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Martin, Marie: Wahre Frauenbildung. Tübingen 1905.

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gleichbar. Ernste Frauen von sicherm Wertgefühl werden
solche hohle trügerische Formen gern vermissen, wenn ihnen
dafür die wahre Achtung des sittlich reifen Mannes bleibt.

Wie mag es nur kommen, daß es dem Mann so ganz
unendlich schwer fällt, klar denkend sein Verhältnis zum
Weibe zu fassen? Immer wird ihn da in stärkster Weise sein
triebmäßiges Fühlen bestimmen, und der ruhige Intellekt
wird ihn im Stiche lassen. Keine auf Gleichheit beruhende
Konkurrenz wird so erregt und zornig bekämpft als die Kon-
kurrenz der Frau; keine Fehler werden so milde lächelnd ver-
ziehen als die weiblichen Fehler, die dem männlichen Wesen
entgegenkommen ; keine weiblichen Fehler werden so schonungs-
los verdammt als die weiblichen Fehler, die den Trieben des
Mannes entgegenstehen. Es ist das unwiderleglichste Zeugnis
für das Ergänzungsbedürfnis der Geschlechter, noch erkennbar
in dieser Entartung, daß der Mann nicht nur mit solcher
Leidenschaft den Kampf gegen die Ungleichung der Frauenart
an männliche Lebensformen bekämpft, sondern oft die koket-
testen, oberflächlichsten Frauenkapricen oder das ödeste Frauen-
philistertum der sog. guten Hausfrau leichter und lieber er-
trägt als ebenbürtige ernste Frauenbildung.

2. Damit kommen wir zum zweiten Grund der Feind-
schaft gegen vollwertige Frauenbildung, zu der Furcht vor An-
gleichung ihres Wesens an Männerart. Zum Teil beruht sie
auf der oben besprochenen einseitigen Entwickelung der höhe-
ren Bildung zum Berechtigungsmittel, zum Teil auf einer fal-
schen Auffassung der Gefahr. Besteht der erste Grund in ei-
nem egoistischen Kraftübergriff des Mannes in die Menschen-
rechte der Frau, der sittlich überwunden werden muß, so
ist der zweite dadurch noch verhängnisvoller, daß er in der
höchsten Sittlichkeit unsrer besten und feinsinnigsten
Freunde seine Wurzeln hat. Die ritterlichsten Männer, die
beglücktesten Gatten, die dankbarsten Söhne meinen, sie müßten
sich unsrer für uns und die Welt verhängnisvollen Lust nach

gleichbar. Ernste Frauen von sicherm Wertgefühl werden
solche hohle trügerische Formen gern vermissen, wenn ihnen
dafür die wahre Achtung des sittlich reifen Mannes bleibt.

Wie mag es nur kommen, daß es dem Mann so ganz
unendlich schwer fällt, klar denkend sein Verhältnis zum
Weibe zu fassen? Immer wird ihn da in stärkster Weise sein
triebmäßiges Fühlen bestimmen, und der ruhige Intellekt
wird ihn im Stiche lassen. Keine auf Gleichheit beruhende
Konkurrenz wird so erregt und zornig bekämpft als die Kon-
kurrenz der Frau; keine Fehler werden so milde lächelnd ver-
ziehen als die weiblichen Fehler, die dem männlichen Wesen
entgegenkommen ; keine weiblichen Fehler werden so schonungs-
los verdammt als die weiblichen Fehler, die den Trieben des
Mannes entgegenstehen. Es ist das unwiderleglichste Zeugnis
für das Ergänzungsbedürfnis der Geschlechter, noch erkennbar
in dieser Entartung, daß der Mann nicht nur mit solcher
Leidenschaft den Kampf gegen die Ungleichung der Frauenart
an männliche Lebensformen bekämpft, sondern oft die koket-
testen, oberflächlichsten Frauenkapricen oder das ödeste Frauen-
philistertum der sog. guten Hausfrau leichter und lieber er-
trägt als ebenbürtige ernste Frauenbildung.

2. Damit kommen wir zum zweiten Grund der Feind-
schaft gegen vollwertige Frauenbildung, zu der Furcht vor An-
gleichung ihres Wesens an Männerart. Zum Teil beruht sie
auf der oben besprochenen einseitigen Entwickelung der höhe-
ren Bildung zum Berechtigungsmittel, zum Teil auf einer fal-
schen Auffassung der Gefahr. Besteht der erste Grund in ei-
nem egoistischen Kraftübergriff des Mannes in die Menschen-
rechte der Frau, der sittlich überwunden werden muß, so
ist der zweite dadurch noch verhängnisvoller, daß er in der
höchsten Sittlichkeit unsrer besten und feinsinnigsten
Freunde seine Wurzeln hat. Die ritterlichsten Männer, die
beglücktesten Gatten, die dankbarsten Söhne meinen, sie müßten
sich unsrer für uns und die Welt verhängnisvollen Lust nach

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[18/0021] gleichbar. Ernste Frauen von sicherm Wertgefühl werden solche hohle trügerische Formen gern vermissen, wenn ihnen dafür die wahre Achtung des sittlich reifen Mannes bleibt. Wie mag es nur kommen, daß es dem Mann so ganz unendlich schwer fällt, klar denkend sein Verhältnis zum Weibe zu fassen? Immer wird ihn da in stärkster Weise sein triebmäßiges Fühlen bestimmen, und der ruhige Intellekt wird ihn im Stiche lassen. Keine auf Gleichheit beruhende Konkurrenz wird so erregt und zornig bekämpft als die Kon- kurrenz der Frau; keine Fehler werden so milde lächelnd ver- ziehen als die weiblichen Fehler, die dem männlichen Wesen entgegenkommen ; keine weiblichen Fehler werden so schonungs- los verdammt als die weiblichen Fehler, die den Trieben des Mannes entgegenstehen. Es ist das unwiderleglichste Zeugnis für das Ergänzungsbedürfnis der Geschlechter, noch erkennbar in dieser Entartung, daß der Mann nicht nur mit solcher Leidenschaft den Kampf gegen die Ungleichung der Frauenart an männliche Lebensformen bekämpft, sondern oft die koket- testen, oberflächlichsten Frauenkapricen oder das ödeste Frauen- philistertum der sog. guten Hausfrau leichter und lieber er- trägt als ebenbürtige ernste Frauenbildung. 2. Damit kommen wir zum zweiten Grund der Feind- schaft gegen vollwertige Frauenbildung, zu der Furcht vor An- gleichung ihres Wesens an Männerart. Zum Teil beruht sie auf der oben besprochenen einseitigen Entwickelung der höhe- ren Bildung zum Berechtigungsmittel, zum Teil auf einer fal- schen Auffassung der Gefahr. Besteht der erste Grund in ei- nem egoistischen Kraftübergriff des Mannes in die Menschen- rechte der Frau, der sittlich überwunden werden muß, so ist der zweite dadurch noch verhängnisvoller, daß er in der höchsten Sittlichkeit unsrer besten und feinsinnigsten Freunde seine Wurzeln hat. Die ritterlichsten Männer, die beglücktesten Gatten, die dankbarsten Söhne meinen, sie müßten sich unsrer für uns und die Welt verhängnisvollen Lust nach

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Zitationshilfe: Martin, Marie: Wahre Frauenbildung. Tübingen 1905, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martin_frauenbildung_1905/21>, abgerufen am 28.03.2024.