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Mascov, Johann Jakob: Geschichte der Teutschen. Bd. 1. Leipzig, 1726.

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Erstes Buch. Geschichte der Teutschen


I.

Vorhaben des
Verfassers.

DUrch was für Wege und unter wessen Anführung die Teutschen
zuerst in das Land gekommen, so von ihnen den Namen behal-
ten, ist eben so schwehr auszumachen, als ihnen einen gewissen
Stamm-Vater unter Noäh Söhnen anzuweisen. 1. Was
tacitvs 2 von ihren eigenen Erzehlungen aufgezeichnet, ist
dunckel und fabelhaft, und zeiget genugsam, wie schlechte Hi-
storici
sie gewesen, und wie unvollkommen ihre Nachrichten
mögen an die Römer gekommen seyn. Die verwegenen Ge-
dichte des so genannten Berosi, die Io. Annius von Viterbo der Welt aufhängen
wollen, und die vormals einige von unsern Landes-Leuten verführet, sind heutiges
Tages so berüchtiget, daß es nicht mehr nöthig, iemand davor zu warnen. Bey
den ältesten Griechischen Historicis stecken die Teutschen Völcker, theils unter dem
Namen der Scythen, 3 theils unter dem Namen der Celten verborgen. Unter
beyden aber werden zugleich so viel andre gantz abgesonderte Nationen begriffen,
daß man es nicht wagen darf, was man von Scythen und Celten findet, auf die Teut-
schen zu ziehen, wenn nicht die übrigen Umstände solches zu erfordern scheinen. Zu
dem haben die Griechen selbst nicht eher ausführliche Nachrichten von Teutschen
Sachen erlanget, als bis die Römer die entlegensten Theile von Teutschland, bey
Gelegenheit ihrer Kriege, der Neubegierigkeit derer, so sich um Historie und Geo-
graphie bekümmerten, geöfnet. 4 Die beste Methode ist in der Historie, wie in
andern Wissenschafften, daß man den Anfang machet von dem, was deutlich und
zu erweisen ist, als worauf sich alle Muthmassungen gründen müssen, die hernach
in andern Stücken den Mangel von Gewißheit ersetzen sollen. Wir wollen also
die Geschichte der alten Teutschen mit den Nachrichten anfangen, die wir bey
glaubwürdigen alten Lateinischen und Griechischen Scribenten finden. Weil aber
damahls die Teutschen Völcker noch nicht in einer gemeinsamen Verfassung gestan-
den, müssen wir uns so lange mit einzeln Erzehlungen von diesem und jenem Volcke
begnügen, bis wir an die Zeiten kommen, da die Francken, nebst einem grossen
Theile Römischer Provinzen, auch alle andere Teutsche Völcker, die in Germanien
geblieben waren, unter ihrer Bothmässigkeit vereiniget. Wie nun aus der Tren-
nung des Fränckischen Reichs das Teutsche entstanden, dessen Ursprüngen diese
1

Arbeit
1. [Beginn Spaltensatz] §. I. 1. Siehe indessen Herrn Leibnitzens medita-
tiones de originibus gentium, e linguis gentium
deductas.
2 tacitvs de M. G. c. 2. Celebrant carmini-
bus antiquis
(quod unum apud illos memoriae & an-
nalium genus est
) Tuistonem, Deum terra editum &
filium Mannum, originem gentis, conditoresque.
Manno tres filios assignant, e quorum nominibus
proximi Oceano Ingaeuones, medii Hermiones, cae-
teri Istaeuones uocentur. Quidam autem licentia
netustatis, plures Deo ortos, pluresque gentis appel-
[Spaltenumbruch] lationes, Marsos, Gambriuios, Sueuos, Vandalios
adfirmant: eaque uera & antiqua nomina.
3 plinivs H. N. L. IV. c. 25. Scytharum nomen
usquequaque transit in Sarmatas atque Germanos.
Nec aliis prisca illa durauit appellatio, quam qui ex-
tremi gentium harum, ignoti prope caeteris morta-
libus degunt.
4 plinivs L. IV. c. 28. Nam Germania
multis postea
(scilicet, post. tempora M. Agrip-
pae) annis nec tota percognita est.
1 §II. 1.tacitvs unterscheidet die Germanos
[Ende Spaltensatz]
von
Erſtes Buch. Geſchichte der Teutſchen


I.

Vorhaben des
Verfaſſers.

DUrch was fuͤr Wege und unter weſſen Anfuͤhrung die Teutſchen
zuerſt in das Land gekommen, ſo von ihnen den Namen behal-
ten, iſt eben ſo ſchwehr auszumachen, als ihnen einen gewiſſen
Stamm-Vater unter Noaͤh Soͤhnen anzuweiſen. 1. Was
tacitvs 2 von ihren eigenen Erzehlungen aufgezeichnet, iſt
dunckel und fabelhaft, und zeiget genugſam, wie ſchlechte Hi-
ſtorici
ſie geweſen, und wie unvollkommen ihre Nachrichten
moͤgen an die Roͤmer gekommen ſeyn. Die verwegenen Ge-
dichte des ſo genannten Beroſi, die Io. Annius von Viterbo der Welt aufhaͤngen
wollen, und die vormals einige von unſern Landes-Leuten verfuͤhret, ſind heutiges
Tages ſo beruͤchtiget, daß es nicht mehr noͤthig, iemand davor zu warnen. Bey
den aͤlteſten Griechiſchen Hiſtoricis ſtecken die Teutſchen Voͤlcker, theils unter dem
Namen der Scythen, 3 theils unter dem Namen der Celten verborgen. Unter
beyden aber werden zugleich ſo viel andre gantz abgeſonderte Nationen begriffen,
daß man es nicht wagen daꝛf, was man von Scythen und Celten findet, auf die Teut-
ſchen zu ziehen, wenn nicht die uͤbrigen Umſtaͤnde ſolches zu erfordern ſcheinen. Zu
dem haben die Griechen ſelbſt nicht eher ausfuͤhrliche Nachrichten von Teutſchen
Sachen erlanget, als bis die Roͤmer die entlegenſten Theile von Teutſchland, bey
Gelegenheit ihrer Kriege, der Neubegierigkeit derer, ſo ſich um Hiſtorie und Geo-
graphie bekuͤmmerten, geoͤfnet. 4 Die beſte Methode iſt in der Hiſtorie, wie in
andern Wiſſenſchafften, daß man den Anfang machet von dem, was deutlich und
zu erweiſen iſt, als worauf ſich alle Muthmaſſungen gruͤnden muͤſſen, die hernach
in andern Stuͤcken den Mangel von Gewißheit erſetzen ſollen. Wir wollen alſo
die Geſchichte der alten Teutſchen mit den Nachrichten anfangen, die wir bey
glaubwuͤrdigen alten Lateiniſchen und Griechiſchen Scribenten finden. Weil aber
damahls die Teutſchen Voͤlcker noch nicht in einer gemeinſamen Verfaſſung geſtan-
den, muͤſſen wir uns ſo lange mit einzeln Erzehlungen von dieſem und jenem Volcke
begnuͤgen, bis wir an die Zeiten kommen, da die Francken, nebſt einem groſſen
Theile Roͤmiſcher Provinzen, auch alle andere Teutſche Voͤlcker, die in Germanien
geblieben waren, unter ihrer Bothmaͤſſigkeit vereiniget. Wie nun aus der Tren-
nung des Fraͤnckiſchen Reichs das Teutſche entſtanden, deſſen Urſpruͤngen dieſe
1

Arbeit
1. [Beginn Spaltensatz] §. I. 1. Siehe indeſſen Herrn Leibnitzens medita-
tiones de originibus gentium, e linguis gentium
deductas.
2 tacitvs de M. G. c. 2. Celebrant carmini-
bus antiquis
(quod unum apud illos memoriae & an-
nalium genus eſt
) Tuiſtonem, Deum terra editum &
filium Mannum, originem gentis, conditoresque.
Manno tres filios aſſignant, e quorum nominibus
proximi Oceano Ingaeuones, medii Hermiones, cae-
teri Iſtaeuones uocentur. Quidam autem licentia
netuſtatis, plures Deo ortos, pluresque gentis appel-
[Spaltenumbruch] lationes, Marſos, Gambriuios, Sueuos, Vandalios
adfirmant: eaque uera & antiqua nomina.
3 plinivs H. N. L. IV. c. 25. Scytharum nomen
usquequaque tranſit in Sarmatas atque Germanos.
Nec aliis priſca illa durauit appellatio, quam qui ex-
tremi gentium harum, ignoti prope caeteris morta-
libus degunt.
4 plinivs L. IV. c. 28. Nam Germania
multis poſtea
(ſcilicet, poſt. tempora M. Agrip-
pae) annis nec tota percognita eſt.
1 §II. 1.tacitvs unterſcheidet die Germanos
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[2/0036] Erſtes Buch. Geſchichte der Teutſchen I. DUrch was fuͤr Wege und unter weſſen Anfuͤhrung die Teutſchen zuerſt in das Land gekommen, ſo von ihnen den Namen behal- ten, iſt eben ſo ſchwehr auszumachen, als ihnen einen gewiſſen Stamm-Vater unter Noaͤh Soͤhnen anzuweiſen. 1. Was tacitvs 2 von ihren eigenen Erzehlungen aufgezeichnet, iſt dunckel und fabelhaft, und zeiget genugſam, wie ſchlechte Hi- ſtorici ſie geweſen, und wie unvollkommen ihre Nachrichten moͤgen an die Roͤmer gekommen ſeyn. Die verwegenen Ge- dichte des ſo genannten Beroſi, die Io. Annius von Viterbo der Welt aufhaͤngen wollen, und die vormals einige von unſern Landes-Leuten verfuͤhret, ſind heutiges Tages ſo beruͤchtiget, daß es nicht mehr noͤthig, iemand davor zu warnen. Bey den aͤlteſten Griechiſchen Hiſtoricis ſtecken die Teutſchen Voͤlcker, theils unter dem Namen der Scythen, 3 theils unter dem Namen der Celten verborgen. Unter beyden aber werden zugleich ſo viel andre gantz abgeſonderte Nationen begriffen, daß man es nicht wagen daꝛf, was man von Scythen und Celten findet, auf die Teut- ſchen zu ziehen, wenn nicht die uͤbrigen Umſtaͤnde ſolches zu erfordern ſcheinen. Zu dem haben die Griechen ſelbſt nicht eher ausfuͤhrliche Nachrichten von Teutſchen Sachen erlanget, als bis die Roͤmer die entlegenſten Theile von Teutſchland, bey Gelegenheit ihrer Kriege, der Neubegierigkeit derer, ſo ſich um Hiſtorie und Geo- graphie bekuͤmmerten, geoͤfnet. 4 Die beſte Methode iſt in der Hiſtorie, wie in andern Wiſſenſchafften, daß man den Anfang machet von dem, was deutlich und zu erweiſen iſt, als worauf ſich alle Muthmaſſungen gruͤnden muͤſſen, die hernach in andern Stuͤcken den Mangel von Gewißheit erſetzen ſollen. Wir wollen alſo die Geſchichte der alten Teutſchen mit den Nachrichten anfangen, die wir bey glaubwuͤrdigen alten Lateiniſchen und Griechiſchen Scribenten finden. Weil aber damahls die Teutſchen Voͤlcker noch nicht in einer gemeinſamen Verfaſſung geſtan- den, muͤſſen wir uns ſo lange mit einzeln Erzehlungen von dieſem und jenem Volcke begnuͤgen, bis wir an die Zeiten kommen, da die Francken, nebſt einem groſſen Theile Roͤmiſcher Provinzen, auch alle andere Teutſche Voͤlcker, die in Germanien geblieben waren, unter ihrer Bothmaͤſſigkeit vereiniget. Wie nun aus der Tren- nung des Fraͤnckiſchen Reichs das Teutſche entſtanden, deſſen Urſpruͤngen dieſe Arbeit 1 1. §. I. 1. Siehe indeſſen Herrn Leibnitzens medita- tiones de originibus gentium, e linguis gentium deductas. 2 tacitvs de M. G. c. 2. Celebrant carmini- bus antiquis (quod unum apud illos memoriae & an- nalium genus eſt) Tuiſtonem, Deum terra editum & filium Mannum, originem gentis, conditoresque. Manno tres filios aſſignant, e quorum nominibus proximi Oceano Ingaeuones, medii Hermiones, cae- teri Iſtaeuones uocentur. Quidam autem licentia netuſtatis, plures Deo ortos, pluresque gentis appel- lationes, Marſos, Gambriuios, Sueuos, Vandalios adfirmant: eaque uera & antiqua nomina. 3 plinivs H. N. L. IV. c. 25. Scytharum nomen usquequaque tranſit in Sarmatas atque Germanos. Nec aliis priſca illa durauit appellatio, quam qui ex- tremi gentium harum, ignoti prope caeteris morta- libus degunt. 4 plinivs L. IV. c. 28. Nam Germania multis poſtea (ſcilicet, poſt. tempora M. Agrip- pae) annis nec tota percognita eſt. 1 §II. 1.tacitvs unterſcheidet die Germanos von

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Zitationshilfe: Mascov, Johann Jakob: Geschichte der Teutschen. Bd. 1. Leipzig, 1726, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mascov_geschichte01_1726/36>, abgerufen am 21.11.2024.