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Mascov, Johann Jakob: Geschichte der Teutschen. Bd. 1. Leipzig, 1726.

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bis zu Ende des Batavischen Krieges.
hohen Geiste ihres Vaters geerbet hatte. Aber Germanicus war eins von den
grossen Gemüthern, die nichts herrlicher in der Welt finden, als den Rhum ih-
re Pflicht wohl erfüllet zu haben. Vielleicht vermuthete er auch nicht, daß Ti-
berii
Tücke dereins so weit wieder ihn gehen würde, als er nachmahls erfahren
müssen, oder es schiene ihm auch die Sache zu rohe zu seyn. Er war eben beschäff-
tiget, die Huldigung vor Tiberium bey den Sequanen, und Belgen anzunehmen,
als er die Nachricht, von dem Aufstande der Legionen, in Nieder-Germanien, er-
hielte. Er eilete darauf so fort zur Armee: in Nieder-Germanien war die
Gefahr so groß, daß Germanicus sich genöthiget sahe, seine Gemahlin, und seinen
Sohn, nach Trier zu schicken. Er brachte aber bald die Soldaten, theils mit Güte,
theils mit Schärffe, wieder zu ihrer Schuldigkeit.

II. Er glaubete, das Mittel, sie darinnen zu erhalten, würde seyn, wenn erGermanicus
überfällt die
Marsen.
Treffen mit
den Bructe-
rern etc.

ihnen bald was anders zu dencken, und zu thun, schaffete1. Er führete demnach die
vier Legionen2 über den Rhein, marchirete durch den Cäsischen Wald3, ließ die Li-
nien verbesseren, so Tiberius daselbst, die Teutschen desto weiter vom Rheine ent-
fernet zu halten, aufwerffen lassen, und schlug, an dieser Gräntz-Scheide, sein Lager
auf4. Er erfuhr durch die Kundschaffter, daß die Marsen, in der Nähe, ein grosses
Fest hätten, und an nichts weniger, als an die Römer dächten, und machte sich da-
her den, die Nacht sehr helle gestirneten, Himmel zu Nutzen, ging ihnen über den Hals,
und fand alles voll Schlaffs, und Trunckenheit. Es ward alles ohne Wieder-
stand nieder gemachet, und Germanicus theilete die Armee, damit sie sich desto
geschwinder ausbreiten möchte, in vier Hauffen, die denn, 50 Römische Meilen in
die Runde alles verwüsteten, die Menschen ohne Unterscheid ihres Alters oder
Geschlechts, unbarmhertzig niederhaueten, alle Gebäude aber, und unter den-
selben auch den berühmten Tempel von Tanfana5, zerstöhreten, und der Erden

gleich
1 [Beginn Spaltensatz] §. II. 1. Kurtz vorher hatte er, aus eben dieser Absicht,
einen Theil von den Veteranis nach Raetien ge-
schicket: tacitvs Ann. L. I. c. 44. Haud mul-
to post in Raetiam mittuntur, specie defendendae
prouinciae, ob imminentes Sueuos; caeterum, ut auel-
lerentur castris, trucibus adhuc non minus asperitate
remedii, quam sceleris memoria.
2 tacitvs c. 49. Duodecim millia e legioni-
bus, sex & uiginti socias cohortes, octo equitum alas.
3 lipsivs will beym tacito c. 50. lieber siluam
Hesiam
lesen, und muthmaßet, daß es der Heser-Wald,
im Clevischen, gewesen. clvverivs behält Cae-
siam,
und meinet, es sey der Wald gewesen, so im Cle-
vischen, und in Westphalen, zwischen Wesel, u. der Stadt
Cösfeld, sich erstrecket.
4 tacitvs An. L. I. c. 50. At Romanus, agmi-
ne propero siluam Caesiam, limitemque a Tiberio
eoeptum, scindit: castra in limite locat, frontem
ac tergum uallo, latera concaedibus munitus.
5 tacitvs An. L. I. c. 51. Caesar auidas legio-
[Spaltenumbruch] nes, quo latior populatio foret, quatuor in cuneos
dispersit: quinquaginta milium spatium ferro flam-
misque peruastat: non sexus, non aetas miseratio-
nem attulit, profana simul, & sacra, & celeberri-
mum illis gentibus templum, quod Tanfanae uoca-
bant, solo aequantur.
Was man aus Tanfana ma-
chen solle, ist ungewiß. loccenivs leitet den Na-
men von dem Teutschen Worte Than, und Fana,
oder Fan ab, welches in lingua Gotho-Teuthonica
einen Herrn bedeutet. Daß also Tanfana so viel, als
der GOtt eines Waldes, welcher aus Tannen-Bäu-
men bestanden, hieße. reinesivs führet p. 188.
ant. inscript.
einen alten Stein an, der den Matribus
Aufaniabus
zu Ehren gesetzet, und meinet, Tanfana
sey eine Gottheit aus eben der Classe gewesen. clv-
verivs
Germ. antiqu. L. I. c.
11. & 47. setzet den
Wald, darinnen das templum Tanfanae gewesen,
zwischen der Lippe, und Ems, in Westphalen. ia.
gronovivs
ist damit nicht zu frieden, und will
lieber glauben, daß die Stadt und Graffschafft Zut-
phen, Zutfania, die Helffte ihres Namens von Tanfana
habe.
[Ende Spaltensatz]
6. taci-
L 3

bis zu Ende des Bataviſchen Krieges.
hohen Geiſte ihres Vaters geerbet hatte. Aber Germanicus war eins von den
groſſen Gemuͤthern, die nichts herrlicher in der Welt finden, als den Rhum ih-
re Pflicht wohl erfuͤllet zu haben. Vielleicht vermuthete er auch nicht, daß Ti-
berii
Tuͤcke dereins ſo weit wieder ihn gehen wuͤrde, als er nachmahls erfahren
muͤſſen, oder es ſchiene ihm auch die Sache zu rohe zu ſeyn. Er war eben beſchaͤff-
tiget, die Huldigung vor Tiberium bey den Sequanen, und Belgen anzunehmen,
als er die Nachricht, von dem Aufſtande der Legionen, in Nieder-Germanien, er-
hielte. Er eilete darauf ſo fort zur Armee: in Nieder-Germanien war die
Gefahr ſo groß, daß Germanicus ſich genoͤthiget ſahe, ſeine Gemahlin, und ſeinen
Sohn, nach Trier zu ſchicken. Er brachte aber bald die Soldaten, theils mit Guͤte,
theils mit Schaͤrffe, wieder zu ihrer Schuldigkeit.

II. Er glaubete, das Mittel, ſie darinnen zu erhalten, wuͤrde ſeyn, wenn erGermanicus
uͤberfaͤllt die
Marſen.
Treffen mit
den Bructe-
rern ꝛc.

ihnen bald was anders zu dencken, und zu thun, ſchaffete1. Er fuͤhrete demnach die
vier Legionen2 uͤber den Rhein, marchirete durch den Caͤſiſchen Wald3, ließ die Li-
nien verbeſſeren, ſo Tiberius daſelbſt, die Teutſchen deſto weiter vom Rheine ent-
fernet zu halten, aufwerffen laſſen, und ſchlug, an dieſer Graͤntz-Scheide, ſein Lager
auf4. Er erfuhr durch die Kundſchaffter, daß die Marſen, in der Naͤhe, ein groſſes
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her den, die Nacht ſehr helle geſtirneten, Him̃el zu Nutzen, ging ihnen uͤber den Hals,
und fand alles voll Schlaffs, und Trunckenheit. Es ward alles ohne Wieder-
ſtand nieder gemachet, und Germanicus theilete die Armee, damit ſie ſich deſto
geſchwinder ausbreiten moͤchte, in vier Hauffen, die denn, 50 Roͤmiſche Meilen in
die Runde alles verwuͤſteten, die Menſchen ohne Unterſcheid ihres Alters oder
Geſchlechts, unbarmhertzig niederhaueten, alle Gebaͤude aber, und unter den-
ſelben auch den beruͤhmten Tempel von Tanfana5, zerſtoͤhreten, und der Erden

gleich
1 [Beginn Spaltensatz] §. II. 1. Kurtz vorher hatte er, aus eben dieſer Abſicht,
einen Theil von den Veteranis nach Raetien ge-
ſchicket: tacitvs Ann. L. I. c. 44. Haud mul-
to poſt in Raetiam mittuntur, ſpecie defendendae
prouinciae, ob imminentes Sueuos; caeterum, ut auel-
lerentur caſtris, trucibus adhuc non minus aſperitate
remedii, quam ſceleris memoria.
2 tacitvs c. 49. Duodecim millia e legioni-
bus, ſex & uiginti ſocias cohortes, octo equitum alas.
3 lipsivs will beym tacito c. 50. lieber ſiluam
Heſiam
leſen, und muthmaßet, daß es der Heſer-Wald,
im Cleviſchen, geweſen. clvverivs behaͤlt Cae-
ſiam,
und meinet, es ſey der Wald geweſen, ſo im Cle-
viſchen, und in Weſtphalen, zwiſchen Weſel, u. der Stadt
Coͤsfeld, ſich erſtrecket.
4 tacitvs An. L. I. c. 50. At Romanus, agmi-
ne propero ſiluam Caeſiam, limitemque a Tiberio
eoeptum, ſcindit: caſtra in limite locat, frontem
ac tergum uallo, latera concaedibus munitus.
5 tacitvs An. L. I. c. 51. Caeſar auidas legio-
[Spaltenumbruch] nes, quo latior populatio foret, quatuor in cuneos
diſperſit: quinquaginta milium ſpatium ferro flam-
misque peruaſtat: non ſexus, non aetas miſeratio-
nem attulit, profana ſimul, & ſacra, & celeberri-
mum illis gentibus templum, quod Tanfanae uoca-
bant, ſolo aequantur.
Was man aus Tanfana ma-
chen ſolle, iſt ungewiß. loccenivs leitet den Na-
men von dem Teutſchen Worte Than, und Fana,
oder Fan ab, welches in lingua Gotho-Teuthonica
einen Herrn bedeutet. Daß alſo Tanfana ſo viel, als
der GOtt eines Waldes, welcher aus Tannen-Baͤu-
men beſtanden, hieße. reinesivs fuͤhret p. 188.
ant. inſcript.
einen alten Stein an, der den Matribus
Aufaniabus
zu Ehren geſetzet, und meinet, Tanfana
ſey eine Gottheit aus eben der Claſſe geweſen. clv-
verivs
Germ. antiqu. L. I. c.
11. & 47. ſetzet den
Wald, darinnen das templum Tanfanae geweſen,
zwiſchen der Lippe, und Ems, in Weſtphalen. ia.
gronovivs
iſt damit nicht zu frieden, und will
lieber glauben, daß die Stadt und Graffſchafft Zut-
phen, Zutfania, die Helffte ihres Namens von Tanfana
habe.
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6. taci-
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[85/0119] bis zu Ende des Bataviſchen Krieges. hohen Geiſte ihres Vaters geerbet hatte. Aber Germanicus war eins von den groſſen Gemuͤthern, die nichts herrlicher in der Welt finden, als den Rhum ih- re Pflicht wohl erfuͤllet zu haben. Vielleicht vermuthete er auch nicht, daß Ti- berii Tuͤcke dereins ſo weit wieder ihn gehen wuͤrde, als er nachmahls erfahren muͤſſen, oder es ſchiene ihm auch die Sache zu rohe zu ſeyn. Er war eben beſchaͤff- tiget, die Huldigung vor Tiberium bey den Sequanen, und Belgen anzunehmen, als er die Nachricht, von dem Aufſtande der Legionen, in Nieder-Germanien, er- hielte. Er eilete darauf ſo fort zur Armee: in Nieder-Germanien war die Gefahr ſo groß, daß Germanicus ſich genoͤthiget ſahe, ſeine Gemahlin, und ſeinen Sohn, nach Trier zu ſchicken 2. Er brachte aber bald die Soldaten, theils mit Guͤte, theils mit Schaͤrffe, wieder zu ihrer Schuldigkeit 3. II. Er glaubete, das Mittel, ſie darinnen zu erhalten, wuͤrde ſeyn, wenn er ihnen bald was anders zu dencken, und zu thun, ſchaffete 1. Er fuͤhrete demnach die vier Legionen 2 uͤber den Rhein, marchirete durch den Caͤſiſchen Wald 3, ließ die Li- nien verbeſſeren, ſo Tiberius daſelbſt, die Teutſchen deſto weiter vom Rheine ent- fernet zu halten, aufwerffen laſſen, und ſchlug, an dieſer Graͤntz-Scheide, ſein Lager auf 4. Er erfuhr durch die Kundſchaffter, daß die Marſen, in der Naͤhe, ein groſſes Feſt haͤtten, und an nichts weniger, als an die Roͤmer daͤchten, und machte ſich da- her den, die Nacht ſehr helle geſtirneten, Him̃el zu Nutzen, ging ihnen uͤber den Hals, und fand alles voll Schlaffs, und Trunckenheit. Es ward alles ohne Wieder- ſtand nieder gemachet, und Germanicus theilete die Armee, damit ſie ſich deſto geſchwinder ausbreiten moͤchte, in vier Hauffen, die denn, 50 Roͤmiſche Meilen in die Runde alles verwuͤſteten, die Menſchen ohne Unterſcheid ihres Alters oder Geſchlechts, unbarmhertzig niederhaueten, alle Gebaͤude aber, und unter den- ſelben auch den beruͤhmten Tempel von Tanfana 5, zerſtoͤhreten, und der Erden gleich Germanicus uͤberfaͤllt die Marſen. Treffen mit den Bructe- rern ꝛc. 2 3 1 §. II. 1. Kurtz vorher hatte er, aus eben dieſer Abſicht, einen Theil von den Veteranis nach Raetien ge- ſchicket: tacitvs Ann. L. I. c. 44. Haud mul- to poſt in Raetiam mittuntur, ſpecie defendendae prouinciae, ob imminentes Sueuos; caeterum, ut auel- lerentur caſtris, trucibus adhuc non minus aſperitate remedii, quam ſceleris memoria. 2 tacitvs c. 49. Duodecim millia e legioni- bus, ſex & uiginti ſocias cohortes, octo equitum alas. 3 lipsivs will beym tacito c. 50. lieber ſiluam Heſiam leſen, und muthmaßet, daß es der Heſer-Wald, im Cleviſchen, geweſen. clvverivs behaͤlt Cae- ſiam, und meinet, es ſey der Wald geweſen, ſo im Cle- viſchen, und in Weſtphalen, zwiſchen Weſel, u. der Stadt Coͤsfeld, ſich erſtrecket. 4 tacitvs An. L. I. c. 50. At Romanus, agmi- ne propero ſiluam Caeſiam, limitemque a Tiberio eoeptum, ſcindit: caſtra in limite locat, frontem ac tergum uallo, latera concaedibus munitus. 5 tacitvs An. L. I. c. 51. Caeſar auidas legio- nes, quo latior populatio foret, quatuor in cuneos diſperſit: quinquaginta milium ſpatium ferro flam- misque peruaſtat: non ſexus, non aetas miſeratio- nem attulit, profana ſimul, & ſacra, & celeberri- mum illis gentibus templum, quod Tanfanae uoca- bant, ſolo aequantur. Was man aus Tanfana ma- chen ſolle, iſt ungewiß. loccenivs leitet den Na- men von dem Teutſchen Worte Than, und Fana, oder Fan ab, welches in lingua Gotho-Teuthonica einen Herrn bedeutet. Daß alſo Tanfana ſo viel, als der GOtt eines Waldes, welcher aus Tannen-Baͤu- men beſtanden, hieße. reinesivs fuͤhret p. 188. ant. inſcript. einen alten Stein an, der den Matribus Aufaniabus zu Ehren geſetzet, und meinet, Tanfana ſey eine Gottheit aus eben der Claſſe geweſen. clv- verivs Germ. antiqu. L. I. c. 11. & 47. ſetzet den Wald, darinnen das templum Tanfanae geweſen, zwiſchen der Lippe, und Ems, in Weſtphalen. ia. gronovivs iſt damit nicht zu frieden, und will lieber glauben, daß die Stadt und Graffſchafft Zut- phen, Zutfania, die Helffte ihres Namens von Tanfana habe. 6. taci- L 3

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Zitationshilfe: Mascov, Johann Jakob: Geschichte der Teutschen. Bd. 1. Leipzig, 1726, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mascov_geschichte01_1726/119>, abgerufen am 24.11.2024.