Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[N. N.]: Hofzimmer der Klugen. Übers. v. Georg Martzi. Frankfurt (Main), 1692.

Bild:
<< vorherige Seite

nichts begehren/ wann man sich von der
Nothwendigkeit entladen will.

XXXI.

Ich will nicht läugnen/ daß die Gesund-
heit ein grosses Gut sey; aber ich wolte auch/
daß jederman bekennete/ daß die Kranckheit
kein gar grosses Ubel sey/ sie lehrt die Leute/
sich zu kennen: dahergegen die Gesundheit
sie betrieget/ indem sie ihnen einbildet/ sie
werden nimmermehr sterben. Ist das ein
Ubel/ wann man durch die Erfahrung weiß/
daß man ein Mensch ist? Wie viel meinestu/
daß es Leute gibt/ die sich anitzo wol auff be-
finden/ welche dem Todt viel näher sind/ als
diejenige/ so die Medici verlassen haben?
Sehen wir nicht alle Tage solche Leute/ die
gar schwach/ zärt und kräncklich sind/ und
doch länger leben als andere/ die da scheinen/
als wären sie die allergesundesten.

XXXII.

Das Leben ist ein gutes Ding/ wann
man es nützlich anwendet: Der Todt soll
niemals ein grosses Ubel genennet werden/
als wann man nicht wol gelebt hat. Der
Todt ist kein Mangel/ sondern ein gar na-
türliches Ding. Es ist vielen ein grosses
Ubel gewesen/ daß sie lange gelebt. Man

stir-

nichts begehren/ wann man ſich von der
Nothwendigkeit entladen will.

XXXI.

Ich will nicht laͤugnen/ daß die Geſund-
heit ein groſſes Gut ſey; aber ich wolte auch/
daß jederman bekennete/ daß die Kranckheit
kein gar groſſes Ubel ſey/ ſie lehrt die Leute/
ſich zu kennen: dahergegen die Geſundheit
ſie betrieget/ indem ſie ihnen einbildet/ ſie
werden nimmermehr ſterben. Iſt das ein
Ubel/ wann man durch die Erfahrung weiß/
daß man ein Menſch iſt? Wie viel meineſtu/
daß es Leute gibt/ die ſich anitzo wol auff be-
finden/ welche dem Todt viel naͤher ſind/ als
diejenige/ ſo die Medici verlaſſen haben?
Sehen wir nicht alle Tage ſolche Leute/ die
gar ſchwach/ zaͤrt und kraͤncklich ſind/ und
doch laͤnger leben als andere/ die da ſcheinen/
als waͤren ſie die allergeſundeſten.

XXXII.

Das Leben iſt ein gutes Ding/ wann
man es nuͤtzlich anwendet: Der Todt ſoll
niemals ein groſſes Ubel genennet werden/
als wann man nicht wol gelebt hat. Der
Todt iſt kein Mangel/ ſondern ein gar na-
tuͤrliches Ding. Es iſt vielen ein groſſes
Ubel geweſen/ daß ſie lange gelebt. Man

ſtir-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0122" n="121[111]"/>
nichts begehren/ wann man &#x017F;ich von der<lb/>
Nothwendigkeit entladen will.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#aq">XXXI.</hi> </head><lb/>
          <p>Ich will nicht la&#x0364;ugnen/ daß die Ge&#x017F;und-<lb/>
heit ein gro&#x017F;&#x017F;es Gut &#x017F;ey; aber ich wolte auch/<lb/>
daß jederman bekennete/ daß die Kranckheit<lb/>
kein gar gro&#x017F;&#x017F;es Ubel &#x017F;ey/ &#x017F;ie lehrt die Leute/<lb/>
&#x017F;ich zu kennen: dahergegen die Ge&#x017F;undheit<lb/>
&#x017F;ie betrieget/ indem &#x017F;ie ihnen einbildet/ &#x017F;ie<lb/>
werden nimmermehr &#x017F;terben. I&#x017F;t das ein<lb/>
Ubel/ wann man durch die Erfahrung weiß/<lb/>
daß man ein Men&#x017F;ch i&#x017F;t? Wie viel meine&#x017F;tu/<lb/>
daß es Leute gibt/ die &#x017F;ich anitzo wol auff be-<lb/>
finden/ welche dem Todt viel na&#x0364;her &#x017F;ind/ als<lb/>
diejenige/ &#x017F;o die Medici verla&#x017F;&#x017F;en haben?<lb/>
Sehen wir nicht alle Tage &#x017F;olche Leute/ die<lb/>
gar &#x017F;chwach/ za&#x0364;rt und kra&#x0364;ncklich &#x017F;ind/ und<lb/>
doch la&#x0364;nger leben als andere/ die da &#x017F;cheinen/<lb/>
als wa&#x0364;ren &#x017F;ie die allerge&#x017F;unde&#x017F;ten.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#aq">XXXII.</hi> </head><lb/>
          <p>Das Leben i&#x017F;t ein gutes Ding/ wann<lb/>
man es nu&#x0364;tzlich anwendet: Der Todt &#x017F;oll<lb/>
niemals ein gro&#x017F;&#x017F;es Ubel genennet werden/<lb/>
als wann man nicht wol gelebt hat. Der<lb/>
Todt i&#x017F;t kein Mangel/ &#x017F;ondern ein gar na-<lb/>
tu&#x0364;rliches Ding. Es i&#x017F;t vielen ein gro&#x017F;&#x017F;es<lb/>
Ubel gewe&#x017F;en/ daß &#x017F;ie lange gelebt. Man<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;tir-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[121[111]/0122] nichts begehren/ wann man ſich von der Nothwendigkeit entladen will. XXXI. Ich will nicht laͤugnen/ daß die Geſund- heit ein groſſes Gut ſey; aber ich wolte auch/ daß jederman bekennete/ daß die Kranckheit kein gar groſſes Ubel ſey/ ſie lehrt die Leute/ ſich zu kennen: dahergegen die Geſundheit ſie betrieget/ indem ſie ihnen einbildet/ ſie werden nimmermehr ſterben. Iſt das ein Ubel/ wann man durch die Erfahrung weiß/ daß man ein Menſch iſt? Wie viel meineſtu/ daß es Leute gibt/ die ſich anitzo wol auff be- finden/ welche dem Todt viel naͤher ſind/ als diejenige/ ſo die Medici verlaſſen haben? Sehen wir nicht alle Tage ſolche Leute/ die gar ſchwach/ zaͤrt und kraͤncklich ſind/ und doch laͤnger leben als andere/ die da ſcheinen/ als waͤren ſie die allergeſundeſten. XXXII. Das Leben iſt ein gutes Ding/ wann man es nuͤtzlich anwendet: Der Todt ſoll niemals ein groſſes Ubel genennet werden/ als wann man nicht wol gelebt hat. Der Todt iſt kein Mangel/ ſondern ein gar na- tuͤrliches Ding. Es iſt vielen ein groſſes Ubel geweſen/ daß ſie lange gelebt. Man ſtir-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/martzi_klugen_1692
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/martzi_klugen_1692/122
Zitationshilfe: [N. N.]: Hofzimmer der Klugen. Übers. v. Georg Martzi. Frankfurt (Main), 1692, S. 121[111]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martzi_klugen_1692/122>, abgerufen am 26.11.2024.