Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

sich die Aeuglein abermals aus und betrachtete uns sehr
genau. Ich selbst war etwas erstaunt über diese Be-
hauptung des Agha. Was denn eigentlich sollten wir
sein, wenn wir keine Männer waren?

"Nein," antwortete er. "Es sind keine Männer,
sondern Effendis, große Effendis, die unter dem Schutze
des Großherrn stehen."

"Was geht mich der Großherr an! Hier bin ich die
Großherrin, die Sultanin Valide, und was ich sage,
das -- -- --"

"Aber so höre doch! Sie werden ein sehr gutes
Backschisch geben!"

Backschisch hat im Oriente eine zauberhafte Wirkung;
es schien auch hier das richtig erlösende Wort zu sein.
Die "Myrte" ließ die Arme sinken, versuchte ein einlen-
kendes Lächeln, welches aber in ein höhnisches Grinsen
ausartete, und wandte sich an Master David Lindsay:

"Ein großes Backschisch? Ist das wahr?"

Der Gefragte schüttelte den Kopf und deutete auf mich.

"Was ist mit diesem?" fragte sie mich. "Ist er über-
geschnappt?"

"Nein," antwortete ich. "Laß dir sagen, wer wir
sind, du Seele dieses Hauses! Dieser Mann, den du jetzt
fragtest, ist ein sehr frommer Pilger aus Londonistan;
er gräbt mit seiner Hacke, die du hier siehst, in die Erde,
um die Sprache der Verstorbenen zu belauschen, und hat
ein Gelübde gethan, kein Wort zu reden, bis er die Er-
laubnis dazu hat."

"Ein Frommer, ein Heiliger, ein Zauberer?" fragte
sie erschrocken.

"Ja. Ich warne dich, ihn zu beleidigen! Dieser
andere Mann ist der Anführer eines großen Volkes weit
im Westen von hier, und ich bin ein Emir derjenigen

ſich die Aeuglein abermals aus und betrachtete uns ſehr
genau. Ich ſelbſt war etwas erſtaunt über dieſe Be-
hauptung des Agha. Was denn eigentlich ſollten wir
ſein, wenn wir keine Männer waren?

„Nein,“ antwortete er. „Es ſind keine Männer,
ſondern Effendis, große Effendis, die unter dem Schutze
des Großherrn ſtehen.“

„Was geht mich der Großherr an! Hier bin ich die
Großherrin, die Sultanin Valide, und was ich ſage,
das — — —“

„Aber ſo höre doch! Sie werden ein ſehr gutes
Backſchiſch geben!“

Backſchiſch hat im Oriente eine zauberhafte Wirkung;
es ſchien auch hier das richtig erlöſende Wort zu ſein.
Die „Myrte“ ließ die Arme ſinken, verſuchte ein einlen-
kendes Lächeln, welches aber in ein höhniſches Grinſen
ausartete, und wandte ſich an Maſter David Lindſay:

„Ein großes Backſchiſch? Iſt das wahr?“

Der Gefragte ſchüttelte den Kopf und deutete auf mich.

„Was iſt mit dieſem?“ fragte ſie mich. „Iſt er über-
geſchnappt?“

„Nein,“ antwortete ich. „Laß dir ſagen, wer wir
ſind, du Seele dieſes Hauſes! Dieſer Mann, den du jetzt
fragteſt, iſt ein ſehr frommer Pilger aus Londoniſtan;
er gräbt mit ſeiner Hacke, die du hier ſiehſt, in die Erde,
um die Sprache der Verſtorbenen zu belauſchen, und hat
ein Gelübde gethan, kein Wort zu reden, bis er die Er-
laubnis dazu hat.“

„Ein Frommer, ein Heiliger, ein Zauberer?“ fragte
ſie erſchrocken.

„Ja. Ich warne dich, ihn zu beleidigen! Dieſer
andere Mann iſt der Anführer eines großen Volkes weit
im Weſten von hier, und ich bin ein Emir derjenigen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0177" n="163"/>
&#x017F;ich die Aeuglein abermals aus und betrachtete uns &#x017F;ehr<lb/>
genau. Ich &#x017F;elb&#x017F;t war etwas er&#x017F;taunt über die&#x017F;e Be-<lb/>
hauptung des Agha. Was denn eigentlich &#x017F;ollten wir<lb/>
&#x017F;ein, wenn wir keine Männer waren?</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein,&#x201C; antwortete er. &#x201E;Es &#x017F;ind keine Männer,<lb/>
&#x017F;ondern Effendis, große Effendis, die unter dem Schutze<lb/>
des Großherrn &#x017F;tehen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Was geht mich der Großherr an! Hier bin ich die<lb/>
Großherrin, die Sultanin Valide, und was ich &#x017F;age,<lb/>
das &#x2014; &#x2014; &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber &#x017F;o höre doch! Sie werden ein &#x017F;ehr gutes<lb/>
Back&#x017F;chi&#x017F;ch geben!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Back&#x017F;chi&#x017F;ch hat im Oriente eine zauberhafte Wirkung;<lb/>
es &#x017F;chien auch hier das richtig erlö&#x017F;ende Wort zu &#x017F;ein.<lb/>
Die &#x201E;Myrte&#x201C; ließ die Arme &#x017F;inken, ver&#x017F;uchte ein einlen-<lb/>
kendes Lächeln, welches aber in ein höhni&#x017F;ches Grin&#x017F;en<lb/>
ausartete, und wandte &#x017F;ich an Ma&#x017F;ter David Lind&#x017F;ay:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ein großes Back&#x017F;chi&#x017F;ch? I&#x017F;t das wahr?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Gefragte &#x017F;chüttelte den Kopf und deutete auf mich.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Was i&#x017F;t mit die&#x017F;em?&#x201C; fragte &#x017F;ie mich. &#x201E;I&#x017F;t er über-<lb/>
ge&#x017F;chnappt?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein,&#x201C; antwortete ich. &#x201E;Laß dir &#x017F;agen, wer wir<lb/>
&#x017F;ind, du Seele die&#x017F;es Hau&#x017F;es! Die&#x017F;er Mann, den du jetzt<lb/>
fragte&#x017F;t, i&#x017F;t ein &#x017F;ehr frommer Pilger aus Londoni&#x017F;tan;<lb/>
er gräbt mit &#x017F;einer Hacke, die du hier &#x017F;ieh&#x017F;t, in die Erde,<lb/>
um die Sprache der Ver&#x017F;torbenen zu belau&#x017F;chen, und hat<lb/>
ein Gelübde gethan, kein Wort zu reden, bis er die Er-<lb/>
laubnis dazu hat.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ein Frommer, ein Heiliger, ein Zauberer?&#x201C; fragte<lb/>
&#x017F;ie er&#x017F;chrocken.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja. Ich warne dich, ihn zu beleidigen! Die&#x017F;er<lb/>
andere Mann i&#x017F;t der Anführer eines großen Volkes weit<lb/>
im We&#x017F;ten von hier, und ich bin ein Emir derjenigen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0177] ſich die Aeuglein abermals aus und betrachtete uns ſehr genau. Ich ſelbſt war etwas erſtaunt über dieſe Be- hauptung des Agha. Was denn eigentlich ſollten wir ſein, wenn wir keine Männer waren? „Nein,“ antwortete er. „Es ſind keine Männer, ſondern Effendis, große Effendis, die unter dem Schutze des Großherrn ſtehen.“ „Was geht mich der Großherr an! Hier bin ich die Großherrin, die Sultanin Valide, und was ich ſage, das — — —“ „Aber ſo höre doch! Sie werden ein ſehr gutes Backſchiſch geben!“ Backſchiſch hat im Oriente eine zauberhafte Wirkung; es ſchien auch hier das richtig erlöſende Wort zu ſein. Die „Myrte“ ließ die Arme ſinken, verſuchte ein einlen- kendes Lächeln, welches aber in ein höhniſches Grinſen ausartete, und wandte ſich an Maſter David Lindſay: „Ein großes Backſchiſch? Iſt das wahr?“ Der Gefragte ſchüttelte den Kopf und deutete auf mich. „Was iſt mit dieſem?“ fragte ſie mich. „Iſt er über- geſchnappt?“ „Nein,“ antwortete ich. „Laß dir ſagen, wer wir ſind, du Seele dieſes Hauſes! Dieſer Mann, den du jetzt fragteſt, iſt ein ſehr frommer Pilger aus Londoniſtan; er gräbt mit ſeiner Hacke, die du hier ſiehſt, in die Erde, um die Sprache der Verſtorbenen zu belauſchen, und hat ein Gelübde gethan, kein Wort zu reden, bis er die Er- laubnis dazu hat.“ „Ein Frommer, ein Heiliger, ein Zauberer?“ fragte ſie erſchrocken. „Ja. Ich warne dich, ihn zu beleidigen! Dieſer andere Mann iſt der Anführer eines großen Volkes weit im Weſten von hier, und ich bin ein Emir derjenigen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/177
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/177>, abgerufen am 22.12.2024.