statt wie bisher auf dem Liebhabertheater. Die Kuriere flogen von Paris nach Venedig, von Venedig nach Claremont, von Claremont nach Paris. Der Graf von Chambord erläßt ein Manifest, worin er "mit Hülfe aller Glieder seiner Familie" nicht seine, sondern die "nationale" Restauration anzeigt. Der Orleanist Salvandy wirft sich Heinrich V. zu Füßen. Die Legitimisten¬ chefs Berryer, Benoit d'Azy, St. Priest, wandern nach Claremont, um die Orleans zu überreden, aber vergeblich. Die Fusionisten gewahren zu spät, daß die Interessen der beiden Bourgeois-Fraktionen weder an Ausschließlich¬ keit verlieren, noch an Nachgiebigkeit gewinnen, wo sie in der Form von Familieninteressen, von Interessen zweier Königshäuser sich zuspitzen. Wenn Heinrich V. den Grafen von Paris als Nachfolger anerkannte -- der einzige Erfolg, den die Fusion im besten Fall erzielen konnte --, so gewann das Haus Orleans keinen Anspruch, den ihm die Kinderlosigkeit Heinrichs V. nicht schon gesichert hätte, aber es verlor alle Ansprüche, die es durch die Juli¬ revolution erobert hatte. Es verzichtete auf seine Originalansprüche, auf alle Titel, die es in einem beinahe hundertjährigen Kampfe dem ältern Zweige der Bourbonen abgerungen, es tauschte seine historische Prärogative, die Prärogative des modernen Königthums, gegen die Prärogative seines Stammbaums aus. Die Fusion war also nichts, als eine freiwillige Abdankung des Hauses Orleans, die legitimistische Resignation desselben, der reuige Rücktritt aus der protestantischen Staatskirche in die katholische. Ein Rücktritt, der es dazu nicht einmal auf den Thron, den es verloren hatte, sondern auf die Stufe des Throns brachte, auf der es geboren war. Die alten orleanistischen Minister Guizot, Duchatel etc., die ebenfalls nach Claremont eilten, um die Fusion zu bevorworten, vertraten in der That nur den Katzenjammer über die Julirevolution, die Verzweiflung am Bürger¬ königthum und am Königthum der Bürger, den Aberglauben an die Legiti¬ mität als das letzte Amulet gegen die Anarchie. In ihrer Einbildung Ver¬ mittler zwischen Orleans und Bourbon waren sie in der Wirklichkeit nur noch abgefallene Orleanisten, und als solche empfing sie der Prinz v. Join¬ ville. Der lebensfähige, kriegerische Theil der Orleanisten dagegen, Thiers, Baze u. s. w., überzeugten die Familie Louis Philipp's um so leichter, daß wenn jede unmittelbar monarchische Restauration die Fusion der beiden Dynastien, jede solche Fusion aber die Abdankung des Hauses Orleans voraussetze, es dagegen ganz der Tradition ihrer Vorfahren entspreche, vorläufig die Republik anzuerkennen und abzuwarten, bis die Ereignisse er¬
ſtatt wie bisher auf dem Liebhabertheater. Die Kuriere flogen von Paris nach Venedig, von Venedig nach Claremont, von Claremont nach Paris. Der Graf von Chambord erläßt ein Manifeſt, worin er „mit Hülfe aller Glieder ſeiner Familie“ nicht ſeine, ſondern die „nationale“ Reſtauration anzeigt. Der Orleaniſt Salvandy wirft ſich Heinrich V. zu Füßen. Die Legitimiſten¬ chefs Berryer, Benoit d'Azy, St. Prieſt, wandern nach Claremont, um die Orleans zu überreden, aber vergeblich. Die Fuſioniſten gewahren zu ſpät, daß die Intereſſen der beiden Bourgeois-Fraktionen weder an Ausſchließlich¬ keit verlieren, noch an Nachgiebigkeit gewinnen, wo ſie in der Form von Familienintereſſen, von Intereſſen zweier Königshäuſer ſich zuſpitzen. Wenn Heinrich V. den Grafen von Paris als Nachfolger anerkannte — der einzige Erfolg, den die Fuſion im beſten Fall erzielen konnte —, ſo gewann das Haus Orleans keinen Anſpruch, den ihm die Kinderloſigkeit Heinrichs V. nicht ſchon geſichert hätte, aber es verlor alle Anſprüche, die es durch die Juli¬ revolution erobert hatte. Es verzichtete auf ſeine Originalanſprüche, auf alle Titel, die es in einem beinahe hundertjährigen Kampfe dem ältern Zweige der Bourbonen abgerungen, es tauſchte ſeine hiſtoriſche Prärogative, die Prärogative des modernen Königthums, gegen die Prärogative ſeines Stammbaums aus. Die Fuſion war alſo nichts, als eine freiwillige Abdankung des Hauſes Orleans, die legitimiſtiſche Reſignation deſſelben, der reuige Rücktritt aus der proteſtantiſchen Staatskirche in die katholiſche. Ein Rücktritt, der es dazu nicht einmal auf den Thron, den es verloren hatte, ſondern auf die Stufe des Throns brachte, auf der es geboren war. Die alten orleaniſtiſchen Miniſter Guizot, Duchatel ꝛc., die ebenfalls nach Claremont eilten, um die Fuſion zu bevorworten, vertraten in der That nur den Katzenjammer über die Julirevolution, die Verzweiflung am Bürger¬ königthum und am Königthum der Bürger, den Aberglauben an die Legiti¬ mität als das letzte Amulet gegen die Anarchie. In ihrer Einbildung Ver¬ mittler zwiſchen Orleans und Bourbon waren ſie in der Wirklichkeit nur noch abgefallene Orleaniſten, und als ſolche empfing ſie der Prinz v. Join¬ ville. Der lebensfähige, kriegeriſche Theil der Orleaniſten dagegen, Thiers, Baze u. ſ. w., überzeugten die Familie Louis Philipp's um ſo leichter, daß wenn jede unmittelbar monarchiſche Reſtauration die Fuſion der beiden Dynaſtien, jede ſolche Fuſion aber die Abdankung des Hauſes Orleans vorausſetze, es dagegen ganz der Tradition ihrer Vorfahren entſpreche, vorläufig die Republik anzuerkennen und abzuwarten, bis die Ereigniſſe er¬
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ſtatt wie bisher auf dem Liebhabertheater. Die Kuriere flogen von Paris nach
Venedig, von Venedig nach Claremont, von Claremont nach Paris. Der
Graf von Chambord erläßt ein Manifeſt, worin er „mit Hülfe aller Glieder
ſeiner Familie“ nicht ſeine, ſondern die „nationale“ Reſtauration anzeigt.
Der Orleaniſt Salvandy wirft ſich Heinrich V. zu Füßen. Die Legitimiſten¬
chefs Berryer, Benoit d'Azy, St. Prieſt, wandern nach Claremont, um die
Orleans zu überreden, aber vergeblich. Die Fuſioniſten gewahren zu ſpät,
daß die Intereſſen der beiden Bourgeois-Fraktionen weder an Ausſchließlich¬
keit verlieren, noch an Nachgiebigkeit gewinnen, wo ſie in der Form von
Familienintereſſen, von Intereſſen zweier Königshäuſer ſich zuſpitzen. Wenn
Heinrich V. den Grafen von Paris als Nachfolger anerkannte — der einzige
Erfolg, den die Fuſion im beſten Fall erzielen konnte —, ſo gewann das
Haus Orleans keinen Anſpruch, den ihm die Kinderloſigkeit Heinrichs V. nicht
ſchon geſichert hätte, aber es verlor alle Anſprüche, die es durch die Juli¬
revolution erobert hatte. Es verzichtete auf ſeine Originalanſprüche, auf
alle Titel, die es in einem beinahe hundertjährigen Kampfe dem ältern
Zweige der Bourbonen abgerungen, es tauſchte ſeine hiſtoriſche Prärogative,
die Prärogative des modernen Königthums, gegen die Prärogative ſeines
Stammbaums aus. Die Fuſion war alſo nichts, als eine freiwillige
Abdankung des Hauſes Orleans, die legitimiſtiſche Reſignation deſſelben,
der reuige Rücktritt aus der proteſtantiſchen Staatskirche in die katholiſche.
Ein Rücktritt, der es dazu nicht einmal auf den Thron, den es verloren
hatte, ſondern auf die Stufe des Throns brachte, auf der es geboren war.
Die alten orleaniſtiſchen Miniſter Guizot, Duchatel ꝛc., die ebenfalls nach
Claremont eilten, um die Fuſion zu bevorworten, vertraten in der That nur
den Katzenjammer über die Julirevolution, die Verzweiflung am Bürger¬
königthum und am Königthum der Bürger, den Aberglauben an die Legiti¬
mität als das letzte Amulet gegen die Anarchie. In ihrer Einbildung Ver¬
mittler zwiſchen Orleans und Bourbon waren ſie in der Wirklichkeit nur
noch abgefallene Orleaniſten, und als ſolche empfing ſie der Prinz v. Join¬
ville. Der lebensfähige, kriegeriſche Theil der Orleaniſten dagegen, Thiers,
Baze u. ſ. w., überzeugten die Familie Louis Philipp's um ſo leichter, daß
wenn jede unmittelbar monarchiſche Reſtauration die Fuſion der beiden
Dynaſtien, jede ſolche Fuſion aber die Abdankung des Hauſes Orleans
vorausſetze, es dagegen ganz der Tradition ihrer Vorfahren entſpreche,
vorläufig die Republik anzuerkennen und abzuwarten, bis die Ereigniſſe er¬
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Diese zweite, von Marx überarbeitete Fassung des … [mehr]
Diese zweite, von Marx überarbeitete Fassung des "Brumaire" erschien 1869 in Hamburg. Sie ist die erste selbstständige Publikation des Textes, der zuerst als Heft 1 (1851) der Zeitschrift "Die Revolution. Eine Zeitschrift in zwanglosen Heften" erschien, und wurde daher gemäß den Leitlinien des DTA für die Digitalisierung zugrunde gelegt.
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Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_bonaparte_1869/80>, abgerufen am 02.03.2025.
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