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Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867.

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rechte zu kennen, dass weder obscönste Wohnlichkeit noch faulstes
Trinkwasser besondre Anlässe zu einem Strike liefern"135).

Bevor ich zu den eigentlichen Agrikulturarbeitern übergehe,
soll an einem Beispiel noch gezeigt werden, wie die Krisen selbst auf den
bestbezahlten Theil der Arbeiterklasse, auf ihre Aristokratie, wirken. Man
erinnert sich: das Jahr 1857 brachte eine der grossen Krisen, womit der
industrielle Cyklus jedesmal abschliesst. Der nächste Termin wurde
1866 fällig. Bereits diskontirt in den eigentlichen Fabrikdistrikten
durch die Baumwollnoth, welche viel Kapital aus der gewohnten Anlagesphäre
zu den grossen Centralsitzen des Geldmarkts jagte, nahm die Krise diess-
mal einen vorwiegend finanziellen Charakter an. Ihr Ausbruch im Mai 1866
wurde signalisirt durch den Fall einer Londoner Riesenbank, dem der Zusam-
mensturz zahlloser finanzieller Schwindelgesellschaften auf dem Fuss nach-
folgte. Einer der grossen Londoner Geschäftszweige, welche die Kata-
strophe traf, war der eiserne Schiffsbau. Die Magnaten dieses Fachs
hatten während der Schwindelzeit nicht nur masslos überprodueirt, son-
dern zudem enorme Lieferungskontrakte übernommen, auf die Spekulation
hin, dass die Kreditquelle gleich reichlich fort fliessen werde. Jetzt trat
eine furchtbare Reaktion ein, die auch in andern Londoner Industrien136)
bis zur Stunde, Ende März 1867, fortdauert. Zur Charakteristik der
Lage der Arbeiter folgende Stelle aus dem ausführlichen Bericht eines

135) l. c. p. 16.
136) "Massenhafte Verhungerung der Londoner Armen! ("Wholesale starva-
tion of the London Poor!") ... Während der letzten Tage waren die Wälle
Londons überklebt mit grossen Plakaten, die folgende merkwürdige Anzeige
bringen: ,Fette Ochsen, verhungernde Menschen! Die fetten Ochsen haben ihre
Glaspaläste verlassen, um die Reichen in ihren Luxusgemächern zu mästen, wäh-
rend die verhungernden Menschen in ihren Jammerhöhlen verderben und sterben.'
Die Plakate mit dieser unheilkündenden Inschrift werden beständig erneuert.
Kaum ist eine Partie ausgemerzt und überklebt, wenn sofort eine neue Partie an dem-
selben oder einem gleich öffentlichen Platz wiedererscheint ... Das erinnert an
die omina, die das französische Volk auf die Ereignisse von 1789 vorbereiteten ...
In diesem Augenblick, während englische Arbeiter mit Weib und Kind an Kälte
und Hunger sterben, werden Millionen von englischem Geld, dem Produkt eng-
lischer Arbeit, in russischen, spanischen, italienischen und andern fremden An-
leihen angelegt." ("Reynold's Newspaper, 20. Jan. 1867.)
I. 42

rechte zu kennen, dass weder obscönste Wohnlichkeit noch faulstes
Trinkwasser besondre Anlässe zu einem Strike liefern“135).

Bevor ich zu den eigentlichen Agrikulturarbeitern übergehe,
soll an einem Beispiel noch gezeigt werden, wie die Krisen selbst auf den
bestbezahlten Theil der Arbeiterklasse, auf ihre Aristokratie, wirken. Man
erinnert sich: das Jahr 1857 brachte eine der grossen Krisen, womit der
industrielle Cyklus jedesmal abschliesst. Der nächste Termin wurde
1866 fällig. Bereits diskontirt in den eigentlichen Fabrikdistrikten
durch die Baumwollnoth, welche viel Kapital aus der gewohnten Anlagesphäre
zu den grossen Centralsitzen des Geldmarkts jagte, nahm die Krise diess-
mal einen vorwiegend finanziellen Charakter an. Ihr Ausbruch im Mai 1866
wurde signalisirt durch den Fall einer Londoner Riesenbank, dem der Zusam-
mensturz zahlloser finanzieller Schwindelgesellschaften auf dem Fuss nach-
folgte. Einer der grossen Londoner Geschäftszweige, welche die Kata-
strophe traf, war der eiserne Schiffsbau. Die Magnaten dieses Fachs
hatten während der Schwindelzeit nicht nur masslos überprodueirt, son-
dern zudem enorme Lieferungskontrakte übernommen, auf die Spekulation
hin, dass die Kreditquelle gleich reichlich fort fliessen werde. Jetzt trat
eine furchtbare Reaktion ein, die auch in andern Londoner Industrien136)
bis zur Stunde, Ende März 1867, fortdauert. Zur Charakteristik der
Lage der Arbeiter folgende Stelle aus dem ausführlichen Bericht eines

135) l. c. p. 16.
136) „Massenhafte Verhungerung der Londoner Armen! („Wholesale starva-
tion of the London Poor!“) … Während der letzten Tage waren die Wälle
Londons überklebt mit grossen Plakaten, die folgende merkwürdige Anzeige
bringen: ‚Fette Ochsen, verhungernde Menschen! Die fetten Ochsen haben ihre
Glaspaläste verlassen, um die Reichen in ihren Luxusgemächern zu mästen, wäh-
rend die verhungernden Menschen in ihren Jammerhöhlen verderben und sterben.‘
Die Plakate mit dieser unheilkündenden Inschrift werden beständig erneuert.
Kaum ist eine Partie ausgemerzt und überklebt, wenn sofort eine neue Partie an dem-
selben oder einem gleich öffentlichen Platz wiedererscheint … Das erinnert an
die omina, die das französische Volk auf die Ereignisse von 1789 vorbereiteten …
In diesem Augenblick, während englische Arbeiter mit Weib und Kind an Kälte
und Hunger sterben, werden Millionen von englischem Geld, dem Produkt eng-
lischer Arbeit, in russischen, spanischen, italienischen und andern fremden An-
leihen angelegt.“ („Reynold’s Newspaper, 20. Jan. 1867.)
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[657/0676] rechte zu kennen, dass weder obscönste Wohnlichkeit noch faulstes Trinkwasser besondre Anlässe zu einem Strike liefern“ 135). Bevor ich zu den eigentlichen Agrikulturarbeitern übergehe, soll an einem Beispiel noch gezeigt werden, wie die Krisen selbst auf den bestbezahlten Theil der Arbeiterklasse, auf ihre Aristokratie, wirken. Man erinnert sich: das Jahr 1857 brachte eine der grossen Krisen, womit der industrielle Cyklus jedesmal abschliesst. Der nächste Termin wurde 1866 fällig. Bereits diskontirt in den eigentlichen Fabrikdistrikten durch die Baumwollnoth, welche viel Kapital aus der gewohnten Anlagesphäre zu den grossen Centralsitzen des Geldmarkts jagte, nahm die Krise diess- mal einen vorwiegend finanziellen Charakter an. Ihr Ausbruch im Mai 1866 wurde signalisirt durch den Fall einer Londoner Riesenbank, dem der Zusam- mensturz zahlloser finanzieller Schwindelgesellschaften auf dem Fuss nach- folgte. Einer der grossen Londoner Geschäftszweige, welche die Kata- strophe traf, war der eiserne Schiffsbau. Die Magnaten dieses Fachs hatten während der Schwindelzeit nicht nur masslos überprodueirt, son- dern zudem enorme Lieferungskontrakte übernommen, auf die Spekulation hin, dass die Kreditquelle gleich reichlich fort fliessen werde. Jetzt trat eine furchtbare Reaktion ein, die auch in andern Londoner Industrien 136) bis zur Stunde, Ende März 1867, fortdauert. Zur Charakteristik der Lage der Arbeiter folgende Stelle aus dem ausführlichen Bericht eines 135) l. c. p. 16. 136) „Massenhafte Verhungerung der Londoner Armen! („Wholesale starva- tion of the London Poor!“) … Während der letzten Tage waren die Wälle Londons überklebt mit grossen Plakaten, die folgende merkwürdige Anzeige bringen: ‚Fette Ochsen, verhungernde Menschen! Die fetten Ochsen haben ihre Glaspaläste verlassen, um die Reichen in ihren Luxusgemächern zu mästen, wäh- rend die verhungernden Menschen in ihren Jammerhöhlen verderben und sterben.‘ Die Plakate mit dieser unheilkündenden Inschrift werden beständig erneuert. Kaum ist eine Partie ausgemerzt und überklebt, wenn sofort eine neue Partie an dem- selben oder einem gleich öffentlichen Platz wiedererscheint … Das erinnert an die omina, die das französische Volk auf die Ereignisse von 1789 vorbereiteten … In diesem Augenblick, während englische Arbeiter mit Weib und Kind an Kälte und Hunger sterben, werden Millionen von englischem Geld, dem Produkt eng- lischer Arbeit, in russischen, spanischen, italienischen und andern fremden An- leihen angelegt.“ („Reynold’s Newspaper, 20. Jan. 1867.) I. 42

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 657. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/676>, abgerufen am 29.06.2024.