die ich gar nicht kenne. Bei Tage leuchtet über ihm die Sonne, und des Nachts glänzen die Augen der Sterne auf ihn herab. Er ist sehr schön!"
"Regnet es auch auf ihn nieder?" fragte ich belustigt.
"Wenn es regnet, erhält er auch sein Teil; ja, es ist zuweilen sogar Schnee auf ihn gefallen. Komm und siehe!"
Im Hofe gab es einen Schuppen, den wir für die Pferde mieteten. Auch er kostete eine Mark. Der Garten maß ungefähr vierzig Schritte im Gevierte, war also sehr unbedeutend. Ich sah eine verkrüppelte Cypresse und einen wilden Apfelbaum. Die "allerlei Kräuter und Gräser" bestanden einfach aus wildem Kendir *), ausgewucherter Madanos **) und einigen notorisch armen Gänseblümchen. Das größte Wunder dieses Gartens aber war ein Beet, auf welchem Soghani ***), Sarmysak +), Kedilan ++), eine Stachelbeere, mehrere Pilsenkräuter und einige verblühte Veilchen in lieblicher Eintracht nebeneinander verhungerten.
"Bir güzel bagtsche -- ein schöner Garten! Nicht wahr?" fragte der Agha, indem er eine gewaltige Tabaks- wolke auspuffte.
"Güzel-zorli -- gewaltig schön!" entgegnete ich.
"Pek bereketli -- sehr fruchtbar!"
"Ghajet bereketli -- äußerst fruchtbar!"
"Ile tschok güzel dikekler -- und viele schöne Pflan- zen! Nicht?"
"Syz sajyjü -- ohne Zahl!"
"Weißt du, wer hier gewandelt hat?"
"Wer?"
"Die schönste Rose von Kurdistan. Hast du niemals von Esma Khan gehört, der keine andere an Schönheit gleich gekommen ist?"
*) Hanf.
**) Petersilie.
***) Zwiebeln.
+) Knoblauch.
++) Katzenkraut.
die ich gar nicht kenne. Bei Tage leuchtet über ihm die Sonne, und des Nachts glänzen die Augen der Sterne auf ihn herab. Er iſt ſehr ſchön!“
„Regnet es auch auf ihn nieder?“ fragte ich beluſtigt.
„Wenn es regnet, erhält er auch ſein Teil; ja, es iſt zuweilen ſogar Schnee auf ihn gefallen. Komm und ſiehe!“
Im Hofe gab es einen Schuppen, den wir für die Pferde mieteten. Auch er koſtete eine Mark. Der Garten maß ungefähr vierzig Schritte im Gevierte, war alſo ſehr unbedeutend. Ich ſah eine verkrüppelte Cypreſſe und einen wilden Apfelbaum. Die „allerlei Kräuter und Gräſer“ beſtanden einfach aus wildem Kendir *), ausgewucherter Madanos **) und einigen notoriſch armen Gänſeblümchen. Das größte Wunder dieſes Gartens aber war ein Beet, auf welchem Soghani ***), Sarmyſak †), Kedilan ††), eine Stachelbeere, mehrere Pilſenkräuter und einige verblühte Veilchen in lieblicher Eintracht nebeneinander verhungerten.
„Bir güzel bagtſche — ein ſchöner Garten! Nicht wahr?“ fragte der Agha, indem er eine gewaltige Tabaks- wolke auspuffte.
„Güzel-zorli — gewaltig ſchön!“ entgegnete ich.
„Pek bereketli — ſehr fruchtbar!“
„Ghajet bereketli — äußerſt fruchtbar!“
„Ile tſchok güzel dikekler — und viele ſchöne Pflan- zen! Nicht?“
„Syz ſajyjü — ohne Zahl!“
„Weißt du, wer hier gewandelt hat?“
„Wer?“
„Die ſchönſte Roſe von Kurdiſtan. Haſt du niemals von Esma Khan gehört, der keine andere an Schönheit gleich gekommen iſt?“
*) Hanf.
**) Peterſilie.
***) Zwiebeln.
†) Knoblauch.
††) Katzenkraut.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0180"n="166"/>
die ich gar nicht kenne. Bei Tage leuchtet über ihm die<lb/>
Sonne, und des Nachts glänzen die Augen der Sterne<lb/>
auf ihn herab. Er iſt ſehr ſchön!“</p><lb/><p>„Regnet es auch auf ihn nieder?“ fragte ich beluſtigt.</p><lb/><p>„Wenn es regnet, erhält er auch ſein Teil; ja, es<lb/>
iſt zuweilen ſogar Schnee auf ihn gefallen. Komm und<lb/>ſiehe!“</p><lb/><p>Im Hofe gab es einen Schuppen, den wir für die<lb/>
Pferde mieteten. Auch er koſtete eine Mark. Der Garten<lb/>
maß ungefähr vierzig Schritte im Gevierte, war alſo ſehr<lb/>
unbedeutend. Ich ſah eine verkrüppelte Cypreſſe und<lb/>
einen wilden Apfelbaum. Die „allerlei Kräuter und Gräſer“<lb/>
beſtanden einfach aus wildem Kendir <noteplace="foot"n="*)">Hanf.</note>, ausgewucherter<lb/>
Madanos <noteplace="foot"n="**)">Peterſilie.</note> und einigen notoriſch armen Gänſeblümchen.<lb/>
Das größte Wunder dieſes Gartens aber war ein Beet,<lb/>
auf welchem Soghani <noteplace="foot"n="***)">Zwiebeln.</note>, Sarmyſak <noteplace="foot"n="†)">Knoblauch.</note>, Kedilan <noteplace="foot"n="††)">Katzenkraut.</note>, eine<lb/>
Stachelbeere, mehrere Pilſenkräuter und einige verblühte<lb/>
Veilchen in lieblicher Eintracht nebeneinander verhungerten.</p><lb/><p>„Bir güzel bagtſche — ein ſchöner Garten! Nicht<lb/>
wahr?“ fragte der Agha, indem er eine gewaltige Tabaks-<lb/>
wolke auspuffte.</p><lb/><p>„Güzel-zorli — gewaltig ſchön!“ entgegnete ich.</p><lb/><p>„Pek bereketli —ſehr fruchtbar!“</p><lb/><p>„Ghajet bereketli — äußerſt fruchtbar!“</p><lb/><p>„Ile tſchok güzel dikekler — und viele ſchöne Pflan-<lb/>
zen! Nicht?“</p><lb/><p>„Syz ſajyjü — ohne Zahl!“</p><lb/><p>„Weißt du, wer hier gewandelt hat?“</p><lb/><p>„Wer?“</p><lb/><p>„Die ſchönſte Roſe von Kurdiſtan. Haſt du niemals<lb/>
von Esma Khan gehört, der keine andere an Schönheit<lb/>
gleich gekommen iſt?“</p><lb/></div></body></text></TEI>
[166/0180]
die ich gar nicht kenne. Bei Tage leuchtet über ihm die
Sonne, und des Nachts glänzen die Augen der Sterne
auf ihn herab. Er iſt ſehr ſchön!“
„Regnet es auch auf ihn nieder?“ fragte ich beluſtigt.
„Wenn es regnet, erhält er auch ſein Teil; ja, es
iſt zuweilen ſogar Schnee auf ihn gefallen. Komm und
ſiehe!“
Im Hofe gab es einen Schuppen, den wir für die
Pferde mieteten. Auch er koſtete eine Mark. Der Garten
maß ungefähr vierzig Schritte im Gevierte, war alſo ſehr
unbedeutend. Ich ſah eine verkrüppelte Cypreſſe und
einen wilden Apfelbaum. Die „allerlei Kräuter und Gräſer“
beſtanden einfach aus wildem Kendir *), ausgewucherter
Madanos **) und einigen notoriſch armen Gänſeblümchen.
Das größte Wunder dieſes Gartens aber war ein Beet,
auf welchem Soghani ***), Sarmyſak †), Kedilan ††), eine
Stachelbeere, mehrere Pilſenkräuter und einige verblühte
Veilchen in lieblicher Eintracht nebeneinander verhungerten.
„Bir güzel bagtſche — ein ſchöner Garten! Nicht
wahr?“ fragte der Agha, indem er eine gewaltige Tabaks-
wolke auspuffte.
„Güzel-zorli — gewaltig ſchön!“ entgegnete ich.
„Pek bereketli — ſehr fruchtbar!“
„Ghajet bereketli — äußerſt fruchtbar!“
„Ile tſchok güzel dikekler — und viele ſchöne Pflan-
zen! Nicht?“
„Syz ſajyjü — ohne Zahl!“
„Weißt du, wer hier gewandelt hat?“
„Wer?“
„Die ſchönſte Roſe von Kurdiſtan. Haſt du niemals
von Esma Khan gehört, der keine andere an Schönheit
gleich gekommen iſt?“
*) Hanf.
**) Peterſilie.
***) Zwiebeln.
†) Knoblauch.
††) Katzenkraut.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/180>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.