laubten, den Präsidentenstuhl in einen Thron zu verwandeln. Joinville's Kandidatur wurde gerüchtsweise ausgesprengt, die öffentliche Neugier in der Schwebe erhalten, und einige Monate später, nach Verwerfung der Revision, im September öffentlich proklamirt.
Der Versuch einer royalistischen Fusion zwischen Orleanisten und Le¬ gitimisten war so nicht nur gescheitert, er hatte ihre parlamentarische Fusion, ihre republikanische Gemeinform gebrochen und die Ordnungs¬ partei wieder in ihre ursprünglichen Bestandtheile zersetzt; aber je mehr die Entfremdung zwischen Claremont und Venedig wuchs, ihre Ausgleichung sich zerschlug, die Joinville-Agitation um sich griff, desto eifriger, ernster wurden die Verhandlungen zwischen Faucher, dem Minister Bonaparte's, und den Legitimisten.
Die Auflösung der Ordnungspartei blieb nicht bei ihren ursprünglichen Elementen stehen. Jede der beiden großen Fraktionen zersetzte sich ihrerseits von Neuem. Es war, als wenn alle die alten Nuancen, die sich früher innerhalb jedes der beiden Kreise, sei es des legitimen, sei es des orleani¬ stischen, bekämpft und gedrängt hatten, wieder aufgethaut wären, wie ver¬ trocknete Infusorien bei Berührung mit Wasser, als wenn sie von Neuem Lebenskraft genug gewonnen hätten, um eigne Gruppen und selbständige Gegensätze zu bilden. Die Legitimisten träumten sich zurück in die Streit¬ fragen zwischen den Tuilerien und dem Pavillon Marsan, zwischen Villele und Polignac. Die Orleanisten durchlebten von Neuem die goldene Zeit der Turniere zwischen Guizot, Mole, Broglio, Thiers und Odilon Barrot.
Der revisionslustige, aber über die Grenzen der Revision wieder uneinige Theil der Ordnungspartei, zusammengesetzt aus den Legitimisten unter Berryer und Falloux einerseits, unter Larochejaquelin andrerseits, und den kampfmüden Orleanisten unter Mole, Broglio, Montalembert und Odilon Barrot, vereinbarte sich mit den bonapartistischen Repräsentanten zu folgendem unbestimmten und weitgefaßten Antrage: "Die unterzeichneten Repräsentanten, mit dem Zwecke, der Nation die volle Ausübung ihrer Souveränität wiederzugeben, stellen die Motion, daß die Verfassung revidirt werde." Gleichzeitig aber erklären sie einstimmig durch ihren Be¬ richterstatter Tocqueville, die Nationalversammlung habe nicht das Recht, die Abschaffung der Republik zu beantragen, dies Recht stehe nur der Revisionskammer zu. Uebrigens könne die Verfassung nur auf "legale" Weise revidirt werden, also nur, wenn das verfassungsmäßig vorgeschrie¬
laubten, den Präſidentenſtuhl in einen Thron zu verwandeln. Joinville's Kandidatur wurde gerüchtsweiſe ausgeſprengt, die öffentliche Neugier in der Schwebe erhalten, und einige Monate ſpäter, nach Verwerfung der Reviſion, im September öffentlich proklamirt.
Der Verſuch einer royaliſtiſchen Fuſion zwiſchen Orleaniſten und Le¬ gitimiſten war ſo nicht nur geſcheitert, er hatte ihre parlamentariſche Fuſion, ihre republikaniſche Gemeinform gebrochen und die Ordnungs¬ partei wieder in ihre urſprünglichen Beſtandtheile zerſetzt; aber je mehr die Entfremdung zwiſchen Claremont und Venedig wuchs, ihre Ausgleichung ſich zerſchlug, die Joinville-Agitation um ſich griff, deſto eifriger, ernſter wurden die Verhandlungen zwiſchen Faucher, dem Miniſter Bonaparte's, und den Legitimiſten.
Die Auflöſung der Ordnungspartei blieb nicht bei ihren urſprünglichen Elementen ſtehen. Jede der beiden großen Fraktionen zerſetzte ſich ihrerſeits von Neuem. Es war, als wenn alle die alten Nuancen, die ſich früher innerhalb jedes der beiden Kreiſe, ſei es des legitimen, ſei es des orleani¬ ſtiſchen, bekämpft und gedrängt hatten, wieder aufgethaut wären, wie ver¬ trocknete Infuſorien bei Berührung mit Waſſer, als wenn ſie von Neuem Lebenskraft genug gewonnen hätten, um eigne Gruppen und ſelbſtändige Gegenſätze zu bilden. Die Legitimiſten träumten ſich zurück in die Streit¬ fragen zwiſchen den Tuilerien und dem Pavillon Marſan, zwiſchen Villèle und Polignac. Die Orleaniſten durchlebten von Neuem die goldene Zeit der Turniere zwiſchen Guizot, Molé, Broglio, Thiers und Odilon Barrot.
Der reviſionsluſtige, aber über die Grenzen der Reviſion wieder uneinige Theil der Ordnungspartei, zuſammengeſetzt aus den Legitimiſten unter Berryer und Falloux einerſeits, unter Larochejaquelin andrerſeits, und den kampfmüden Orleaniſten unter Mole, Broglio, Montalembert und Odilon Barrot, vereinbarte ſich mit den bonapartiſtiſchen Repräſentanten zu folgendem unbeſtimmten und weitgefaßten Antrage: „Die unterzeichneten Repräſentanten, mit dem Zwecke, der Nation die volle Ausübung ihrer Souveränität wiederzugeben, ſtellen die Motion, daß die Verfaſſung revidirt werde.“ Gleichzeitig aber erklären ſie einſtimmig durch ihren Be¬ richterſtatter Tocqueville, die Nationalverſammlung habe nicht das Recht, die Abſchaffung der Republik zu beantragen, dies Recht ſtehe nur der Reviſionskammer zu. Uebrigens könne die Verfaſſung nur auf „legale“ Weiſe revidirt werden, alſo nur, wenn das verfaſſungsmäßig vorgeſchrie¬
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laubten, den Präſidentenſtuhl in einen Thron zu verwandeln. Joinville's
Kandidatur wurde gerüchtsweiſe ausgeſprengt, die öffentliche Neugier in der
Schwebe erhalten, und einige Monate ſpäter, nach Verwerfung der Reviſion,
im September öffentlich proklamirt.
Der Verſuch einer royaliſtiſchen Fuſion zwiſchen Orleaniſten und Le¬
gitimiſten war ſo nicht nur geſcheitert, er hatte ihre parlamentariſche
Fuſion, ihre republikaniſche Gemeinform gebrochen und die Ordnungs¬
partei wieder in ihre urſprünglichen Beſtandtheile zerſetzt; aber je mehr die
Entfremdung zwiſchen Claremont und Venedig wuchs, ihre Ausgleichung ſich
zerſchlug, die Joinville-Agitation um ſich griff, deſto eifriger, ernſter
wurden die Verhandlungen zwiſchen Faucher, dem Miniſter Bonaparte's,
und den Legitimiſten.
Die Auflöſung der Ordnungspartei blieb nicht bei ihren urſprünglichen
Elementen ſtehen. Jede der beiden großen Fraktionen zerſetzte ſich ihrerſeits
von Neuem. Es war, als wenn alle die alten Nuancen, die ſich früher
innerhalb jedes der beiden Kreiſe, ſei es des legitimen, ſei es des orleani¬
ſtiſchen, bekämpft und gedrängt hatten, wieder aufgethaut wären, wie ver¬
trocknete Infuſorien bei Berührung mit Waſſer, als wenn ſie von Neuem
Lebenskraft genug gewonnen hätten, um eigne Gruppen und ſelbſtändige
Gegenſätze zu bilden. Die Legitimiſten träumten ſich zurück in die Streit¬
fragen zwiſchen den Tuilerien und dem Pavillon Marſan, zwiſchen Villèle
und Polignac. Die Orleaniſten durchlebten von Neuem die goldene Zeit der
Turniere zwiſchen Guizot, Molé, Broglio, Thiers und Odilon Barrot.
Der reviſionsluſtige, aber über die Grenzen der Reviſion wieder
uneinige Theil der Ordnungspartei, zuſammengeſetzt aus den Legitimiſten
unter Berryer und Falloux einerſeits, unter Larochejaquelin andrerſeits, und
den kampfmüden Orleaniſten unter Mole, Broglio, Montalembert und
Odilon Barrot, vereinbarte ſich mit den bonapartiſtiſchen Repräſentanten zu
folgendem unbeſtimmten und weitgefaßten Antrage: „Die unterzeichneten
Repräſentanten, mit dem Zwecke, der Nation die volle Ausübung ihrer
Souveränität wiederzugeben, ſtellen die Motion, daß die Verfaſſung
revidirt werde.“ Gleichzeitig aber erklären ſie einſtimmig durch ihren Be¬
richterſtatter Tocqueville, die Nationalverſammlung habe nicht das Recht, die
Abſchaffung der Republik zu beantragen, dies Recht ſtehe nur der
Reviſionskammer zu. Uebrigens könne die Verfaſſung nur auf „legale“
Weiſe revidirt werden, alſo nur, wenn das verfaſſungsmäßig vorgeſchrie¬
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Diese zweite, von Marx überarbeitete Fassung des … [mehr]
Diese zweite, von Marx überarbeitete Fassung des "Brumaire" erschien 1869 in Hamburg. Sie ist die erste selbstständige Publikation des Textes, der zuerst als Heft 1 (1851) der Zeitschrift "Die Revolution. Eine Zeitschrift in zwanglosen Heften" erschien, und wurde daher gemäß den Leitlinien des DTA für die Digitalisierung zugrunde gelegt.
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Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_bonaparte_1869/81>, abgerufen am 02.03.2025.
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