche Frau studieren? In: Martin, Marie et al.: Soll die christliche Frau studieren? Die Hausindustrie der Frauen in Berlin. Der neue Gewerkverein der Heimarbeiterinnen für Kleider- und Wäschekonfektion. Berlin, 1901 (= Hefte der Freien Kirchlich-Sozialen Konferenz, Bd. 17). S. 3–21.

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Studium soll den Geist und damit den Charakter stärken,
bereichern und verfeinern, damit der Mensch für die Pflicht
tüchtig werde. Genies kann und will man nicht züchten.

2. Ja, so heißt es weiter, den Geist soll es stählen
und schärfen, darunter muß notwendig das Gemüts-
leben des Weibes, bisher seine Stärke und
größter Reiz, verkümmern
. Mit wenig Worten
wird solcher Mißbrauch getrieben, als mit "der weiblichen
Gemütsbildung". Da eben, wo Begriffe fehlen, stellt oft
ein Wort zur rechten Zeit sich ein. Könnte diese Perle nur
reifen im Dämmerlicht des Geistes, dann erklärte ich sie
getrost für wertlos. Ein feiner gestimmtes, sensitives Jnnen-
leben, intuitive Anpassung, Vorherrschen der Gefühls-
momente sind dem Frauengemüt eigen und sollen es, so
Gott will, bleiben. Aber Gemüt und Geist stehen im Men-
schen nicht nebeneinander wie zwei zu dicht gesäete Salatköpfe
auf dem Gartenbeet, wo der eine sich nur auf Kosten des
andern ausbreiten kann. Hat die Frau nur das Herz auf
dem rechten Fleck, und ist sie nicht angekränkelt durch
hysterische Maßlosigkeiten, dann wird sie um so hingeben- der ihre Welt umfassen, je reicher und klarer diese sich
vor ihrem Geist ausbreitet. Greift doch das Spiel der
Kräfte sonst in der Welt harmonisch ineinander, und das
Wachsen der einen Kraft führt mit zur Stärkung der an-
deren.

Anderen scheinen nicht die geistigen Kraftübungen des
Studiums, wohl aber die Stoffe, an denen sie vollzogen
werden, für das Frauengemüt gefährlich. Aber daß in dem
Vorherrschen der modernen Sprachen, in der Wahl der
Gedichte und den Lebensbildern edler Fürstinnen, mit denen
man wohl die Mädchen extra füttert, so viel mehr gemüts-
bildender Wert liegen soll, als in den Waffen, mit denen
man Knaben und junge Männer gesinnungstüchtig machen
will, geht über mein Verständnis. Es können sich nur solche
Kräfte entwickeln, die schon im Menschen schlummern. So
gut sich die geheimnisvolle Entscheidung, ob ein Mensch
Mann oder Weib werden soll, der menschlichen Berechnung
entzieht, so gewiß die Natur durch gleiche leibliche Nahrung
im Knaben stürmische Kraft, im Mädchen schüchterne Weich-

Studium soll den Geist und damit den Charakter stärken,
bereichern und verfeinern, damit der Mensch für die Pflicht
tüchtig werde. Genies kann und will man nicht züchten.

2. Ja, so heißt es weiter, den Geist soll es stählen
und schärfen, darunter muß notwendig das Gemüts-
leben des Weibes, bisher seine Stärke und
größter Reiz, verkümmern
. Mit wenig Worten
wird solcher Mißbrauch getrieben, als mit „der weiblichen
Gemütsbildung“. Da eben, wo Begriffe fehlen, stellt oft
ein Wort zur rechten Zeit sich ein. Könnte diese Perle nur
reifen im Dämmerlicht des Geistes, dann erklärte ich sie
getrost für wertlos. Ein feiner gestimmtes, sensitives Jnnen-
leben, intuitive Anpassung, Vorherrschen der Gefühls-
momente sind dem Frauengemüt eigen und sollen es, so
Gott will, bleiben. Aber Gemüt und Geist stehen im Men-
schen nicht nebeneinander wie zwei zu dicht gesäete Salatköpfe
auf dem Gartenbeet, wo der eine sich nur auf Kosten des
andern ausbreiten kann. Hat die Frau nur das Herz auf
dem rechten Fleck, und ist sie nicht angekränkelt durch
hysterische Maßlosigkeiten, dann wird sie um so hingeben- der ihre Welt umfassen, je reicher und klarer diese sich
vor ihrem Geist ausbreitet. Greift doch das Spiel der
Kräfte sonst in der Welt harmonisch ineinander, und das
Wachsen der einen Kraft führt mit zur Stärkung der an-
deren.

Anderen scheinen nicht die geistigen Kraftübungen des
Studiums, wohl aber die Stoffe, an denen sie vollzogen
werden, für das Frauengemüt gefährlich. Aber daß in dem
Vorherrschen der modernen Sprachen, in der Wahl der
Gedichte und den Lebensbildern edler Fürstinnen, mit denen
man wohl die Mädchen extra füttert, so viel mehr gemüts-
bildender Wert liegen soll, als in den Waffen, mit denen
man Knaben und junge Männer gesinnungstüchtig machen
will, geht über mein Verständnis. Es können sich nur solche
Kräfte entwickeln, die schon im Menschen schlummern. So
gut sich die geheimnisvolle Entscheidung, ob ein Mensch
Mann oder Weib werden soll, der menschlichen Berechnung
entzieht, so gewiß die Natur durch gleiche leibliche Nahrung
im Knaben stürmische Kraft, im Mädchen schüchterne Weich-

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[13/0013] Studium soll den Geist und damit den Charakter stärken, bereichern und verfeinern, damit der Mensch für die Pflicht tüchtig werde. Genies kann und will man nicht züchten. 2. Ja, so heißt es weiter, den Geist soll es stählen und schärfen, darunter muß notwendig das Gemüts- leben des Weibes, bisher seine Stärke und größter Reiz, verkümmern. Mit wenig Worten wird solcher Mißbrauch getrieben, als mit „der weiblichen Gemütsbildung“. Da eben, wo Begriffe fehlen, stellt oft ein Wort zur rechten Zeit sich ein. Könnte diese Perle nur reifen im Dämmerlicht des Geistes, dann erklärte ich sie getrost für wertlos. Ein feiner gestimmtes, sensitives Jnnen- leben, intuitive Anpassung, Vorherrschen der Gefühls- momente sind dem Frauengemüt eigen und sollen es, so Gott will, bleiben. Aber Gemüt und Geist stehen im Men- schen nicht nebeneinander wie zwei zu dicht gesäete Salatköpfe auf dem Gartenbeet, wo der eine sich nur auf Kosten des andern ausbreiten kann. Hat die Frau nur das Herz auf dem rechten Fleck, und ist sie nicht angekränkelt durch hysterische Maßlosigkeiten, dann wird sie um so hingeben- der ihre Welt umfassen, je reicher und klarer diese sich vor ihrem Geist ausbreitet. Greift doch das Spiel der Kräfte sonst in der Welt harmonisch ineinander, und das Wachsen der einen Kraft führt mit zur Stärkung der an- deren. Anderen scheinen nicht die geistigen Kraftübungen des Studiums, wohl aber die Stoffe, an denen sie vollzogen werden, für das Frauengemüt gefährlich. Aber daß in dem Vorherrschen der modernen Sprachen, in der Wahl der Gedichte und den Lebensbildern edler Fürstinnen, mit denen man wohl die Mädchen extra füttert, so viel mehr gemüts- bildender Wert liegen soll, als in den Waffen, mit denen man Knaben und junge Männer gesinnungstüchtig machen will, geht über mein Verständnis. Es können sich nur solche Kräfte entwickeln, die schon im Menschen schlummern. So gut sich die geheimnisvolle Entscheidung, ob ein Mensch Mann oder Weib werden soll, der menschlichen Berechnung entzieht, so gewiß die Natur durch gleiche leibliche Nahrung im Knaben stürmische Kraft, im Mädchen schüchterne Weich-

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Zitationshilfe: Martin, Marie: Soll die christliche Frau studieren? In: Martin, Marie et al.: Soll die christliche Frau studieren? Die Hausindustrie der Frauen in Berlin. Der neue Gewerkverein der Heimarbeiterinnen für Kleider- und Wäschekonfektion. Berlin, 1901 (= Hefte der Freien Kirchlich-Sozialen Konferenz, Bd. 17). S. 3–21, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martin_frau_1901/13>, abgerufen am 23.11.2024.