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Martin, Marie: Wahre Frauenbildung. Tübingen 1905.

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Der Weg.

Es bleibt mir noch übrig nach all dem Kritisieren und
Wünschen nun positive praktische Forderungen zu erheben
an die Instanzen, die an einer Reformation der Frauen-
bildung arbeiten müssen. Auch diese praktischen Forderungen
können nimmermehr vom Manne gefunden werden; die edelsten
Freunde können sie nicht aufstellen, sondern nur mit voller,
erkennender Zustimmung acceptieren. Ausgehen müssen sie
von der Frau selbst. Aber es ist nur äußerlich die Stimme
einer einzelnen Frau hie und da, die sie laut werden läßt.
Herangereift und geboren sind die Forderungen in der Ge-
samtfrauenseele, die aufzuwachen und sich auf sich selbst zu be-
sinnen beginnt. Das ist das Neue heute, ein Schritt in der
Frauenentwickelung weiter, der nie wieder zurückgetan wer-
den wird, daß über allen einzelnen Frauenseelen, die sich halb
träumend aus der Masse losringen, auch schon eine Gesamt-
seele des Frauengeschlechts sich regt, die jede Einzelnot und
jedes Einzelbedürfnis als gemeinsames Interesse empfindet in
bewußtem Zusammenschluß. Alle wirtschaftlichen, alle sittlichen,
alle Herzensnöte, alle Verderbnis und jeder Fortschritt einzelner
Frauen und Frauenkreise dringen in das allgemeine Bewußt-
sein der Frauenwelt ein und werden von dieser Zentralstelle
aus erfaßt, um wieder in den einzelnen Frauenseelen einen
energischen Willen zur Tat zu erzeugen. So wacht in den
verschiedensten Frauenkreisen unter den verschiedensten Lebens-
interessen ein einheitliches Bewußtsein von Frauenbedürfnissen
auf, dem ich hier Worte zu geben versuche. Die Instanzen,
an die wir uns fordernd, bittend, mahnend zu wenden haben,
denen wir uns erforderlichenfalls geschlossen entgegenstemmen,

Der Weg.

Es bleibt mir noch übrig nach all dem Kritisieren und
Wünschen nun positive praktische Forderungen zu erheben
an die Instanzen, die an einer Reformation der Frauen-
bildung arbeiten müssen. Auch diese praktischen Forderungen
können nimmermehr vom Manne gefunden werden; die edelsten
Freunde können sie nicht aufstellen, sondern nur mit voller,
erkennender Zustimmung acceptieren. Ausgehen müssen sie
von der Frau selbst. Aber es ist nur äußerlich die Stimme
einer einzelnen Frau hie und da, die sie laut werden läßt.
Herangereift und geboren sind die Forderungen in der Ge-
samtfrauenseele, die aufzuwachen und sich auf sich selbst zu be-
sinnen beginnt. Das ist das Neue heute, ein Schritt in der
Frauenentwickelung weiter, der nie wieder zurückgetan wer-
den wird, daß über allen einzelnen Frauenseelen, die sich halb
träumend aus der Masse losringen, auch schon eine Gesamt-
seele des Frauengeschlechts sich regt, die jede Einzelnot und
jedes Einzelbedürfnis als gemeinsames Interesse empfindet in
bewußtem Zusammenschluß. Alle wirtschaftlichen, alle sittlichen,
alle Herzensnöte, alle Verderbnis und jeder Fortschritt einzelner
Frauen und Frauenkreise dringen in das allgemeine Bewußt-
sein der Frauenwelt ein und werden von dieser Zentralstelle
aus erfaßt, um wieder in den einzelnen Frauenseelen einen
energischen Willen zur Tat zu erzeugen. So wacht in den
verschiedensten Frauenkreisen unter den verschiedensten Lebens-
interessen ein einheitliches Bewußtsein von Frauenbedürfnissen
auf, dem ich hier Worte zu geben versuche. Die Instanzen,
an die wir uns fordernd, bittend, mahnend zu wenden haben,
denen wir uns erforderlichenfalls geschlossen entgegenstemmen,

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[35/0038] Der Weg. Es bleibt mir noch übrig nach all dem Kritisieren und Wünschen nun positive praktische Forderungen zu erheben an die Instanzen, die an einer Reformation der Frauen- bildung arbeiten müssen. Auch diese praktischen Forderungen können nimmermehr vom Manne gefunden werden; die edelsten Freunde können sie nicht aufstellen, sondern nur mit voller, erkennender Zustimmung acceptieren. Ausgehen müssen sie von der Frau selbst. Aber es ist nur äußerlich die Stimme einer einzelnen Frau hie und da, die sie laut werden läßt. Herangereift und geboren sind die Forderungen in der Ge- samtfrauenseele, die aufzuwachen und sich auf sich selbst zu be- sinnen beginnt. Das ist das Neue heute, ein Schritt in der Frauenentwickelung weiter, der nie wieder zurückgetan wer- den wird, daß über allen einzelnen Frauenseelen, die sich halb träumend aus der Masse losringen, auch schon eine Gesamt- seele des Frauengeschlechts sich regt, die jede Einzelnot und jedes Einzelbedürfnis als gemeinsames Interesse empfindet in bewußtem Zusammenschluß. Alle wirtschaftlichen, alle sittlichen, alle Herzensnöte, alle Verderbnis und jeder Fortschritt einzelner Frauen und Frauenkreise dringen in das allgemeine Bewußt- sein der Frauenwelt ein und werden von dieser Zentralstelle aus erfaßt, um wieder in den einzelnen Frauenseelen einen energischen Willen zur Tat zu erzeugen. So wacht in den verschiedensten Frauenkreisen unter den verschiedensten Lebens- interessen ein einheitliches Bewußtsein von Frauenbedürfnissen auf, dem ich hier Worte zu geben versuche. Die Instanzen, an die wir uns fordernd, bittend, mahnend zu wenden haben, denen wir uns erforderlichenfalls geschlossen entgegenstemmen,

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Zitationshilfe: Martin, Marie: Wahre Frauenbildung. Tübingen 1905, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martin_frauenbildung_1905/38>, abgerufen am 28.03.2024.