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Martin, Marie: Wahre Frauenbildung. Tübingen 1905.

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Leben! Ueberall Anknüpfung an Natur und Erfahrung, strenge
logisch-formale Schulung ohne Kreuz- und Quersprünge, ohne
falsches Erbarmen, das sich mit Anregungen und Verpuffen
in Gefühlsduselei bei der "zarten Weiblichkeit" begnügt. Die
Milde in der Mädchenschule am unrechten Ort heißt oft
"Ritterlichkeit" und ist doch nur Verachtung der "weiblichen
Minderwertigkeit" und -- Bequemlichkeit. Alle Fehler der
Knabenschule rächen sich in der Mädchenschule mit doppeltem
Fluch darum muß durchaus jeder Schimmer von Gelehr-
tentum mit doppelter Sorgfalt in der Mädchenschule ver-
mieden werden. Eine auf Anschauung gegründete Kraft-
bildung
sei die Losung. Dann werden die besonderen
Fehler der heutigen Mädchenbildung, das Aufgehen in halt-
losen persönlichen Schwärmereien und in zerstreuter Ober-
flächlichkeit, vergehen wie der Schnee in den Schluchten vor
dem Maiwind. Dagegen wird dem innersten weiblichen Wesen
entsprechend ein sehr entschlossener Wille zur Pflicht sich
natürlich entwickeln, denn das Wesen des Mädchens ist von
Natur auf Hingabe gerichtet, wie sich das ja noch in seinen
jämmerlichsten Schwächen und den tiefsten Verirrungen zeigt.
Soll die Schule diese große Aufgabe nicht ohne allzu un-
überwindliche Schwierigkeiten lösen, so muß neben die Schule
das Haus treten. Hand in Hand müssen sie arbeiten lernen,
nicht als Rivalen sich beeifersüchteln, wodurch die einheitliche
Charakterentwickelung des Mädchens auf das schwerste ge-
fährdet wird. Die Schule soll einsichtige, vollwertige Mütter
erziehen, aber kraftvolle Mütter müssen auch die Arbeit der
Schule unterstützen. Es handelt sich da um die Preisfrage: was
muß eher da sein, das Huhn oder das Ei? Damit das Kind
zur guten Mutter erzogen werden kann, muß eine gute Mutter
Hand anlegen. Es gilt einen der zahllosen Kompromisse des
Lebens schließen und die Forderung an das Haus jedenfalls
so stellen, als ob die Mutter in dem neuen Geist einsichtiger
Energie schon herangebildet und der Vater für das Ziel selb-

Leben! Ueberall Anknüpfung an Natur und Erfahrung, strenge
logisch-formale Schulung ohne Kreuz- und Quersprünge, ohne
falsches Erbarmen, das sich mit Anregungen und Verpuffen
in Gefühlsduselei bei der „zarten Weiblichkeit“ begnügt. Die
Milde in der Mädchenschule am unrechten Ort heißt oft
„Ritterlichkeit“ und ist doch nur Verachtung der „weiblichen
Minderwertigkeit“ und — Bequemlichkeit. Alle Fehler der
Knabenschule rächen sich in der Mädchenschule mit doppeltem
Fluch darum muß durchaus jeder Schimmer von Gelehr-
tentum mit doppelter Sorgfalt in der Mädchenschule ver-
mieden werden. Eine auf Anschauung gegründete Kraft-
bildung
sei die Losung. Dann werden die besonderen
Fehler der heutigen Mädchenbildung, das Aufgehen in halt-
losen persönlichen Schwärmereien und in zerstreuter Ober-
flächlichkeit, vergehen wie der Schnee in den Schluchten vor
dem Maiwind. Dagegen wird dem innersten weiblichen Wesen
entsprechend ein sehr entschlossener Wille zur Pflicht sich
natürlich entwickeln, denn das Wesen des Mädchens ist von
Natur auf Hingabe gerichtet, wie sich das ja noch in seinen
jämmerlichsten Schwächen und den tiefsten Verirrungen zeigt.
Soll die Schule diese große Aufgabe nicht ohne allzu un-
überwindliche Schwierigkeiten lösen, so muß neben die Schule
das Haus treten. Hand in Hand müssen sie arbeiten lernen,
nicht als Rivalen sich beeifersüchteln, wodurch die einheitliche
Charakterentwickelung des Mädchens auf das schwerste ge-
fährdet wird. Die Schule soll einsichtige, vollwertige Mütter
erziehen, aber kraftvolle Mütter müssen auch die Arbeit der
Schule unterstützen. Es handelt sich da um die Preisfrage: was
muß eher da sein, das Huhn oder das Ei? Damit das Kind
zur guten Mutter erzogen werden kann, muß eine gute Mutter
Hand anlegen. Es gilt einen der zahllosen Kompromisse des
Lebens schließen und die Forderung an das Haus jedenfalls
so stellen, als ob die Mutter in dem neuen Geist einsichtiger
Energie schon herangebildet und der Vater für das Ziel selb-

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[38/0041] Leben! Ueberall Anknüpfung an Natur und Erfahrung, strenge logisch-formale Schulung ohne Kreuz- und Quersprünge, ohne falsches Erbarmen, das sich mit Anregungen und Verpuffen in Gefühlsduselei bei der „zarten Weiblichkeit“ begnügt. Die Milde in der Mädchenschule am unrechten Ort heißt oft „Ritterlichkeit“ und ist doch nur Verachtung der „weiblichen Minderwertigkeit“ und — Bequemlichkeit. Alle Fehler der Knabenschule rächen sich in der Mädchenschule mit doppeltem Fluch darum muß durchaus jeder Schimmer von Gelehr- tentum mit doppelter Sorgfalt in der Mädchenschule ver- mieden werden. Eine auf Anschauung gegründete Kraft- bildung sei die Losung. Dann werden die besonderen Fehler der heutigen Mädchenbildung, das Aufgehen in halt- losen persönlichen Schwärmereien und in zerstreuter Ober- flächlichkeit, vergehen wie der Schnee in den Schluchten vor dem Maiwind. Dagegen wird dem innersten weiblichen Wesen entsprechend ein sehr entschlossener Wille zur Pflicht sich natürlich entwickeln, denn das Wesen des Mädchens ist von Natur auf Hingabe gerichtet, wie sich das ja noch in seinen jämmerlichsten Schwächen und den tiefsten Verirrungen zeigt. Soll die Schule diese große Aufgabe nicht ohne allzu un- überwindliche Schwierigkeiten lösen, so muß neben die Schule das Haus treten. Hand in Hand müssen sie arbeiten lernen, nicht als Rivalen sich beeifersüchteln, wodurch die einheitliche Charakterentwickelung des Mädchens auf das schwerste ge- fährdet wird. Die Schule soll einsichtige, vollwertige Mütter erziehen, aber kraftvolle Mütter müssen auch die Arbeit der Schule unterstützen. Es handelt sich da um die Preisfrage: was muß eher da sein, das Huhn oder das Ei? Damit das Kind zur guten Mutter erzogen werden kann, muß eine gute Mutter Hand anlegen. Es gilt einen der zahllosen Kompromisse des Lebens schließen und die Forderung an das Haus jedenfalls so stellen, als ob die Mutter in dem neuen Geist einsichtiger Energie schon herangebildet und der Vater für das Ziel selb-

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Zitationshilfe: Martin, Marie: Wahre Frauenbildung. Tübingen 1905, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martin_frauenbildung_1905/41>, abgerufen am 03.12.2024.