sie umsonst stimmte und am Veto der Republikaner verfassungsmäßig scheitern müsse. Erklärte sie verfassungswidrig die einfache Stimmenmajorität für bindend, so konnte sie die Revolution nur zu beherrschen hoffen, wenn sie sich unbedingt der Botmäßigkeit der Exekutivgewalt unterwarf, so machte sie Bonaparte zum Meister über die Verfassung, über die Revision und über sich selbst. Eine nur theilweise Revision, welche die Gewalt des Präsidenten ver¬ längerte, bahnte der imperialistischen Usurpation den Weg. Eine allgemeine Revision, welche die Existenz der Republik abkürzte, brachte die dynastischen Ansprüche in unvermeidlichen Konflikt, denn die Bedingungen für eine bourbonische und die Bedingungen für eine orleanistische Restauration waren nicht nur verschieden, sie schlossen sich wechselseitig aus.
Die parlamentarische Republik war mehr als das neutrale Gebiet, worin die zwei Fraktionen der französischen Bourgeoisie, Legitimisten und Orleanisten, großes Grundeigenthum und Industrie, gleichberechtigt nebeneinander hausen konnten. Sie war die unumgängliche Bedingung ihrer gemeinsamen Herrschaft, die einzige Staatsform, worin ihr allgemeines Klasseninteresse sich zugleich die Ansprüche ihrer besondern Frak¬ tionen wie alle übrigen Klassen der Gesellschaft unterwarf. Als Royalisten fielen sie in ihren alten Gegensatz zurück, in den Kampf um die Suprematie des Grundeigenthums oder des Geldes, und der höchste Ausdruck dieses Gegensatzes, die Personifikation desselben, waren ihre Könige selbst, ihre Dynastien. Daher das Sträuben der Ordnungspartei gegen die Rückbe¬ rufung der Bourbonen.
Der Orleanist und Volksrepräsentant Creton hatte 1849, 1850 und 1851 periodisch den Antrag gestellt, das Verbannungsdekret gegen die königlichen Familien aufzuheben. Das Parlament bot eben so periodisch das Schauspiel einer Versammlung von Royalisten, welche ihren verbannten Königen hartnäckig die Thore verschließt, durch die sie heimkehren könnten. Richard III. hatte Heinrich VI. ermordet mit dem Bemerken, daß er zu gut für diese Welt sei und in den Himmel gehöre. Sie erklärten Frankreich für zu schlecht, seine Könige wieder zu besitzen. Durch die Macht der Verhältnisse gezwungen waren sie Republikaner geworden und sanktionirten wiederholt den Volksbeschluß, der ihre Könige aus Frankreich verwies.
Die Revision der Verfassung -- und sie in Betracht zu ziehen zwangen die Umstände -- stellte mit der Republik zugleich die gemeinsame Herrschaft der beiden Bourgeois-Fraktionen in Frage und rief, mit der Möglichkeit der
ſie umſonſt ſtimmte und am Veto der Republikaner verfaſſungsmäßig ſcheitern müſſe. Erklärte ſie verfaſſungswidrig die einfache Stimmenmajorität für bindend, ſo konnte ſie die Revolution nur zu beherrſchen hoffen, wenn ſie ſich unbedingt der Botmäßigkeit der Exekutivgewalt unterwarf, ſo machte ſie Bonaparte zum Meiſter über die Verfaſſung, über die Reviſion und über ſich ſelbſt. Eine nur theilweiſe Reviſion, welche die Gewalt des Präſidenten ver¬ längerte, bahnte der imperialiſtiſchen Uſurpation den Weg. Eine allgemeine Reviſion, welche die Exiſtenz der Republik abkürzte, brachte die dynaſtiſchen Anſprüche in unvermeidlichen Konflikt, denn die Bedingungen für eine bourboniſche und die Bedingungen für eine orleaniſtiſche Reſtauration waren nicht nur verſchieden, ſie ſchloſſen ſich wechſelſeitig aus.
Die parlamentariſche Republik war mehr als das neutrale Gebiet, worin die zwei Fraktionen der franzöſiſchen Bourgeoiſie, Legitimiſten und Orleaniſten, großes Grundeigenthum und Induſtrie, gleichberechtigt nebeneinander hauſen konnten. Sie war die unumgängliche Bedingung ihrer gemeinſamen Herrſchaft, die einzige Staatsform, worin ihr allgemeines Klaſſenintereſſe ſich zugleich die Anſprüche ihrer beſondern Frak¬ tionen wie alle übrigen Klaſſen der Geſellſchaft unterwarf. Als Royaliſten fielen ſie in ihren alten Gegenſatz zurück, in den Kampf um die Suprematie des Grundeigenthums oder des Geldes, und der höchſte Ausdruck dieſes Gegenſatzes, die Perſonifikation deſſelben, waren ihre Könige ſelbſt, ihre Dynaſtien. Daher das Sträuben der Ordnungspartei gegen die Rückbe¬ rufung der Bourbonen.
Der Orleaniſt und Volksrepräſentant Creton hatte 1849, 1850 und 1851 periodiſch den Antrag geſtellt, das Verbannungsdekret gegen die königlichen Familien aufzuheben. Das Parlament bot eben ſo periodiſch das Schauſpiel einer Verſammlung von Royaliſten, welche ihren verbannten Königen hartnäckig die Thore verſchließt, durch die ſie heimkehren könnten. Richard III. hatte Heinrich VI. ermordet mit dem Bemerken, daß er zu gut für dieſe Welt ſei und in den Himmel gehöre. Sie erklärten Frankreich für zu ſchlecht, ſeine Könige wieder zu beſitzen. Durch die Macht der Verhältniſſe gezwungen waren ſie Republikaner geworden und ſanktionirten wiederholt den Volksbeſchluß, der ihre Könige aus Frankreich verwies.
Die Reviſion der Verfaſſung — und ſie in Betracht zu ziehen zwangen die Umſtände — ſtellte mit der Republik zugleich die gemeinſame Herrſchaft der beiden Bourgeois–Fraktionen in Frage und rief, mit der Möglichkeit der
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ſich unbedingt der Botmäßigkeit der Exekutivgewalt unterwarf, ſo machte ſie
Bonaparte zum Meiſter über die Verfaſſung, über die Reviſion und über ſich
ſelbſt. Eine nur theilweiſe Reviſion, welche die Gewalt des Präſidenten ver¬
längerte, bahnte der imperialiſtiſchen Uſurpation den Weg. Eine allgemeine
Reviſion, welche die Exiſtenz der Republik abkürzte, brachte die dynaſtiſchen
Anſprüche in unvermeidlichen Konflikt, denn die Bedingungen für eine
bourboniſche und die Bedingungen für eine orleaniſtiſche Reſtauration waren
nicht nur verſchieden, ſie ſchloſſen ſich wechſelſeitig aus.
Die parlamentariſche Republik war mehr als das neutrale
Gebiet, worin die zwei Fraktionen der franzöſiſchen Bourgeoiſie, Legitimiſten
und Orleaniſten, großes Grundeigenthum und Induſtrie, gleichberechtigt
nebeneinander hauſen konnten. Sie war die unumgängliche Bedingung
ihrer gemeinſamen Herrſchaft, die einzige Staatsform, worin ihr
allgemeines Klaſſenintereſſe ſich zugleich die Anſprüche ihrer beſondern Frak¬
tionen wie alle übrigen Klaſſen der Geſellſchaft unterwarf. Als Royaliſten
fielen ſie in ihren alten Gegenſatz zurück, in den Kampf um die Suprematie
des Grundeigenthums oder des Geldes, und der höchſte Ausdruck dieſes
Gegenſatzes, die Perſonifikation deſſelben, waren ihre Könige ſelbſt, ihre
Dynaſtien. Daher das Sträuben der Ordnungspartei gegen die Rückbe¬
rufung der Bourbonen.
Der Orleaniſt und Volksrepräſentant Creton hatte 1849, 1850 und
1851 periodiſch den Antrag geſtellt, das Verbannungsdekret gegen die
königlichen Familien aufzuheben. Das Parlament bot eben ſo periodiſch das
Schauſpiel einer Verſammlung von Royaliſten, welche ihren verbannten Königen
hartnäckig die Thore verſchließt, durch die ſie heimkehren könnten. Richard
III. hatte Heinrich VI. ermordet mit dem Bemerken, daß er zu gut für dieſe
Welt ſei und in den Himmel gehöre. Sie erklärten Frankreich für zu
ſchlecht, ſeine Könige wieder zu beſitzen. Durch die Macht der Verhältniſſe
gezwungen waren ſie Republikaner geworden und ſanktionirten wiederholt den
Volksbeſchluß, der ihre Könige aus Frankreich verwies.
Die Reviſion der Verfaſſung — und ſie in Betracht zu ziehen zwangen
die Umſtände — ſtellte mit der Republik zugleich die gemeinſame Herrſchaft
der beiden Bourgeois–Fraktionen in Frage und rief, mit der Möglichkeit der
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Diese zweite, von Marx überarbeitete Fassung des … [mehr]
Diese zweite, von Marx überarbeitete Fassung des "Brumaire" erschien 1869 in Hamburg. Sie ist die erste selbstständige Publikation des Textes, der zuerst als Heft 1 (1851) der Zeitschrift "Die Revolution. Eine Zeitschrift in zwanglosen Heften" erschien, und wurde daher gemäß den Leitlinien des DTA für die Digitalisierung zugrunde gelegt.
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Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_bonaparte_1869/78>, abgerufen am 02.03.2025.
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