frage so in ihren großen Dimensionen aufgegeben ist, wartet die Exekutivge¬ walt ruhig den Zeitpunkt ab, wo sie dieselbe bei kleinlich unbedeutenden An¬ lässen wieder aufnehmen kann, wo sie so zu sagen nur noch ein parlamenta¬ risches Lokalinteresse bietet. Dann bricht die verhaltene Wuth der Ordnungs¬ partei aus, dann reißt sie den Vorhang von den Coulissen, dann denunzirt sie den Präsidenten, dann erklärt sie die Republik in Gefahr, aber dann er¬ scheint auch ihr Pathos abgeschmackt und der Anlaß des Kampfes als heuch¬ lerischer Vorwand oder überhaupt des Kampfes nicht werth. Der parlamen¬ tarische Sturm wird zu einem Sturm in einem Glase Wasser, der Kampf zur Intrigue, die Kollision zum Skandal. Während die Schadenfreude der revo¬ lutionären Klassen sich an der Demüthigung der Nationalversammlung weidet, denn sie schwärmen eben so sehr für die parlamentarischen Prärogativen der¬ selben, wie jene Versammlung für die öffentlichen Freiheiten, begreift die Bourgeoisie außerhalb des Parlaments nicht, wie die Bourgeoisie innerhalb des Parlaments ihre Zeit mit so kleinlichen Zänkereien vergeuden und die Ruhe durch so elende Rivalitäten mit dem Präsidenten blosstellen kann. Sie wird verwirrt über eine Strategie, die in dem Augenblicke Frieden schließt, wo alle Welt Schlachten erwartet, und in dem Augenblicke angreift, wo alle Welt den Frieden geschlossen glaubt.
Am 20. Dezember interpellirte Pascal Duprat den Minister des Innern über die Goldbarren-Lotterie. Diese Lotterie war eine "Tochter aus Elysium," Bonaparte hatte sie mit seinen Getreuen auf die Welt gesetzt und der Polizei¬ präfekt Carlier sie unter seine offizielle Protektion gestellt, obgleich das fran¬ zösische Gesetz alle Lotterien mit Ausnahme der Verloosung zu wohlthä¬ tigen Zwecken untersagt. Sieben Millionen Loose, Stück für Stück ein Frank, der Gewinn angeblich bestimmt zur Verschiffung von Pariser Vaga¬ bunden nach Kalifornien. Einerseits sollten goldene Träume die sozialistischen Träume des Pariser Proletariats verdrängen, die verführerische Aussicht auf das große Loos das doktrinäre Recht auf Arbeit. Die Pariser Arbeiter er¬ kannten natürlich in dem Glanze der kalifornischen Goldbarren die unschein¬ baren Franken nicht wieder, die man ihnen aus der Tasche lockte. In der Hauptsache aber handelte es sich um eine direkte Prellerei. Die Vagabunden, die kalifornische Goldminen eröffnen wollten, ohne sich aus Paris wegzube¬ mühn, waren Bonaparte selbst und seine schuldenzerrüttete Tafelrunde. Die von der Nationalversammlung bewilligten drei Millionen waren verjubelt, die Kasse mußte auf eine oder die andre Weise wieder gefüllt werden, Ver¬
frage ſo in ihren großen Dimenſionen aufgegeben iſt, wartet die Exekutivge¬ walt ruhig den Zeitpunkt ab, wo ſie dieſelbe bei kleinlich unbedeutenden An¬ läſſen wieder aufnehmen kann, wo ſie ſo zu ſagen nur noch ein parlamenta¬ riſches Lokalintereſſe bietet. Dann bricht die verhaltene Wuth der Ordnungs¬ partei aus, dann reißt ſie den Vorhang von den Couliſſen, dann denunzirt ſie den Präſidenten, dann erklärt ſie die Republik in Gefahr, aber dann er¬ ſcheint auch ihr Pathos abgeſchmackt und der Anlaß des Kampfes als heuch¬ leriſcher Vorwand oder überhaupt des Kampfes nicht werth. Der parlamen¬ tariſche Sturm wird zu einem Sturm in einem Glaſe Waſſer, der Kampf zur Intrigue, die Kolliſion zum Skandal. Während die Schadenfreude der revo¬ lutionären Klaſſen ſich an der Demüthigung der Nationalverſammlung weidet, denn ſie ſchwärmen eben ſo ſehr für die parlamentariſchen Prärogativen der¬ ſelben, wie jene Verſammlung für die öffentlichen Freiheiten, begreift die Bourgeoiſie außerhalb des Parlaments nicht, wie die Bourgeoiſie innerhalb des Parlaments ihre Zeit mit ſo kleinlichen Zänkereien vergeuden und die Ruhe durch ſo elende Rivalitäten mit dem Präſidenten blosſtellen kann. Sie wird verwirrt über eine Strategie, die in dem Augenblicke Frieden ſchließt, wo alle Welt Schlachten erwartet, und in dem Augenblicke angreift, wo alle Welt den Frieden geſchloſſen glaubt.
Am 20. Dezember interpellirte Pascal Duprat den Miniſter des Innern über die Goldbarren-Lotterie. Dieſe Lotterie war eine „Tochter aus Elyſium,“ Bonaparte hatte ſie mit ſeinen Getreuen auf die Welt geſetzt und der Polizei¬ präfekt Carlier ſie unter ſeine offizielle Protektion geſtellt, obgleich das fran¬ zöſiſche Geſetz alle Lotterien mit Ausnahme der Verlooſung zu wohlthä¬ tigen Zwecken unterſagt. Sieben Millionen Looſe, Stück für Stück ein Frank, der Gewinn angeblich beſtimmt zur Verſchiffung von Pariſer Vaga¬ bunden nach Kalifornien. Einerſeits ſollten goldene Träume die ſozialiſtiſchen Träume des Pariſer Proletariats verdrängen, die verführeriſche Ausſicht auf das große Loos das doktrinäre Recht auf Arbeit. Die Pariſer Arbeiter er¬ kannten natürlich in dem Glanze der kaliforniſchen Goldbarren die unſchein¬ baren Franken nicht wieder, die man ihnen aus der Taſche lockte. In der Hauptſache aber handelte es ſich um eine direkte Prellerei. Die Vagabunden, die kaliforniſche Goldminen eröffnen wollten, ohne ſich aus Paris wegzube¬ mühn, waren Bonaparte ſelbſt und ſeine ſchuldenzerrüttete Tafelrunde. Die von der Nationalverſammlung bewilligten drei Millionen waren verjubelt, die Kaſſe mußte auf eine oder die andre Weiſe wieder gefüllt werden, Ver¬
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frage ſo in ihren großen Dimenſionen aufgegeben iſt, wartet die Exekutivge¬
walt ruhig den Zeitpunkt ab, wo ſie dieſelbe bei kleinlich unbedeutenden An¬
läſſen wieder aufnehmen kann, wo ſie ſo zu ſagen nur noch ein parlamenta¬
riſches Lokalintereſſe bietet. Dann bricht die verhaltene Wuth der Ordnungs¬
partei aus, dann reißt ſie den Vorhang von den Couliſſen, dann denunzirt
ſie den Präſidenten, dann erklärt ſie die Republik in Gefahr, aber dann er¬
ſcheint auch ihr Pathos abgeſchmackt und der Anlaß des Kampfes als heuch¬
leriſcher Vorwand oder überhaupt des Kampfes nicht werth. Der parlamen¬
tariſche Sturm wird zu einem Sturm in einem Glaſe Waſſer, der Kampf zur
Intrigue, die Kolliſion zum Skandal. Während die Schadenfreude der revo¬
lutionären Klaſſen ſich an der Demüthigung der Nationalverſammlung weidet,
denn ſie ſchwärmen eben ſo ſehr für die parlamentariſchen Prärogativen der¬
ſelben, wie jene Verſammlung für die öffentlichen Freiheiten, begreift die
Bourgeoiſie außerhalb des Parlaments nicht, wie die Bourgeoiſie innerhalb
des Parlaments ihre Zeit mit ſo kleinlichen Zänkereien vergeuden und die
Ruhe durch ſo elende Rivalitäten mit dem Präſidenten blosſtellen kann. Sie
wird verwirrt über eine Strategie, die in dem Augenblicke Frieden ſchließt,
wo alle Welt Schlachten erwartet, und in dem Augenblicke angreift, wo alle
Welt den Frieden geſchloſſen glaubt.
Am 20. Dezember interpellirte Pascal Duprat den Miniſter des Innern
über die Goldbarren-Lotterie. Dieſe Lotterie war eine „Tochter aus Elyſium,“
Bonaparte hatte ſie mit ſeinen Getreuen auf die Welt geſetzt und der Polizei¬
präfekt Carlier ſie unter ſeine offizielle Protektion geſtellt, obgleich das fran¬
zöſiſche Geſetz alle Lotterien mit Ausnahme der Verlooſung zu wohlthä¬
tigen Zwecken unterſagt. Sieben Millionen Looſe, Stück für Stück ein
Frank, der Gewinn angeblich beſtimmt zur Verſchiffung von Pariſer Vaga¬
bunden nach Kalifornien. Einerſeits ſollten goldene Träume die ſozialiſtiſchen
Träume des Pariſer Proletariats verdrängen, die verführeriſche Ausſicht auf
das große Loos das doktrinäre Recht auf Arbeit. Die Pariſer Arbeiter er¬
kannten natürlich in dem Glanze der kaliforniſchen Goldbarren die unſchein¬
baren Franken nicht wieder, die man ihnen aus der Taſche lockte. In der
Hauptſache aber handelte es ſich um eine direkte Prellerei. Die Vagabunden,
die kaliforniſche Goldminen eröffnen wollten, ohne ſich aus Paris wegzube¬
mühn, waren Bonaparte ſelbſt und ſeine ſchuldenzerrüttete Tafelrunde. Die
von der Nationalverſammlung bewilligten drei Millionen waren verjubelt,
die Kaſſe mußte auf eine oder die andre Weiſe wieder gefüllt werden, Ver¬
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Diese zweite, von Marx überarbeitete Fassung des … [mehr]
Diese zweite, von Marx überarbeitete Fassung des "Brumaire" erschien 1869 in Hamburg. Sie ist die erste selbstständige Publikation des Textes, der zuerst als Heft 1 (1851) der Zeitschrift "Die Revolution. Eine Zeitschrift in zwanglosen Heften" erschien, und wurde daher gemäß den Leitlinien des DTA für die Digitalisierung zugrunde gelegt.
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Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_bonaparte_1869/68>, abgerufen am 02.03.2025.
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