Gedanken werden dich begleiten, meine Wünsche werden weilen in den Spuren deiner Füße. Du hast Abschied genommen von dem Mir Scheik Khan, aber er hat mir seinen Segen mitgegeben, daß ich ihn im Augenblicke des Scheidens auf dein Haupt legen soll. Gott sei mit dir und bleibe bei dir zu aller Zeit und auf allen Wegen; sein Zorn treffe deine Feinde, und seine Gnade erleuchte deine Freunde! Du gehst großen Gefahren entgegen, und der Mir Scheik Khan hat dir seinen Schutz versprochen. Er sendet dir diesen Melek Ta-us, damit er dir als Talis- man diene. Ich weiß, du hältst diesen Vogel nicht für ein Götzenbild, sondern für ein Zeichen, an welchem du als unser Freund erkannt wirst. Jeder Dschesidi, welchem du diesen Ta-us zeigest, wird für dich sein Gut und sein Leben opfern. Nimm diese Gabe, aber vertraue sie keinem andern an, denn sie ist für dich allein bestimmt! Und nun lebe wohl, und vergiß nie diejenigen, welche dich lieben!"
Er umarmte mich, stieg dann schnell auf sein Pferd und ritt, ohne sich umzusehen, von dannen. Es war mir, als sei ein Stück meines Herzens mit ihm davongegangen. Es war ein großes, ein sehr großes Geschenk, das mir der Mir Scheik Khan durch ihn gemacht hatte. Wie viel ist über das Vorhandensein eines Melek Ta-us gestritten worden! Und hier hatte ich dieses rätselhafte Zeichen in meiner eignen Hand. Es war ein ganz ungewöhnliches Vertrauen, dessen mich der Khan würdigte, und es ver- stand sich ganz von selbst, daß ich mich der Figur nur im äußersten Notfalle bedienen würde.
Sie war aus Kupfer und stellte einen Vogel dar, der seine Schwingen zum Fluge entfaltete, und auf dem unteren Teile zeigte sich das Kurmangdschi-Wort "Hemd- scher", d. i. Freund oder Genosse, eingegraben. Eine seidene Schnur diente dazu, sie um den Hals zu befestigen.
Gedanken werden dich begleiten, meine Wünſche werden weilen in den Spuren deiner Füße. Du haſt Abſchied genommen von dem Mir Scheik Khan, aber er hat mir ſeinen Segen mitgegeben, daß ich ihn im Augenblicke des Scheidens auf dein Haupt legen ſoll. Gott ſei mit dir und bleibe bei dir zu aller Zeit und auf allen Wegen; ſein Zorn treffe deine Feinde, und ſeine Gnade erleuchte deine Freunde! Du gehſt großen Gefahren entgegen, und der Mir Scheik Khan hat dir ſeinen Schutz verſprochen. Er ſendet dir dieſen Melek Ta-us, damit er dir als Talis- man diene. Ich weiß, du hältſt dieſen Vogel nicht für ein Götzenbild, ſondern für ein Zeichen, an welchem du als unſer Freund erkannt wirſt. Jeder Dſcheſidi, welchem du dieſen Ta-us zeigeſt, wird für dich ſein Gut und ſein Leben opfern. Nimm dieſe Gabe, aber vertraue ſie keinem andern an, denn ſie iſt für dich allein beſtimmt! Und nun lebe wohl, und vergiß nie diejenigen, welche dich lieben!“
Er umarmte mich, ſtieg dann ſchnell auf ſein Pferd und ritt, ohne ſich umzuſehen, von dannen. Es war mir, als ſei ein Stück meines Herzens mit ihm davongegangen. Es war ein großes, ein ſehr großes Geſchenk, das mir der Mir Scheik Khan durch ihn gemacht hatte. Wie viel iſt über das Vorhandenſein eines Melek Ta-us geſtritten worden! Und hier hatte ich dieſes rätſelhafte Zeichen in meiner eignen Hand. Es war ein ganz ungewöhnliches Vertrauen, deſſen mich der Khan würdigte, und es ver- ſtand ſich ganz von ſelbſt, daß ich mich der Figur nur im äußerſten Notfalle bedienen würde.
Sie war aus Kupfer und ſtellte einen Vogel dar, der ſeine Schwingen zum Fluge entfaltete, und auf dem unteren Teile zeigte ſich das Kurmangdſchi-Wort „Hemd- ſcher“, d. i. Freund oder Genoſſe, eingegraben. Eine ſeidene Schnur diente dazu, ſie um den Hals zu befeſtigen.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0131"n="117"/>
Gedanken werden dich begleiten, meine Wünſche werden<lb/>
weilen in den Spuren deiner Füße. Du haſt Abſchied<lb/>
genommen von dem Mir Scheik Khan, aber er hat mir<lb/>ſeinen Segen mitgegeben, daß ich ihn im Augenblicke des<lb/>
Scheidens auf dein Haupt legen ſoll. Gott ſei mit dir<lb/>
und bleibe bei dir zu aller Zeit und auf allen Wegen;<lb/>ſein Zorn treffe deine Feinde, und ſeine Gnade erleuchte<lb/>
deine Freunde! Du gehſt großen Gefahren entgegen, und<lb/>
der Mir Scheik Khan hat dir ſeinen Schutz verſprochen.<lb/>
Er ſendet dir dieſen Melek Ta-us, damit er dir als Talis-<lb/>
man diene. Ich weiß, du hältſt dieſen Vogel nicht für ein<lb/>
Götzenbild, ſondern für ein Zeichen, an welchem du als<lb/>
unſer Freund erkannt wirſt. Jeder Dſcheſidi, welchem du<lb/>
dieſen Ta-us zeigeſt, wird für dich ſein Gut und ſein Leben<lb/>
opfern. Nimm dieſe Gabe, aber vertraue ſie keinem andern<lb/>
an, denn ſie iſt für dich allein beſtimmt! Und nun lebe<lb/>
wohl, und vergiß nie diejenigen, welche dich lieben!“</p><lb/><p>Er umarmte mich, ſtieg dann ſchnell auf ſein Pferd<lb/>
und ritt, ohne ſich umzuſehen, von dannen. Es war mir,<lb/>
als ſei ein Stück meines Herzens mit ihm davongegangen.<lb/>
Es war ein großes, ein ſehr großes Geſchenk, das mir<lb/>
der Mir Scheik Khan durch ihn gemacht hatte. Wie viel<lb/>
iſt über das Vorhandenſein eines Melek Ta-us geſtritten<lb/>
worden! Und hier hatte ich dieſes rätſelhafte Zeichen in<lb/>
meiner eignen Hand. Es war ein ganz ungewöhnliches<lb/>
Vertrauen, deſſen mich der Khan würdigte, und es ver-<lb/>ſtand ſich ganz von ſelbſt, daß ich mich der Figur nur im<lb/>
äußerſten Notfalle bedienen würde.</p><lb/><p>Sie war aus Kupfer und ſtellte einen Vogel dar,<lb/>
der ſeine Schwingen zum Fluge entfaltete, und auf dem<lb/>
unteren Teile zeigte ſich das Kurmangdſchi-Wort „Hemd-<lb/>ſcher“, d. i. Freund oder Genoſſe, eingegraben. Eine ſeidene<lb/>
Schnur diente dazu, ſie um den Hals zu befeſtigen.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[117/0131]
Gedanken werden dich begleiten, meine Wünſche werden
weilen in den Spuren deiner Füße. Du haſt Abſchied
genommen von dem Mir Scheik Khan, aber er hat mir
ſeinen Segen mitgegeben, daß ich ihn im Augenblicke des
Scheidens auf dein Haupt legen ſoll. Gott ſei mit dir
und bleibe bei dir zu aller Zeit und auf allen Wegen;
ſein Zorn treffe deine Feinde, und ſeine Gnade erleuchte
deine Freunde! Du gehſt großen Gefahren entgegen, und
der Mir Scheik Khan hat dir ſeinen Schutz verſprochen.
Er ſendet dir dieſen Melek Ta-us, damit er dir als Talis-
man diene. Ich weiß, du hältſt dieſen Vogel nicht für ein
Götzenbild, ſondern für ein Zeichen, an welchem du als
unſer Freund erkannt wirſt. Jeder Dſcheſidi, welchem du
dieſen Ta-us zeigeſt, wird für dich ſein Gut und ſein Leben
opfern. Nimm dieſe Gabe, aber vertraue ſie keinem andern
an, denn ſie iſt für dich allein beſtimmt! Und nun lebe
wohl, und vergiß nie diejenigen, welche dich lieben!“
Er umarmte mich, ſtieg dann ſchnell auf ſein Pferd
und ritt, ohne ſich umzuſehen, von dannen. Es war mir,
als ſei ein Stück meines Herzens mit ihm davongegangen.
Es war ein großes, ein ſehr großes Geſchenk, das mir
der Mir Scheik Khan durch ihn gemacht hatte. Wie viel
iſt über das Vorhandenſein eines Melek Ta-us geſtritten
worden! Und hier hatte ich dieſes rätſelhafte Zeichen in
meiner eignen Hand. Es war ein ganz ungewöhnliches
Vertrauen, deſſen mich der Khan würdigte, und es ver-
ſtand ſich ganz von ſelbſt, daß ich mich der Figur nur im
äußerſten Notfalle bedienen würde.
Sie war aus Kupfer und ſtellte einen Vogel dar,
der ſeine Schwingen zum Fluge entfaltete, und auf dem
unteren Teile zeigte ſich das Kurmangdſchi-Wort „Hemd-
ſcher“, d. i. Freund oder Genoſſe, eingegraben. Eine ſeidene
Schnur diente dazu, ſie um den Hals zu befeſtigen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/131>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.