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Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869.

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außer den allgemeinen Krisen seine eignen nationalen Handelskrisen durch,
die jedoch weit mehr durch den allgemeinen Stand des Weltmarkts als durch
französische Lokaleinflüsse bestimmt und bedingt werden. Es wird nicht ohne
Interesse sein, dem Vorurtheil des französischen Bourgeois das Urtheil des
englischen Bourgeois gegenüber zu stellen. Eins der größten Liverpooler
Häuser schreibt in seinem Jahres-Handelsberichte für 1851: "Wenige
Jahre haben die bei ihrem Beginn gehegten Anticipationen mehr getäuscht,
als das eben abgelaufene; statt der großen Prosperität, der man einstimmig
entgegensah, bewies es sich als eins der entmuthigendsten Jahre seit einem
Vierteljahrhundert. Es gilt dies natürlich nur von den merkantilen, nicht
von den industriellen Klassen. Und doch waren sicherlich Gründe vorhanden,
beim Beginne des Jahres auf das Gegentheil zu schließen, die Produktenvor¬
räthe waren spärlich, Kapital überflüssig, Nahrungsmittel wohlfeil, ein reicher
Herbst war gesichert; ungebrochner Friede auf dem Kontinent und keine poli¬
tischen oder finanziellen Störungen zu Hause; in der That, die Flügel des
Handels waren nie fesselloser . . . Wem dies ungünstige Resultat zuschreiben?
Wir glauben dem Ueberhandel sowohl in Importen als Exporten.
Wenn unsere Kaufleute nicht selbst ihrer Thätigkeit engere Grenzen ziehen,
kann uns Nichts im Gleise halten, als alle drei Jahr ein Panic."

Man stelle sich nun den französischen Bourgeois vor, wie mitten in
diesem Geschäftspanic sein handelskrankes Gehirn gefoltert, umschwirrt,
betäubt wird von Gerüchten über Staatsstreiche und Herstellung des allge¬
meinen Wahlrechts, von dem Kampfe zwischen Parlament und Exekutivgewalt,
von dem Frondekrieg der Orleanisten und Legitimisten, von kommunistischen
Konspirationen in Südfrankreich, von angeblichen Jacquerien in den Nievre-
und Cher-Departements, von den Reklamen der verschiedenen Präsident¬
schaftskandidaten, von den marktschreierischen Lösungen der Journale, von den
Drohungen der Republikaner, mit den Waffen in der Hand die Konstitution
und das allgemeine Stimmrecht behaupten zu wollen, von den Evangelien der
emigrirten Helden in partibus, die den Weltuntergang für den 2. Mai 1852
anzeigten, und man begreift, daß der Bourgeois in dieser unsäglichen,
geräuschvollen Konfusion von Fusion, Revision, Prorogation, Konstitution,
Konspiration, Koalition, Emigration, Usurpation und Revolution seiner
parlamentarischen Republik toll zuschnaubt: "Lieber ein Ende mit
Schrecken
, als ein Schrecken ohn' Ende!"

Bonaparte verstand diesen Schrei. Sein Begriffsvermögen wurde ge¬

außer den allgemeinen Kriſen ſeine eignen nationalen Handelskriſen durch,
die jedoch weit mehr durch den allgemeinen Stand des Weltmarkts als durch
franzöſiſche Lokaleinflüſſe beſtimmt und bedingt werden. Es wird nicht ohne
Intereſſe ſein, dem Vorurtheil des franzöſiſchen Bourgeois das Urtheil des
engliſchen Bourgeois gegenüber zu ſtellen. Eins der größten Liverpooler
Häuſer ſchreibt in ſeinem Jahres-Handelsberichte für 1851: „Wenige
Jahre haben die bei ihrem Beginn gehegten Anticipationen mehr getäuſcht,
als das eben abgelaufene; ſtatt der großen Prosperität, der man einſtimmig
entgegenſah, bewies es ſich als eins der entmuthigendſten Jahre ſeit einem
Vierteljahrhundert. Es gilt dies natürlich nur von den merkantilen, nicht
von den induſtriellen Klaſſen. Und doch waren ſicherlich Gründe vorhanden,
beim Beginne des Jahres auf das Gegentheil zu ſchließen, die Produktenvor¬
räthe waren ſpärlich, Kapital überflüſſig, Nahrungsmittel wohlfeil, ein reicher
Herbſt war geſichert; ungebrochner Friede auf dem Kontinent und keine poli¬
tiſchen oder finanziellen Störungen zu Hauſe; in der That, die Flügel des
Handels waren nie feſſelloſer . . . Wem dies ungünſtige Reſultat zuſchreiben?
Wir glauben dem Ueberhandel ſowohl in Importen als Exporten.
Wenn unſere Kaufleute nicht ſelbſt ihrer Thätigkeit engere Grenzen ziehen,
kann uns Nichts im Gleiſe halten, als alle drei Jahr ein Panic.“

Man ſtelle ſich nun den franzöſiſchen Bourgeois vor, wie mitten in
dieſem Geſchäftspanic ſein handelskrankes Gehirn gefoltert, umſchwirrt,
betäubt wird von Gerüchten über Staatsſtreiche und Herſtellung des allge¬
meinen Wahlrechts, von dem Kampfe zwiſchen Parlament und Exekutivgewalt,
von dem Frondekrieg der Orleaniſten und Legitimiſten, von kommuniſtiſchen
Konſpirationen in Südfrankreich, von angeblichen Jacquerien in den Nièvre-
und Cher-Departements, von den Reklamen der verſchiedenen Präſident¬
ſchaftskandidaten, von den marktſchreieriſchen Löſungen der Journale, von den
Drohungen der Republikaner, mit den Waffen in der Hand die Konſtitution
und das allgemeine Stimmrecht behaupten zu wollen, von den Evangelien der
emigrirten Helden in partibus, die den Weltuntergang für den 2. Mai 1852
anzeigten, und man begreift, daß der Bourgeois in dieſer unſäglichen,
geräuſchvollen Konfuſion von Fuſion, Reviſion, Prorogation, Konſtitution,
Konſpiration, Koalition, Emigration, Uſurpation und Revolution ſeiner
parlamentariſchen Republik toll zuſchnaubt: „Lieber ein Ende mit
Schrecken
, als ein Schrecken ohn' Ende!“

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[77/0089] außer den allgemeinen Kriſen ſeine eignen nationalen Handelskriſen durch, die jedoch weit mehr durch den allgemeinen Stand des Weltmarkts als durch franzöſiſche Lokaleinflüſſe beſtimmt und bedingt werden. Es wird nicht ohne Intereſſe ſein, dem Vorurtheil des franzöſiſchen Bourgeois das Urtheil des engliſchen Bourgeois gegenüber zu ſtellen. Eins der größten Liverpooler Häuſer ſchreibt in ſeinem Jahres-Handelsberichte für 1851: „Wenige Jahre haben die bei ihrem Beginn gehegten Anticipationen mehr getäuſcht, als das eben abgelaufene; ſtatt der großen Prosperität, der man einſtimmig entgegenſah, bewies es ſich als eins der entmuthigendſten Jahre ſeit einem Vierteljahrhundert. Es gilt dies natürlich nur von den merkantilen, nicht von den induſtriellen Klaſſen. Und doch waren ſicherlich Gründe vorhanden, beim Beginne des Jahres auf das Gegentheil zu ſchließen, die Produktenvor¬ räthe waren ſpärlich, Kapital überflüſſig, Nahrungsmittel wohlfeil, ein reicher Herbſt war geſichert; ungebrochner Friede auf dem Kontinent und keine poli¬ tiſchen oder finanziellen Störungen zu Hauſe; in der That, die Flügel des Handels waren nie feſſelloſer . . . Wem dies ungünſtige Reſultat zuſchreiben? Wir glauben dem Ueberhandel ſowohl in Importen als Exporten. Wenn unſere Kaufleute nicht ſelbſt ihrer Thätigkeit engere Grenzen ziehen, kann uns Nichts im Gleiſe halten, als alle drei Jahr ein Panic.“ Man ſtelle ſich nun den franzöſiſchen Bourgeois vor, wie mitten in dieſem Geſchäftspanic ſein handelskrankes Gehirn gefoltert, umſchwirrt, betäubt wird von Gerüchten über Staatsſtreiche und Herſtellung des allge¬ meinen Wahlrechts, von dem Kampfe zwiſchen Parlament und Exekutivgewalt, von dem Frondekrieg der Orleaniſten und Legitimiſten, von kommuniſtiſchen Konſpirationen in Südfrankreich, von angeblichen Jacquerien in den Nièvre- und Cher-Departements, von den Reklamen der verſchiedenen Präſident¬ ſchaftskandidaten, von den marktſchreieriſchen Löſungen der Journale, von den Drohungen der Republikaner, mit den Waffen in der Hand die Konſtitution und das allgemeine Stimmrecht behaupten zu wollen, von den Evangelien der emigrirten Helden in partibus, die den Weltuntergang für den 2. Mai 1852 anzeigten, und man begreift, daß der Bourgeois in dieſer unſäglichen, geräuſchvollen Konfuſion von Fuſion, Reviſion, Prorogation, Konſtitution, Konſpiration, Koalition, Emigration, Uſurpation und Revolution ſeiner parlamentariſchen Republik toll zuſchnaubt: „Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohn' Ende!“ Bonaparte verſtand dieſen Schrei. Sein Begriffsvermögen wurde ge¬

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_bonaparte_1869/89>, abgerufen am 16.05.2024.