Er nahm es, drückte es an Stirn, Mund und Brust und las es.
"Hier lautet doch dein Name anders als Kara Ben Nemsi!"
Ah, das war fatal! Der Umstand, daß ich den mir von Halef gegebenen Namen hier beibehalten hatte, konnte uns schädlich werden; doch faßte ich mich schnell und meinte:
"Willst du mir einmal den Namen vorlesen, der hier auf dem Pergamente steht?"
Er versuchte es, aber es wollte ihm nicht recht ge- lingen. Und über den Namen des Heimatortes stolperte er vollends gar hinweg.
"Siehest du!" erklärte ich. "Kein Türke kann einen Namen aus Germanistan richtig lesen und aussprechen; kein Mufti und kein Mollah bringt dies fertig, denn unsere Sprache ist sehr schwer und wird in einer andern Schrift geschrieben, als die eurige ist. Ich bin Hadschi Kara Ben Nemsi; das wird dir auch dieser Brief be- weisen, welchen der Mutessarif von Mossul mir für dich mitgegeben hat."
Ich reichte ihm das Schreiben hin. Als er es ge- lesen hatte, war er befriedigt und gab mir das Bu-dje- ruldi nach der gebräuchlichen Ceremonie zurück.
"Und dieser Effendi ist Hadschi Lindsay-Bey?" fragte er dann.
"So ist sein Name."
"Aus welchem Lande ist er?"
"Aus Londonistan," antwortete ich, um den bekannte- ren Namen von England zu vermeiden.
"Er hat gelobt, nicht zu sprechen?"
"Er spricht nicht."
"Und er kann zaubern?"
Er nahm es, drückte es an Stirn, Mund und Bruſt und las es.
„Hier lautet doch dein Name anders als Kara Ben Nemſi!“
Ah, das war fatal! Der Umſtand, daß ich den mir von Halef gegebenen Namen hier beibehalten hatte, konnte uns ſchädlich werden; doch faßte ich mich ſchnell und meinte:
„Willſt du mir einmal den Namen vorleſen, der hier auf dem Pergamente ſteht?“
Er verſuchte es, aber es wollte ihm nicht recht ge- lingen. Und über den Namen des Heimatortes ſtolperte er vollends gar hinweg.
„Sieheſt du!“ erklärte ich. „Kein Türke kann einen Namen aus Germaniſtan richtig leſen und ausſprechen; kein Mufti und kein Mollah bringt dies fertig, denn unſere Sprache iſt ſehr ſchwer und wird in einer andern Schrift geſchrieben, als die eurige iſt. Ich bin Hadſchi Kara Ben Nemſi; das wird dir auch dieſer Brief be- weiſen, welchen der Muteſſarif von Moſſul mir für dich mitgegeben hat.“
Ich reichte ihm das Schreiben hin. Als er es ge- leſen hatte, war er befriedigt und gab mir das Bu-dje- ruldi nach der gebräuchlichen Ceremonie zurück.
„Und dieſer Effendi iſt Hadſchi Lindſay-Bey?“ fragte er dann.
„So iſt ſein Name.“
„Aus welchem Lande iſt er?“
„Aus Londoniſtan,“ antwortete ich, um den bekannte- ren Namen von England zu vermeiden.
„Er hat gelobt, nicht zu ſprechen?“
„Er ſpricht nicht.“
„Und er kann zaubern?“
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0200"n="186"/><p>Er nahm es, drückte es an Stirn, Mund und Bruſt<lb/>
und las es.</p><lb/><p>„Hier lautet doch dein Name anders als Kara Ben<lb/>
Nemſi!“</p><lb/><p>Ah, das war fatal! Der Umſtand, daß ich den mir<lb/>
von Halef gegebenen Namen hier beibehalten hatte, konnte<lb/>
uns ſchädlich werden; doch faßte ich mich ſchnell und<lb/>
meinte:</p><lb/><p>„Willſt du mir einmal den Namen vorleſen, der<lb/>
hier auf dem Pergamente ſteht?“</p><lb/><p>Er verſuchte es, aber es wollte ihm nicht recht ge-<lb/>
lingen. Und über den Namen des Heimatortes ſtolperte<lb/>
er vollends gar hinweg.</p><lb/><p>„Sieheſt du!“ erklärte ich. „Kein Türke kann einen<lb/>
Namen aus Germaniſtan richtig leſen und ausſprechen;<lb/>
kein Mufti und kein Mollah bringt dies fertig, denn<lb/>
unſere Sprache iſt ſehr ſchwer und wird in einer andern<lb/>
Schrift geſchrieben, als die eurige iſt. Ich bin Hadſchi<lb/>
Kara Ben Nemſi; das wird dir auch dieſer Brief be-<lb/>
weiſen, welchen der Muteſſarif von Moſſul mir für dich<lb/>
mitgegeben hat.“</p><lb/><p>Ich reichte ihm das Schreiben hin. Als er es ge-<lb/>
leſen hatte, war er befriedigt und gab mir das Bu-dje-<lb/>
ruldi nach der gebräuchlichen Ceremonie zurück.</p><lb/><p>„Und dieſer Effendi iſt Hadſchi Lindſay-Bey?“ fragte<lb/>
er dann.</p><lb/><p>„So iſt ſein Name.“</p><lb/><p>„Aus welchem Lande iſt er?“</p><lb/><p>„Aus Londoniſtan,“ antwortete ich, um den bekannte-<lb/>
ren Namen von England zu vermeiden.</p><lb/><p>„Er hat gelobt, nicht zu ſprechen?“</p><lb/><p>„Er ſpricht nicht.“</p><lb/><p>„Und er kann zaubern?“</p><lb/></div></body></text></TEI>
[186/0200]
Er nahm es, drückte es an Stirn, Mund und Bruſt
und las es.
„Hier lautet doch dein Name anders als Kara Ben
Nemſi!“
Ah, das war fatal! Der Umſtand, daß ich den mir
von Halef gegebenen Namen hier beibehalten hatte, konnte
uns ſchädlich werden; doch faßte ich mich ſchnell und
meinte:
„Willſt du mir einmal den Namen vorleſen, der
hier auf dem Pergamente ſteht?“
Er verſuchte es, aber es wollte ihm nicht recht ge-
lingen. Und über den Namen des Heimatortes ſtolperte
er vollends gar hinweg.
„Sieheſt du!“ erklärte ich. „Kein Türke kann einen
Namen aus Germaniſtan richtig leſen und ausſprechen;
kein Mufti und kein Mollah bringt dies fertig, denn
unſere Sprache iſt ſehr ſchwer und wird in einer andern
Schrift geſchrieben, als die eurige iſt. Ich bin Hadſchi
Kara Ben Nemſi; das wird dir auch dieſer Brief be-
weiſen, welchen der Muteſſarif von Moſſul mir für dich
mitgegeben hat.“
Ich reichte ihm das Schreiben hin. Als er es ge-
leſen hatte, war er befriedigt und gab mir das Bu-dje-
ruldi nach der gebräuchlichen Ceremonie zurück.
„Und dieſer Effendi iſt Hadſchi Lindſay-Bey?“ fragte
er dann.
„So iſt ſein Name.“
„Aus welchem Lande iſt er?“
„Aus Londoniſtan,“ antwortete ich, um den bekannte-
ren Namen von England zu vermeiden.
„Er hat gelobt, nicht zu ſprechen?“
„Er ſpricht nicht.“
„Und er kann zaubern?“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/200>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.