ahnen zu lassen, von denen er recht wohl auf die Absicht unserer Anwesenheit hätte schließen können. Er hatte wohl kaum das rechte Zeug, ein guter Dorfältester, viel weniger aber Mutesselim zu sein; aber doch dauerte er mich im geheimen, wenn ich an die Verlegenheit dachte, in welche ihn das Gelingen unsers Vorhabens bringen mußte. Die Möglichkeit, ihn dabei zu schonen, wäre mir willkommen gewesen; aber es gab sie ja nicht.
Die Fortsetzung unseres Gespräches wurde aufge- schoben, da man das Essen brachte. Es bestand aus eini- gen Stücken des geliehenen Hammels und einem mageren Pillau. Der Kommandant langte fleißig zu und vergaß dabei das Sprechen; als er sich aber gesättigt hatte, fragte er:
"Du wirst den Kurden wirklich bei dir treffen?"
"Ja; denn ich glaube, daß er sein Wort hält."
"Und ihn wieder zu mir schicken?"
"Wenn du es haben willst, ja."
"Wird er auf dich warten?"
Dies war ein leiser Fingerzeig, der seinen Grund nicht in einem Mangel an Gastfreundlichkeit, sondern in der Besorgnis hatte, daß der Bote die Geduld auch bei mir verlieren werde. Darum antwortete ich:
"Er will bald aufbrechen, und darum wird es ge- raten sein, daß ich ihn nicht ermüde. Erlaubst du, daß wir gehen?"
"Unter der Bedingung, daß du mir versprichst, heute abend abermals mein Gast zu sein."
"Ich verspreche es. Wann wünschest du, daß ich komme?"
"Ich werde es dir durch Selim Agha wissen lassen. Ueberhaupt bist du mir willkommen, wann und so oft du kommst."
ahnen zu laſſen, von denen er recht wohl auf die Abſicht unſerer Anweſenheit hätte ſchließen können. Er hatte wohl kaum das rechte Zeug, ein guter Dorfälteſter, viel weniger aber Muteſſelim zu ſein; aber doch dauerte er mich im geheimen, wenn ich an die Verlegenheit dachte, in welche ihn das Gelingen unſers Vorhabens bringen mußte. Die Möglichkeit, ihn dabei zu ſchonen, wäre mir willkommen geweſen; aber es gab ſie ja nicht.
Die Fortſetzung unſeres Geſpräches wurde aufge- ſchoben, da man das Eſſen brachte. Es beſtand aus eini- gen Stücken des geliehenen Hammels und einem mageren Pillau. Der Kommandant langte fleißig zu und vergaß dabei das Sprechen; als er ſich aber geſättigt hatte, fragte er:
„Du wirſt den Kurden wirklich bei dir treffen?“
„Ja; denn ich glaube, daß er ſein Wort hält.“
„Und ihn wieder zu mir ſchicken?“
„Wenn du es haben willſt, ja.“
„Wird er auf dich warten?“
Dies war ein leiſer Fingerzeig, der ſeinen Grund nicht in einem Mangel an Gaſtfreundlichkeit, ſondern in der Beſorgnis hatte, daß der Bote die Geduld auch bei mir verlieren werde. Darum antwortete ich:
„Er will bald aufbrechen, und darum wird es ge- raten ſein, daß ich ihn nicht ermüde. Erlaubſt du, daß wir gehen?“
„Unter der Bedingung, daß du mir verſprichſt, heute abend abermals mein Gaſt zu ſein.“
„Ich verſpreche es. Wann wünſcheſt du, daß ich komme?“
„Ich werde es dir durch Selim Agha wiſſen laſſen. Ueberhaupt biſt du mir willkommen, wann und ſo oft du kommſt.“
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[196/0210]
ahnen zu laſſen, von denen er recht wohl auf die Abſicht
unſerer Anweſenheit hätte ſchließen können. Er hatte
wohl kaum das rechte Zeug, ein guter Dorfälteſter, viel
weniger aber Muteſſelim zu ſein; aber doch dauerte er
mich im geheimen, wenn ich an die Verlegenheit dachte,
in welche ihn das Gelingen unſers Vorhabens bringen
mußte. Die Möglichkeit, ihn dabei zu ſchonen, wäre mir
willkommen geweſen; aber es gab ſie ja nicht.
Die Fortſetzung unſeres Geſpräches wurde aufge-
ſchoben, da man das Eſſen brachte. Es beſtand aus eini-
gen Stücken des geliehenen Hammels und einem mageren
Pillau. Der Kommandant langte fleißig zu und vergaß
dabei das Sprechen; als er ſich aber geſättigt hatte,
fragte er:
„Du wirſt den Kurden wirklich bei dir treffen?“
„Ja; denn ich glaube, daß er ſein Wort hält.“
„Und ihn wieder zu mir ſchicken?“
„Wenn du es haben willſt, ja.“
„Wird er auf dich warten?“
Dies war ein leiſer Fingerzeig, der ſeinen Grund
nicht in einem Mangel an Gaſtfreundlichkeit, ſondern in
der Beſorgnis hatte, daß der Bote die Geduld auch bei
mir verlieren werde. Darum antwortete ich:
„Er will bald aufbrechen, und darum wird es ge-
raten ſein, daß ich ihn nicht ermüde. Erlaubſt du, daß
wir gehen?“
„Unter der Bedingung, daß du mir verſprichſt, heute
abend abermals mein Gaſt zu ſein.“
„Ich verſpreche es. Wann wünſcheſt du, daß ich
komme?“
„Ich werde es dir durch Selim Agha wiſſen laſſen.
Ueberhaupt biſt du mir willkommen, wann und ſo oft
du kommſt.“
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/210>, abgerufen am 22.12.2024.
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