Arbeiter. Newcastle-upon-Tyne, als Centrum eines fortwährend ergiebigeren Kohlen- und Bergwerksbaudistrikts, behauptet daher nach London die zweite Stelle in dem Wohnungsinferno. Nicht minder als 34,000 Menschen hausen dort in Einzelkammern. In Folge absoluter Gemeinschädlichkeit sind kürzlich in Newcastle und Gateshead Häuser in bedeutender Anzahl von Polizei wegen zerstört worden. Der Bau der neuen Häuser geht sehr langsam voran, das Geschäft sehr rasch. Die Stadt war daher 1865 überfüllter als je zuvor. Kaum eine einzelne Kammer war zu vermiethen. Dr. Embleton vom Newcastle Fieberhospital sagt: "Ohne allen Zweifel liegt die Ursache der Fortdauer und Verbreitung des Typhus in der Ueberhäufung menschlicher Wesen und der Unreinlichkeit ihrer Wohnungen. Die Häuser, worin die Arbeiter häufig leben, liegen in abgeschlossnen Winkelgassen und-Höfen. Sie sind mit Bezug auf Licht, Luft, Raum und Reinlichkeit wahre Muster von Mangelhaftigkeit und Un- gesundheit, eine Schmach für jedes civilisirte Land. Dort liegen Männer, Weiber und Kinder des Nachts zusammengehudelt. Was die Männer an- geht, folgt die Nachtreihe der Tagesreihe in ununterbrochenem Strom, so dass die Betten kaum Zeit zur Abkühlung finden. Die Häuser sind schlecht mit Wasser versehn und schlechter mit Abtritten, unfläthig, un- ventilirt, pestilenzialisch"124). Der Wochenpreis solcher Löcher steigt von 8 d. zu 3 sh. "Newcastle-upon-Tyne", sagt Dr. Hunter, "bietet das Beispiel eines der schönsten Stämme unsrer Landsleute, der durch die äussern Umstände von Behausung und Strasse oft in eine beinah wilde Degradation versunken ist"125).
In Folge des Hin- und Herwogens von Kapital und Arbeit mag der Wohnungszustand einer industriellen Stadt heute erträglich sein, morgen ist er abominabel. Oder die städtische Aedilität mag endlich sich aufge- rafft haben zur Beseitigung der ärgsten Missstände. Morgen wandert ein Heuschreckenschwarm von verlumpten Irländern oder verkommenen englischen Agrikulturarbeitern ein. Man steckt sie weg in Keller und Speicher oder verwandelt das früher respektable Arbeiterhaus in ein Logis, worin das Personal so rasch wechselt wie die Einquartirung während des dreissigjährigen Kriegs. Beispiel: Bradford. Dort war der Municipal-
124) l. c. p. 149.
125) l. c. p. 50.
Arbeiter. Newcastle-upon-Tyne, als Centrum eines fortwährend ergiebigeren Kohlen- und Bergwerksbaudistrikts, behauptet daher nach London die zweite Stelle in dem Wohnungsinferno. Nicht minder als 34,000 Menschen hausen dort in Einzelkammern. In Folge absoluter Gemeinschädlichkeit sind kürzlich in Newcastle und Gateshead Häuser in bedeutender Anzahl von Polizei wegen zerstört worden. Der Bau der neuen Häuser geht sehr langsam voran, das Geschäft sehr rasch. Die Stadt war daher 1865 überfüllter als je zuvor. Kaum eine einzelne Kammer war zu vermiethen. Dr. Embleton vom Newcastle Fieberhospital sagt: „Ohne allen Zweifel liegt die Ursache der Fortdauer und Verbreitung des Typhus in der Ueberhäufung menschlicher Wesen und der Unreinlichkeit ihrer Wohnungen. Die Häuser, worin die Arbeiter häufig leben, liegen in abgeschlossnen Winkelgassen und-Höfen. Sie sind mit Bezug auf Licht, Luft, Raum und Reinlichkeit wahre Muster von Mangelhaftigkeit und Un- gesundheit, eine Schmach für jedes civilisirte Land. Dort liegen Männer, Weiber und Kinder des Nachts zusammengehudelt. Was die Männer an- geht, folgt die Nachtreihe der Tagesreihe in ununterbrochenem Strom, so dass die Betten kaum Zeit zur Abkühlung finden. Die Häuser sind schlecht mit Wasser versehn und schlechter mit Abtritten, unfläthig, un- ventilirt, pestilenzialisch“124). Der Wochenpreis solcher Löcher steigt von 8 d. zu 3 sh. „Newcastle-upon-Tyne“, sagt Dr. Hunter, „bietet das Beispiel eines der schönsten Stämme unsrer Landsleute, der durch die äussern Umstände von Behausung und Strasse oft in eine beinah wilde Degradation versunken ist“125).
In Folge des Hin- und Herwogens von Kapital und Arbeit mag der Wohnungszustand einer industriellen Stadt heute erträglich sein, morgen ist er abominabel. Oder die städtische Aedilität mag endlich sich aufge- rafft haben zur Beseitigung der ärgsten Missstände. Morgen wandert ein Heuschreckenschwarm von verlumpten Irländern oder verkommenen englischen Agrikulturarbeitern ein. Man steckt sie weg in Keller und Speicher oder verwandelt das früher respektable Arbeiterhaus in ein Logis, worin das Personal so rasch wechselt wie die Einquartirung während des dreissigjährigen Kriegs. Beispiel: Bradford. Dort war der Municipal-
124) l. c. p. 149.
125) l. c. p. 50.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0669"n="650"/>
Arbeiter. <hirendition="#g">Newcastle-upon-Tyne</hi>, als Centrum eines fortwährend<lb/>
ergiebigeren Kohlen- und Bergwerksbaudistrikts, behauptet daher <hirendition="#g">nach<lb/>
London</hi> die zweite Stelle in dem Wohnung<hirendition="#g">sinferno</hi>. Nicht minder als<lb/>
34,000 Menschen hausen dort in Einzelkammern. In Folge absoluter<lb/>
Gemeinschädlichkeit sind kürzlich in Newcastle und Gateshead Häuser in<lb/>
bedeutender Anzahl von Polizei wegen zerstört worden. Der Bau der neuen<lb/>
Häuser geht sehr langsam voran, das Geschäft sehr rasch. Die Stadt war<lb/>
daher 1865 überfüllter als je zuvor. Kaum eine einzelne Kammer war<lb/>
zu vermiethen. <hirendition="#g">Dr. Embleton</hi> vom Newcastle Fieberhospital sagt:<lb/>„Ohne allen Zweifel liegt die Ursache der Fortdauer und Verbreitung des<lb/>
Typhus in der Ueberhäufung menschlicher Wesen und der Unreinlichkeit<lb/>
ihrer Wohnungen. Die Häuser, worin die Arbeiter häufig leben, liegen<lb/>
in abgeschlossnen Winkelgassen und-Höfen. Sie sind mit Bezug auf Licht,<lb/>
Luft, Raum und Reinlichkeit wahre Muster von Mangelhaftigkeit und Un-<lb/>
gesundheit, eine Schmach für jedes civilisirte Land. Dort liegen Männer,<lb/>
Weiber und Kinder des Nachts zusammengehudelt. Was die Männer an-<lb/>
geht, folgt die Nachtreihe der Tagesreihe in ununterbrochenem Strom, so<lb/>
dass die Betten kaum Zeit zur Abkühlung finden. Die Häuser sind<lb/>
schlecht mit Wasser versehn und schlechter mit Abtritten, unfläthig, un-<lb/>
ventilirt, pestilenzialisch“<noteplace="foot"n="124)">l. c. p. 149.</note>. Der Wochenpreis solcher Löcher steigt<lb/>
von 8 d. zu 3 sh. „Newcastle-upon-Tyne“, sagt Dr. Hunter, „bietet das<lb/>
Beispiel eines der schönsten Stämme unsrer Landsleute, der durch die<lb/>
äussern Umstände von Behausung und Strasse oft in eine beinah wilde<lb/>
Degradation versunken ist“<noteplace="foot"n="125)">l. c. p. 50.</note>.</p><lb/><p>In Folge des Hin- und Herwogens von Kapital und Arbeit mag der<lb/>
Wohnungszustand einer industriellen Stadt heute erträglich sein, morgen<lb/>
ist er abominabel. Oder die städtische Aedilität mag endlich sich aufge-<lb/>
rafft haben zur Beseitigung der ärgsten Missstände. Morgen wandert<lb/>
ein Heuschreckenschwarm von verlumpten Irländern oder verkommenen<lb/>
englischen Agrikulturarbeitern ein. Man steckt sie weg in Keller und<lb/>
Speicher oder verwandelt das früher respektable Arbeiterhaus in ein Logis,<lb/>
worin das Personal so rasch wechselt wie die Einquartirung während des<lb/>
dreissigjährigen Kriegs. Beispiel: <hirendition="#g">Bradford</hi>. Dort war der Municipal-<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[650/0669]
Arbeiter. Newcastle-upon-Tyne, als Centrum eines fortwährend
ergiebigeren Kohlen- und Bergwerksbaudistrikts, behauptet daher nach
London die zweite Stelle in dem Wohnungsinferno. Nicht minder als
34,000 Menschen hausen dort in Einzelkammern. In Folge absoluter
Gemeinschädlichkeit sind kürzlich in Newcastle und Gateshead Häuser in
bedeutender Anzahl von Polizei wegen zerstört worden. Der Bau der neuen
Häuser geht sehr langsam voran, das Geschäft sehr rasch. Die Stadt war
daher 1865 überfüllter als je zuvor. Kaum eine einzelne Kammer war
zu vermiethen. Dr. Embleton vom Newcastle Fieberhospital sagt:
„Ohne allen Zweifel liegt die Ursache der Fortdauer und Verbreitung des
Typhus in der Ueberhäufung menschlicher Wesen und der Unreinlichkeit
ihrer Wohnungen. Die Häuser, worin die Arbeiter häufig leben, liegen
in abgeschlossnen Winkelgassen und-Höfen. Sie sind mit Bezug auf Licht,
Luft, Raum und Reinlichkeit wahre Muster von Mangelhaftigkeit und Un-
gesundheit, eine Schmach für jedes civilisirte Land. Dort liegen Männer,
Weiber und Kinder des Nachts zusammengehudelt. Was die Männer an-
geht, folgt die Nachtreihe der Tagesreihe in ununterbrochenem Strom, so
dass die Betten kaum Zeit zur Abkühlung finden. Die Häuser sind
schlecht mit Wasser versehn und schlechter mit Abtritten, unfläthig, un-
ventilirt, pestilenzialisch“ 124). Der Wochenpreis solcher Löcher steigt
von 8 d. zu 3 sh. „Newcastle-upon-Tyne“, sagt Dr. Hunter, „bietet das
Beispiel eines der schönsten Stämme unsrer Landsleute, der durch die
äussern Umstände von Behausung und Strasse oft in eine beinah wilde
Degradation versunken ist“ 125).
In Folge des Hin- und Herwogens von Kapital und Arbeit mag der
Wohnungszustand einer industriellen Stadt heute erträglich sein, morgen
ist er abominabel. Oder die städtische Aedilität mag endlich sich aufge-
rafft haben zur Beseitigung der ärgsten Missstände. Morgen wandert
ein Heuschreckenschwarm von verlumpten Irländern oder verkommenen
englischen Agrikulturarbeitern ein. Man steckt sie weg in Keller und
Speicher oder verwandelt das früher respektable Arbeiterhaus in ein Logis,
worin das Personal so rasch wechselt wie die Einquartirung während des
dreissigjährigen Kriegs. Beispiel: Bradford. Dort war der Municipal-
124) l. c. p. 149.
125) l. c. p. 50.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 650. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/669>, abgerufen am 28.09.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.