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Martin, Marie: Wahre Frauenbildung. Tübingen 1905.

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natur, statt zu Veredelung und Vertiefung der Natur führt:
eine solche Bildung können wir Frauen nicht brauchen. Die
würde unsre besten weiblichen Kräfte vernichten. So ist des
Pudels Kern, daß eine einseitig intellektuelle Bildung, die die
Seele trocken läßt und den Willen nicht keimen und quellen
macht, das Weib noch viel mehr von seiner Art ablocken kann
in die Irre eines einseitigen, also verkümmerten Fachinteres-
senkreises und widerlicher geistiger Eitelkeit als den Mann,
und daß diese Abirrung von der natürlichen Entwickelung
beim Weibe viel verhängnisvoller wirkt. Mit aller Kraft
muß das weibliche Geschlecht geschützt werden vor einem trocke-
nen, formalen Intellektualismus und einem öden Fachphi-
listertum, die auch so viele Männerseelen arm machen. Darum
fällt ja selbst das bischen Wissen, das den Mädchen in ihren
Schulen frei gegeben wurde, im Leben so bald wieder tot von
ihnen ab, denn es sind Rudimente einer einseitig intellektuellen
Berechtigungsbildung, auf die praktischen Interessen der
Männerwelt zugeschnitten. Daneben quellen und versickern
ungebraucht die frischen Kräfte der Mädchen, deren Seelen
nach höhern Erkenntnissen, stärkerer Betätigung verlangen,
bis sie, durch die fremden, unassimilierbaren Bildungsformen
zerrieben, an den Hunger gewöhnt, vom Nichtstun geschwächt,
sich einrichten in ihrer kleinlichen, unklaren, lediglich von lo-
dernden Gefühlen und undisziplinierten Trieben beherrschten
Welt. Dann sind sie geknetet und zugerichtet, gefügige, weil
bewußtlose Werkzeuge jeden Vorurteils und jeder Oberfläch-
lichkeit, Eitelkeit und ödesten Philistertums zu werden und
nur aufzumucken, wenn in diese ihre Triebwelt ein unge-
wohnter Lichtstrahl fällt, der die süße, freundliche Gewohnheit
des hindämmernden Daseins unterbricht.

Den Segen der steigenden höheren Bildung hat man ängst-
lich den Frauen vorenthalten; von ihrem Fluch als höhere
Halbbildung kann uns niemand befreien. Stets hat uns der
Schatten höherer Kultur genarrt. Es ist nicht ihr Fehlen an

natur, statt zu Veredelung und Vertiefung der Natur führt:
eine solche Bildung können wir Frauen nicht brauchen. Die
würde unsre besten weiblichen Kräfte vernichten. So ist des
Pudels Kern, daß eine einseitig intellektuelle Bildung, die die
Seele trocken läßt und den Willen nicht keimen und quellen
macht, das Weib noch viel mehr von seiner Art ablocken kann
in die Irre eines einseitigen, also verkümmerten Fachinteres-
senkreises und widerlicher geistiger Eitelkeit als den Mann,
und daß diese Abirrung von der natürlichen Entwickelung
beim Weibe viel verhängnisvoller wirkt. Mit aller Kraft
muß das weibliche Geschlecht geschützt werden vor einem trocke-
nen, formalen Intellektualismus und einem öden Fachphi-
listertum, die auch so viele Männerseelen arm machen. Darum
fällt ja selbst das bischen Wissen, das den Mädchen in ihren
Schulen frei gegeben wurde, im Leben so bald wieder tot von
ihnen ab, denn es sind Rudimente einer einseitig intellektuellen
Berechtigungsbildung, auf die praktischen Interessen der
Männerwelt zugeschnitten. Daneben quellen und versickern
ungebraucht die frischen Kräfte der Mädchen, deren Seelen
nach höhern Erkenntnissen, stärkerer Betätigung verlangen,
bis sie, durch die fremden, unassimilierbaren Bildungsformen
zerrieben, an den Hunger gewöhnt, vom Nichtstun geschwächt,
sich einrichten in ihrer kleinlichen, unklaren, lediglich von lo-
dernden Gefühlen und undisziplinierten Trieben beherrschten
Welt. Dann sind sie geknetet und zugerichtet, gefügige, weil
bewußtlose Werkzeuge jeden Vorurteils und jeder Oberfläch-
lichkeit, Eitelkeit und ödesten Philistertums zu werden und
nur aufzumucken, wenn in diese ihre Triebwelt ein unge-
wohnter Lichtstrahl fällt, der die süße, freundliche Gewohnheit
des hindämmernden Daseins unterbricht.

Den Segen der steigenden höheren Bildung hat man ängst-
lich den Frauen vorenthalten; von ihrem Fluch als höhere
Halbbildung kann uns niemand befreien. Stets hat uns der
Schatten höherer Kultur genarrt. Es ist nicht ihr Fehlen an

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[24/0027] natur, statt zu Veredelung und Vertiefung der Natur führt: eine solche Bildung können wir Frauen nicht brauchen. Die würde unsre besten weiblichen Kräfte vernichten. So ist des Pudels Kern, daß eine einseitig intellektuelle Bildung, die die Seele trocken läßt und den Willen nicht keimen und quellen macht, das Weib noch viel mehr von seiner Art ablocken kann in die Irre eines einseitigen, also verkümmerten Fachinteres- senkreises und widerlicher geistiger Eitelkeit als den Mann, und daß diese Abirrung von der natürlichen Entwickelung beim Weibe viel verhängnisvoller wirkt. Mit aller Kraft muß das weibliche Geschlecht geschützt werden vor einem trocke- nen, formalen Intellektualismus und einem öden Fachphi- listertum, die auch so viele Männerseelen arm machen. Darum fällt ja selbst das bischen Wissen, das den Mädchen in ihren Schulen frei gegeben wurde, im Leben so bald wieder tot von ihnen ab, denn es sind Rudimente einer einseitig intellektuellen Berechtigungsbildung, auf die praktischen Interessen der Männerwelt zugeschnitten. Daneben quellen und versickern ungebraucht die frischen Kräfte der Mädchen, deren Seelen nach höhern Erkenntnissen, stärkerer Betätigung verlangen, bis sie, durch die fremden, unassimilierbaren Bildungsformen zerrieben, an den Hunger gewöhnt, vom Nichtstun geschwächt, sich einrichten in ihrer kleinlichen, unklaren, lediglich von lo- dernden Gefühlen und undisziplinierten Trieben beherrschten Welt. Dann sind sie geknetet und zugerichtet, gefügige, weil bewußtlose Werkzeuge jeden Vorurteils und jeder Oberfläch- lichkeit, Eitelkeit und ödesten Philistertums zu werden und nur aufzumucken, wenn in diese ihre Triebwelt ein unge- wohnter Lichtstrahl fällt, der die süße, freundliche Gewohnheit des hindämmernden Daseins unterbricht. Den Segen der steigenden höheren Bildung hat man ängst- lich den Frauen vorenthalten; von ihrem Fluch als höhere Halbbildung kann uns niemand befreien. Stets hat uns der Schatten höherer Kultur genarrt. Es ist nicht ihr Fehlen an

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Zitationshilfe: Martin, Marie: Wahre Frauenbildung. Tübingen 1905, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martin_frauenbildung_1905/27>, abgerufen am 25.04.2024.