durch Herrn Leon Faucher, den die constituirende Versammlung während ihrer letzten Tage einstimmig mit Ausnahme von fünf Ministerstimmen wegen Verbreitung falscher telegraphischer Depeschen mit einem Mißtrauensvotum gebrandmarkt hatte. Die Nationalversammlung hatte also am 18. Januar einen Sieg über das Ministerium davongetragen, sie hatte während drei Monaten mit Bonaparte gekämpft, damit am 11. April Fould und Baroche den Puritaner Faucher als Dritten in ihren ministeriellen Bund auf¬ nehmen konnten.
November 1849 hatte sich Bonaparte mit einem unparlamen¬ tarischen Ministerium begnügt, Januar 1851 mit einem außerpar¬ lamentarischen, am 11. April fühlte er sich stark genug, ein anti¬ parlamentarisches Ministerium zu bilden, das die Mißtrauensvota beider Versammlungen, der Konstituante und der Legislativen, der republi¬ kanischen und der royalistischen, harmonisch in sich vereinigte. Diese Stufen¬ leiter von Ministerien war der Thermometer, woran das Parlament die Abnahme der eignen Lebenswärme messen konnte. Diese war Ende April so tief genug gesunken, daß Persigny den Changarnier in einer persönlichen Zu¬ sammenkunft auffordern konnte, in das Lager des Präsidenten überzugehn, Bonaparte, versicherte er ihm, betrachte den Einfluß der Nationalversamm¬ lung als vollständig vernichtet und schon liege die Proklamation bereit, die nach dem beständig beabsichtigten, aber zufällig wieder aufgeschobenen coup d'etat veröffentlicht werden solle. Changarnier theilte den Führern der Ordnungspartei die Todesanzeige mit, aber wer glaubt, daß der Biß von Wanzen tödte? Und das Parlament, so geschlagen, so aufgelöst, so sterbefaul es war, konnte sich nicht überwinden, in dem Duelle mit dem grotesken Chef der Gesellschaft vom 10. Dezember etwas Andres zu sehen, als das Duell mit einer Wanze. Aber Bonaparte antwortete der Partei der Ordnung wie Agesilaus dem Könige Agis: "Ich scheine Dir Ameise, aber ich werde einmal Löwe sein."
VI.
Die Koalition mit der Montagne und den reinen Republikanern, wozu die Ordnungspartei in ihren vergeblichen Anstrengungen den Besitz der
durch Herrn Léon Faucher, den die conſtituirende Verſammlung während ihrer letzten Tage einſtimmig mit Ausnahme von fünf Miniſterſtimmen wegen Verbreitung falſcher telegraphiſcher Depeſchen mit einem Mißtrauensvotum gebrandmarkt hatte. Die Nationalverſammlung hatte alſo am 18. Januar einen Sieg über das Miniſterium davongetragen, ſie hatte während drei Monaten mit Bonaparte gekämpft, damit am 11. April Fould und Baroche den Puritaner Faucher als Dritten in ihren miniſteriellen Bund auf¬ nehmen konnten.
November 1849 hatte ſich Bonaparte mit einem unparlamen¬ tariſchen Miniſterium begnügt, Januar 1851 mit einem außerpar¬ lamentariſchen, am 11. April fühlte er ſich ſtark genug, ein anti¬ parlamentariſches Miniſterium zu bilden, das die Mißtrauensvota beider Verſammlungen, der Konſtituante und der Legislativen, der republi¬ kaniſchen und der royaliſtiſchen, harmoniſch in ſich vereinigte. Dieſe Stufen¬ leiter von Miniſterien war der Thermometer, woran das Parlament die Abnahme der eignen Lebenswärme meſſen konnte. Dieſe war Ende April ſo tief genug geſunken, daß Perſigny den Changarnier in einer perſönlichen Zu¬ ſammenkunft auffordern konnte, in das Lager des Präſidenten überzugehn, Bonaparte, verſicherte er ihm, betrachte den Einfluß der Nationalverſamm¬ lung als vollſtändig vernichtet und ſchon liege die Proklamation bereit, die nach dem beſtändig beabſichtigten, aber zufällig wieder aufgeſchobenen coup d'état veröffentlicht werden ſolle. Changarnier theilte den Führern der Ordnungspartei die Todesanzeige mit, aber wer glaubt, daß der Biß von Wanzen tödte? Und das Parlament, ſo geſchlagen, ſo aufgelöſt, ſo ſterbefaul es war, konnte ſich nicht überwinden, in dem Duelle mit dem grotesken Chef der Geſellſchaft vom 10. Dezember etwas Andres zu ſehen, als das Duell mit einer Wanze. Aber Bonaparte antwortete der Partei der Ordnung wie Ageſilaus dem Könige Agis: „Ich ſcheine Dir Ameiſe, aber ich werde einmal Löwe ſein.“
VI.
Die Koalition mit der Montagne und den reinen Republikanern, wozu die Ordnungspartei in ihren vergeblichen Anſtrengungen den Beſitz der
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durch Herrn Léon Faucher, den die conſtituirende Verſammlung während
ihrer letzten Tage einſtimmig mit Ausnahme von fünf Miniſterſtimmen wegen
Verbreitung falſcher telegraphiſcher Depeſchen mit einem Mißtrauensvotum
gebrandmarkt hatte. Die Nationalverſammlung hatte alſo am 18. Januar
einen Sieg über das Miniſterium davongetragen, ſie hatte während drei
Monaten mit Bonaparte gekämpft, damit am 11. April Fould und Baroche
den Puritaner Faucher als Dritten in ihren miniſteriellen Bund auf¬
nehmen konnten.
November 1849 hatte ſich Bonaparte mit einem unparlamen¬
tariſchen Miniſterium begnügt, Januar 1851 mit einem außerpar¬
lamentariſchen, am 11. April fühlte er ſich ſtark genug, ein anti¬
parlamentariſches Miniſterium zu bilden, das die Mißtrauensvota
beider Verſammlungen, der Konſtituante und der Legislativen, der republi¬
kaniſchen und der royaliſtiſchen, harmoniſch in ſich vereinigte. Dieſe Stufen¬
leiter von Miniſterien war der Thermometer, woran das Parlament die
Abnahme der eignen Lebenswärme meſſen konnte. Dieſe war Ende April ſo
tief genug geſunken, daß Perſigny den Changarnier in einer perſönlichen Zu¬
ſammenkunft auffordern konnte, in das Lager des Präſidenten überzugehn,
Bonaparte, verſicherte er ihm, betrachte den Einfluß der Nationalverſamm¬
lung als vollſtändig vernichtet und ſchon liege die Proklamation bereit, die
nach dem beſtändig beabſichtigten, aber zufällig wieder aufgeſchobenen coup
d'état veröffentlicht werden ſolle. Changarnier theilte den Führern der
Ordnungspartei die Todesanzeige mit, aber wer glaubt, daß der Biß von
Wanzen tödte? Und das Parlament, ſo geſchlagen, ſo aufgelöſt, ſo ſterbefaul
es war, konnte ſich nicht überwinden, in dem Duelle mit dem grotesken Chef
der Geſellſchaft vom 10. Dezember etwas Andres zu ſehen, als das Duell
mit einer Wanze. Aber Bonaparte antwortete der Partei der Ordnung
wie Ageſilaus dem Könige Agis: „Ich ſcheine Dir Ameiſe, aber
ich werde einmal Löwe ſein.“
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Die Koalition mit der Montagne und den reinen Republikanern, wozu
die Ordnungspartei in ihren vergeblichen Anſtrengungen den Beſitz der
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Diese zweite, von Marx überarbeitete Fassung des … [mehr]
Diese zweite, von Marx überarbeitete Fassung des "Brumaire" erschien 1869 in Hamburg. Sie ist die erste selbstständige Publikation des Textes, der zuerst als Heft 1 (1851) der Zeitschrift "Die Revolution. Eine Zeitschrift in zwanglosen Heften" erschien, und wurde daher gemäß den Leitlinien des DTA für die Digitalisierung zugrunde gelegt.
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Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_bonaparte_1869/76>, abgerufen am 02.03.2025.
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