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Mascov, Johann Jakob: Geschichte der Teutschen. Bd. 1. Leipzig, 1726.

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Viertes Buch. Geschichte der Teutschen


I.

Währender Zeit, daß Tiberius sich der Folge im Reiche versicherte,
Vier Römi-
sche Legionen
machen in
Nieder-Ger-
manien einen
Aufruhr.
entstand, unter den Legionen am Rheine, eine Meuterey, die den
Teutschen erwünschte Gelegenheit hätte geben können, in Gallien
einzufallen, wenn nicht Germanici Treue, Klugheit, und gute Auf-
führung die Unruhe beyzeiten gestillet hätte. Es lagen vier Legionen in Ober, und
vier in Nieder-Germanien. Die letzteren vier, so meistens aus neugeworbenen
Leuten bestunden, denen die strenge Krieges-Zucht, auf das Wohlleben, dessen sie in
Rom, und in Jtalien, vorher waren gewohnet gewesen, sehr fremde fürkam, mach-
ten einen offenbaren Aufstand, und nahmen zum Vorwande, daß sie so lange die-
nen sollten, so geringen Lohn hätten, und von ihren Haupt-Leuten so unbarmher-
tzig gehalten würden. Die in Ober-Germanien warteten nur, wie die Sache
ablauffen möchte, und alles kam darauf an, was Germanicus thun würde1.
Dieser Printz besaß die Liebe, und Hochachtung, des gantzen Römischen Volckes, so
wohl wegen des Andenckens seines Vaters, von dem man glaubete, daß er für die
Freyheit nicht ungeneigt gewesen, als auch, weil man dergleichen ihm selbst zutrau-
ete: und von ihm versichert war, daß seine Leutseeligkeit, und Wohlthätigkeit, eine
Würckung seines guten Hertzens, nicht aber einer verstellten Ehr-Begierde, wä-
re. Er wuste zwar, daß ihm weder Tiberius, noch Livia, gewogen, und seine
Gemahlin Agrippina, der noch einige Sproß von Augusti Stamme, konn-
te ihren Haß gegen die Stief-Groß-Mutter, wegen der Verfolgung und
Schmach, so ihr Hauserlitten, um so viel weniger bergen, ie mehr sie von dem
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3

hohen
1 [Beginn Spaltensatz] §. I. 1. Die Meuterey war so gar unter die Besa-
tzung, die an der Ems in Chaucis lag, gekommen.
tacitvs Annal. L. I. c. 38. At in Chaucis
coeptauere seditionem praesidium agitantes
uexillarii discordium legionum, praesenti duorum mi-
litum supplicio paulum repressi sunt. Iusserat id
Mannius, castrorum praefectus, bono magis exemplo,
quam concesso iure. Deinde intumescente motu pro-
fugus repertusque, postquam intutae latebrae, prae-
sidium ab audacia mutuatur: Non praefectum ab iis,
sed Germanicum ducem, sed Tiberium Imperatorem,
uiolari. Simul exterritis, qui obstiterant, raptum
uexillum ad ripam uertit, & si quis agmine decessisset,
pro descrtore fore clamitans, reduxit in hiberna tur-
bidos, & nihil ausos.
2 idem. Annal. L. I. c. 40. Incedebat mulie-
bre, & miserabile agmen, profuga ducis uxor, paruu-
lum sinu filium gerens, lamentantes circum ami-
corum coniuges, quae simul trahebantur, nec minus
tristes, qui manebant. Non florentis Caesaris, neque
suis in castris, sed velut in urbe victa facies, gemi-
tusque, ac planctus, etiam militum aures, oraque ad-
[Spaltenumbruch] uertere. Progrediuntur contuberniis: quis ille fle-
bilis sonus? quod tam triste? feminas inlustres, non
centurionem ad tutelam, non militem, nihil impe-
ratoriae uxoris, aut comitatus soliti,
pergere
ad treveros, et externae fidei.

Pudor inde, & miseratio, & patris Agrippae, Augusti
aui memoria, socer Drusus; ipsa insigni fecunditate,
praeclara pudicitia: iam infans in castris genitus,
in contubernio legionum eductus, quem militari uo-
cabulo, Caligulam, appellabant, quia plerumque ad
concilianda uulgi studia, eo tegmine pedum indueba-
tur.
sed nihil aeqve flexit, qvam
invidia in treveros.
orant, obsistunt,
rediret, maneret: pars Agrippinae occursantes, plu-
rimi ad Germanicum regressi.
& c. 44. Supplices
ad haec, & uera exprobrari fatentes, orabant, puni-
ret noxios, ignosceret lapsis, & duceret in hostem;

revocaretvr conivnx, rediret
legionvm alvmnvs, neve obses
gallis traderetvr.
3 Dieses alles beschreibet weitläuftig taci-
tvs
Annal. L. I. cap.
31-39.
[Ende Spaltensatz]
§. II. 1.
Viertes Buch. Geſchichte der Teutſchen


I.

Waͤhrender Zeit, daß Tiberius ſich der Folge im Reiche verſicherte,
Vier Roͤmi-
ſche Legionen
machen in
Nieder-Ger-
manien einen
Aufruhr.
entſtand, unter den Legionen am Rheine, eine Meuterey, die den
Teutſchen erwuͤnſchte Gelegenheit haͤtte geben koͤnnen, in Gallien
einzufallen, wenn nicht Germanici Treue, Klugheit, und gute Auf-
fuͤhrung die Unruhe beyzeiten geſtillet haͤtte. Es lagen vier Legionen in Ober, und
vier in Nieder-Germanien. Die letzteren vier, ſo meiſtens aus neugeworbenen
Leuten beſtunden, denen die ſtrenge Krieges-Zucht, auf das Wohlleben, deſſen ſie in
Rom, und in Jtalien, vorher waren gewohnet geweſen, ſehr fremde fuͤrkam, mach-
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nen ſollten, ſo geringen Lohn haͤtten, und von ihren Haupt-Leuten ſo unbarmher-
tzig gehalten wuͤrden. Die in Ober-Germanien warteten nur, wie die Sache
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Dieſer Printz beſaß die Liebe, und Hochachtung, des gantzen Roͤmiſchen Volckes, ſo
wohl wegen des Andenckens ſeines Vaters, von dem man glaubete, daß er fuͤr die
Freyheit nicht ungeneigt geweſen, als auch, weil man dergleichen ihm ſelbſt zutrau-
ete: und von ihm verſichert war, daß ſeine Leutſeeligkeit, und Wohlthaͤtigkeit, eine
Wuͤrckung ſeines guten Hertzens, nicht aber einer verſtellten Ehr-Begierde, waͤ-
re. Er wuſte zwar, daß ihm weder Tiberius, noch Livia, gewogen, und ſeine
Gemahlin Agrippina, der noch einige Sproß von Auguſti Stamme, konn-
te ihren Haß gegen die Stief-Groß-Mutter, wegen der Verfolgung und
Schmach, ſo ihr Hauserlitten, um ſo viel weniger bergen, ie mehr ſie von dem
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1 [Beginn Spaltensatz] §. I. 1. Die Meuterey war ſo gar unter die Beſa-
tzung, die an der Ems in Chaucis lag, gekommen.
tacitvs Annal. L. I. c. 38. At in Chaucis
coeptauere ſeditionem praeſidium agitantes
uexillarii diſcordium legionum, praeſenti duorum mi-
litum ſupplicio paulum repreſſi ſunt. Iuſſerat id
Mannius, caſtrorum praefectus, bono magis exemplo,
quam conceſſo iure. Deinde intumeſcente motu pro-
fugus repertusque, poſtquam intutae latebrae, prae-
ſidium ab audacia mutuatur: Non praefectum ab iis,
ſed Germanicum ducem, ſed Tiberium Imperatorem,
uiolari. Simul exterritis, qui obſtiterant, raptum
uexillum ad ripam uertit, & ſi quis agmine deceſſiſſet,
pro deſcrtore fore clamitans, reduxit in hiberna tur-
bidos, & nihil auſos.
2 idem. Annal. L. I. c. 40. Incedebat mulie-
bre, & miſerabile agmen, profuga ducis uxor, paruu-
lum ſinu filium gerens, lamentantes circum ami-
corum coniuges, quae ſimul trahebantur, nec minus
triſtes, qui manebant. Non florentis Caeſaris, neque
ſuis in caſtris, ſed velut in urbe victa facies, gemi-
tusque, ac planctus, etiam militum aures, oraque ad-
[Spaltenumbruch] uertere. Progrediuntur contuberniis: quis ille fle-
bilis ſonus? quod tam triſte? feminas inluſtres, non
centurionem ad tutelam, non militem, nihil impe-
ratoriae uxoris, aut comitatus ſoliti,
pergere
ad treveros, et externae fidei.

Pudor inde, & miſeratio, & patris Agrippae, Auguſti
aui memoria, ſocer Druſus; ipſa inſigni fecunditate,
praeclara pudicitia: iam infans in caſtris genitus,
in contubernio legionum eductus, quem militari uo-
cabulo, Caligulam, appellabant, quia plerumque ad
concilianda uulgi ſtudia, eo tegmine pedum indueba-
tur.
sed nihil aeqve flexit, qvam
invidia in treveros.
orant, obſiſtunt,
rediret, maneret: pars Agrippinae occurſantes, plu-
rimi ad Germanicum regreſſi.
& c. 44. Supplices
ad haec, & uera exprobrari fatentes, orabant, puni-
ret noxios, ignoſceret lapſis, & duceret in hoſtem;

revocaretvr conivnx, rediret
legionvm alvmnvs, neve obses
gallis traderetvr.
3 Dieſes alles beſchreibet weitlaͤuftig taci-
tvs
Annal. L. I. cap.
31-39.
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[84/0118] Viertes Buch. Geſchichte der Teutſchen I. Waͤhrender Zeit, daß Tiberius ſich der Folge im Reiche verſicherte, entſtand, unter den Legionen am Rheine, eine Meuterey, die den Teutſchen erwuͤnſchte Gelegenheit haͤtte geben koͤnnen, in Gallien einzufallen, wenn nicht Germanici Treue, Klugheit, und gute Auf- fuͤhrung die Unruhe beyzeiten geſtillet haͤtte. Es lagen vier Legionen in Ober, und vier in Nieder-Germanien. Die letzteren vier, ſo meiſtens aus neugeworbenen Leuten beſtunden, denen die ſtrenge Krieges-Zucht, auf das Wohlleben, deſſen ſie in Rom, und in Jtalien, vorher waren gewohnet geweſen, ſehr fremde fuͤrkam, mach- ten einen offenbaren Aufſtand, und nahmen zum Vorwande, daß ſie ſo lange die- nen ſollten, ſo geringen Lohn haͤtten, und von ihren Haupt-Leuten ſo unbarmher- tzig gehalten wuͤrden. Die in Ober-Germanien warteten nur, wie die Sache ablauffen moͤchte, und alles kam darauf an, was Germanicus thun wuͤrde 1. Dieſer Printz beſaß die Liebe, und Hochachtung, des gantzen Roͤmiſchen Volckes, ſo wohl wegen des Andenckens ſeines Vaters, von dem man glaubete, daß er fuͤr die Freyheit nicht ungeneigt geweſen, als auch, weil man dergleichen ihm ſelbſt zutrau- ete: und von ihm verſichert war, daß ſeine Leutſeeligkeit, und Wohlthaͤtigkeit, eine Wuͤrckung ſeines guten Hertzens, nicht aber einer verſtellten Ehr-Begierde, waͤ- re. Er wuſte zwar, daß ihm weder Tiberius, noch Livia, gewogen, und ſeine Gemahlin Agrippina, der noch einige Sproß von Auguſti Stamme, konn- te ihren Haß gegen die Stief-Groß-Mutter, wegen der Verfolgung und Schmach, ſo ihr Hauserlitten, um ſo viel weniger bergen, ie mehr ſie von dem hohen 2 3 Vier Roͤmi- ſche Legionen machen in Nieder-Ger- manien einen Aufruhr. 1 §. I. 1. Die Meuterey war ſo gar unter die Beſa- tzung, die an der Ems in Chaucis lag, gekommen. tacitvs Annal. L. I. c. 38. At in Chaucis coeptauere ſeditionem praeſidium agitantes uexillarii diſcordium legionum, praeſenti duorum mi- litum ſupplicio paulum repreſſi ſunt. Iuſſerat id Mannius, caſtrorum praefectus, bono magis exemplo, quam conceſſo iure. Deinde intumeſcente motu pro- fugus repertusque, poſtquam intutae latebrae, prae- ſidium ab audacia mutuatur: Non praefectum ab iis, ſed Germanicum ducem, ſed Tiberium Imperatorem, uiolari. Simul exterritis, qui obſtiterant, raptum uexillum ad ripam uertit, & ſi quis agmine deceſſiſſet, pro deſcrtore fore clamitans, reduxit in hiberna tur- bidos, & nihil auſos. 2 idem. Annal. L. I. c. 40. Incedebat mulie- bre, & miſerabile agmen, profuga ducis uxor, paruu- lum ſinu filium gerens, lamentantes circum ami- corum coniuges, quae ſimul trahebantur, nec minus triſtes, qui manebant. Non florentis Caeſaris, neque ſuis in caſtris, ſed velut in urbe victa facies, gemi- tusque, ac planctus, etiam militum aures, oraque ad- uertere. Progrediuntur contuberniis: quis ille fle- bilis ſonus? quod tam triſte? feminas inluſtres, non centurionem ad tutelam, non militem, nihil impe- ratoriae uxoris, aut comitatus ſoliti, pergere ad treveros, et externae fidei. Pudor inde, & miſeratio, & patris Agrippae, Auguſti aui memoria, ſocer Druſus; ipſa inſigni fecunditate, praeclara pudicitia: iam infans in caſtris genitus, in contubernio legionum eductus, quem militari uo- cabulo, Caligulam, appellabant, quia plerumque ad concilianda uulgi ſtudia, eo tegmine pedum indueba- tur. sed nihil aeqve flexit, qvam invidia in treveros. orant, obſiſtunt, rediret, maneret: pars Agrippinae occurſantes, plu- rimi ad Germanicum regreſſi. & c. 44. Supplices ad haec, & uera exprobrari fatentes, orabant, puni- ret noxios, ignoſceret lapſis, & duceret in hoſtem; revocaretvr conivnx, rediret legionvm alvmnvs, neve obses gallis traderetvr. 3 Dieſes alles beſchreibet weitlaͤuftig taci- tvs Annal. L. I. cap. 31-39. §. II. 1.

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Zitationshilfe: Mascov, Johann Jakob: Geschichte der Teutschen. Bd. 1. Leipzig, 1726, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mascov_geschichte01_1726/118>, abgerufen am 21.11.2024.