enden stets verhängnißvoll mit "aufgeschoben". Der Staatsstreich war stets die fixe Idee Bonaparte's. Mit dieser Idee hatte er den franzö¬ sischen Boden wieder betreten. Sie besaß ihn so sehr, daß er sie forwährend verrieth und ausplauderte. Er war so schwach, daß er sie ebenso fortwährend wieder aufgab. Der Schatten des Staatsstreiches war den Parisern als Gespenst so familiär geworden, daß sie nicht an ihn glauben wollten, als er endlich in Fleisch und Blut erschien. Es war also weder die verschlossene Zurückhaltung des Chefs der Gesellschaft vom 10. Dezember, noch eine un¬ geahnte Ueberrumpelung von Seiten der Nationalversammlung, was den Staatsstreich gelingen ließ. Wenn er gelang, gelang er trotz seiner In¬ diskretion und mit ihrem Vorwissen, ein nothwendiges, unvermeidliches Resultat der vorhergegangenen Entwickelung.
Am 10. Oktober kündete Bonaparte seinen Ministern den Entschluß an, das allgemeine Wahlrecht wieder herstellen zu wollen, am 16. gaben sie ihre Entlassung, am 26. erfuhr Paris die Bildung des Ministeriums Thorigny. Der Polizeipräfekt Cartier wurde gleichzeitig durch Maupas ersetzt, der Chef der ersten Militärdivision, Magnan, zog die zuverlässigsten Regimenter der Hauptstadt zusammen. Am 4. November eröffnete die Nationalversammlung wieder ihre Sitzungen. Sie hatte nichts mehr zu thun, als in einem kurzen bündigen Repetitorium den Cursus, den sie durch¬ gemacht hatte, zu wiederholen und zu beweisen, daß sie erst begraben wurde, nachdem sie gestorben war.
Der erste Posten, den sie im Kampfe mit der Exekutivgewalt eingebüßt hatte, war das Ministerium. Sie mußte diesen Verlust feierlich eingestehn, indem sie das Ministerium Thorigny, ein bloßes Scheinministerium, als voll hinnahm. Die Permanenzkommission hatte Herrn Giraud mit Lachen empfangen, als er sich im Namen der neuen Minister vorstellte. Ein so schwaches Ministerium für so starke Maßregeln, wie die Wiederherstellung des allgemeinen Wahlrechts! Aber handelte sich eben darum, Nichts im Parlament, Alles gegen das Parlament durchzusetzen.
Gleich am ersten Tage ihrer Wiedereröffnung erhielt die Nationalver¬ sammlung die Botschaft Bonaparte's, worin er Wiederherstellung des allge¬ meinen Wahlrechts und Abschaffung des Gesetzes vom 31. Mai 1850 ver¬ langte. Seine Minister brachten an demselben Tage ein Dekret in diesem Sinne ein. Die Versammlung verwarf den Dringlichkeitsantrag der Mini¬ ster sofort und das Gesetz selbst am 13. November, mit 355 gegen 348
enden ſtets verhängnißvoll mit „aufgeſchoben“. Der Staatsſtreich war ſtets die fixe Idee Bonaparte's. Mit dieſer Idee hatte er den franzö¬ ſiſchen Boden wieder betreten. Sie beſaß ihn ſo ſehr, daß er ſie forwährend verrieth und ausplauderte. Er war ſo ſchwach, daß er ſie ebenſo fortwährend wieder aufgab. Der Schatten des Staatsſtreiches war den Pariſern als Geſpenſt ſo familiär geworden, daß ſie nicht an ihn glauben wollten, als er endlich in Fleiſch und Blut erſchien. Es war alſo weder die verſchloſſene Zurückhaltung des Chefs der Geſellſchaft vom 10. Dezember, noch eine un¬ geahnte Ueberrumpelung von Seiten der Nationalverſammlung, was den Staatsſtreich gelingen ließ. Wenn er gelang, gelang er trotz ſeiner In¬ diskretion und mit ihrem Vorwiſſen, ein nothwendiges, unvermeidliches Reſultat der vorhergegangenen Entwickelung.
Am 10. Oktober kündete Bonaparte ſeinen Miniſtern den Entſchluß an, das allgemeine Wahlrecht wieder herſtellen zu wollen, am 16. gaben ſie ihre Entlaſſung, am 26. erfuhr Paris die Bildung des Miniſteriums Thorigny. Der Polizeipräfekt Cartier wurde gleichzeitig durch Maupas erſetzt, der Chef der erſten Militärdiviſion, Magnan, zog die zuverläſſigſten Regimenter der Hauptſtadt zuſammen. Am 4. November eröffnete die Nationalverſammlung wieder ihre Sitzungen. Sie hatte nichts mehr zu thun, als in einem kurzen bündigen Repetitorium den Curſus, den ſie durch¬ gemacht hatte, zu wiederholen und zu beweiſen, daß ſie erſt begraben wurde, nachdem ſie geſtorben war.
Der erſte Poſten, den ſie im Kampfe mit der Exekutivgewalt eingebüßt hatte, war das Miniſterium. Sie mußte dieſen Verluſt feierlich eingeſtehn, indem ſie das Miniſterium Thorigny, ein bloßes Scheinminiſterium, als voll hinnahm. Die Permanenzkommiſſion hatte Herrn Giraud mit Lachen empfangen, als er ſich im Namen der neuen Miniſter vorſtellte. Ein ſo ſchwaches Miniſterium für ſo ſtarke Maßregeln, wie die Wiederherſtellung des allgemeinen Wahlrechts! Aber handelte ſich eben darum, Nichts im Parlament, Alles gegen das Parlament durchzuſetzen.
Gleich am erſten Tage ihrer Wiedereröffnung erhielt die Nationalver¬ ſammlung die Botſchaft Bonaparte's, worin er Wiederherſtellung des allge¬ meinen Wahlrechts und Abſchaffung des Geſetzes vom 31. Mai 1850 ver¬ langte. Seine Miniſter brachten an demſelben Tage ein Dekret in dieſem Sinne ein. Die Verſammlung verwarf den Dringlichkeitsantrag der Mini¬ ſter ſofort und das Geſetz ſelbſt am 13. November, mit 355 gegen 348
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enden ſtets verhängnißvoll mit „aufgeſchoben“. Der Staatsſtreich
war ſtets die fixe Idee Bonaparte's. Mit dieſer Idee hatte er den franzö¬
ſiſchen Boden wieder betreten. Sie beſaß ihn ſo ſehr, daß er ſie forwährend
verrieth und ausplauderte. Er war ſo ſchwach, daß er ſie ebenſo fortwährend
wieder aufgab. Der Schatten des Staatsſtreiches war den Pariſern als
Geſpenſt ſo familiär geworden, daß ſie nicht an ihn glauben wollten, als er
endlich in Fleiſch und Blut erſchien. Es war alſo weder die verſchloſſene
Zurückhaltung des Chefs der Geſellſchaft vom 10. Dezember, noch eine un¬
geahnte Ueberrumpelung von Seiten der Nationalverſammlung, was den
Staatsſtreich gelingen ließ. Wenn er gelang, gelang er trotz ſeiner In¬
diskretion und mit ihrem Vorwiſſen, ein nothwendiges, unvermeidliches
Reſultat der vorhergegangenen Entwickelung.
Am 10. Oktober kündete Bonaparte ſeinen Miniſtern den Entſchluß
an, das allgemeine Wahlrecht wieder herſtellen zu wollen, am 16. gaben ſie
ihre Entlaſſung, am 26. erfuhr Paris die Bildung des Miniſteriums
Thorigny. Der Polizeipräfekt Cartier wurde gleichzeitig durch Maupas
erſetzt, der Chef der erſten Militärdiviſion, Magnan, zog die zuverläſſigſten
Regimenter der Hauptſtadt zuſammen. Am 4. November eröffnete die
Nationalverſammlung wieder ihre Sitzungen. Sie hatte nichts mehr zu
thun, als in einem kurzen bündigen Repetitorium den Curſus, den ſie durch¬
gemacht hatte, zu wiederholen und zu beweiſen, daß ſie erſt begraben wurde,
nachdem ſie geſtorben war.
Der erſte Poſten, den ſie im Kampfe mit der Exekutivgewalt eingebüßt
hatte, war das Miniſterium. Sie mußte dieſen Verluſt feierlich eingeſtehn,
indem ſie das Miniſterium Thorigny, ein bloßes Scheinminiſterium, als
voll hinnahm. Die Permanenzkommiſſion hatte Herrn Giraud mit Lachen
empfangen, als er ſich im Namen der neuen Miniſter vorſtellte. Ein ſo
ſchwaches Miniſterium für ſo ſtarke Maßregeln, wie die Wiederherſtellung
des allgemeinen Wahlrechts! Aber handelte ſich eben darum, Nichts im
Parlament, Alles gegen das Parlament durchzuſetzen.
Gleich am erſten Tage ihrer Wiedereröffnung erhielt die Nationalver¬
ſammlung die Botſchaft Bonaparte's, worin er Wiederherſtellung des allge¬
meinen Wahlrechts und Abſchaffung des Geſetzes vom 31. Mai 1850 ver¬
langte. Seine Miniſter brachten an demſelben Tage ein Dekret in dieſem
Sinne ein. Die Verſammlung verwarf den Dringlichkeitsantrag der Mini¬
ſter ſofort und das Geſetz ſelbſt am 13. November, mit 355 gegen 348
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Diese zweite, von Marx überarbeitete Fassung des … [mehr]
Diese zweite, von Marx überarbeitete Fassung des "Brumaire" erschien 1869 in Hamburg. Sie ist die erste selbstständige Publikation des Textes, der zuerst als Heft 1 (1851) der Zeitschrift "Die Revolution. Eine Zeitschrift in zwanglosen Heften" erschien, und wurde daher gemäß den Leitlinien des DTA für die Digitalisierung zugrunde gelegt.
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Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_bonaparte_1869/91>, abgerufen am 02.03.2025.
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