Dies schien mir der einzige Weg, seiner Hartnäckigkeit beizukommen.
"Dich? Wieso?" fragte er.
"Bin ich allein hier, so schützen mich meine Firmans; finden sie aber dich bei mir, den Feind des Mutessarif, den entflohenen Gefangenen, so habe ich diesen Schutz ver- loren und verwirkt. Dann sind auch wir verloren, du und ich, alle beide!"
Er blickte nachdenklich vor sich nieder. Ich sah, was sich in ihm gegen den Rückzug nach dem Thale Idiz sträubte, aber ich ließ ihm Zeit, einen Entschluß zu fassen. Endlich sagte er mit halber, unsicherer Stimme:
"Emir, hältst du mich für einen Feigling?"
"Nein. Ich weiß ja, daß du tapfer und furchtlos bist."
"Was wird Ali Bey denken?"
"Er denkt ganz so wie ich, ebenso Mir Scheik Khan."
"Und die andern Dschesidi?"
"Sie kennen deinen Ruhm und wissen, daß du vor keinem Feinde fliehest. Darauf kannst du dich verlassen!"
"Und wenn man an meinem Mute zweifeln sollte, wirst du mich verteidigen? Wirst du öffentlich sagen, daß ich mit den Frauen nach Idiz gegangen bin, nur um dir zu gehorchen?"
"Ich werde es überall und öffentlich sagen."
"Nun wohl, so werde ich thun, was du mir vorge- schlagen hast!"
Er schob resigniert die Flinte von sich fort und wendete sein Angesicht wieder dem Thale zu, das sich bereits in den Schatten des Abends zu hüllen begann.
Grade jetzt kamen die Männer zurück, welche vorher nach Idiz gegangen waren. Sie bildeten einen Zug ein- zelner Personen, der sich im Thale vor uns auflöste.
Da erscholl vom Grabe des Heiligen her eine Salve,
Dies ſchien mir der einzige Weg, ſeiner Hartnäckigkeit beizukommen.
„Dich? Wieſo?“ fragte er.
„Bin ich allein hier, ſo ſchützen mich meine Firmans; finden ſie aber dich bei mir, den Feind des Muteſſarif, den entflohenen Gefangenen, ſo habe ich dieſen Schutz ver- loren und verwirkt. Dann ſind auch wir verloren, du und ich, alle beide!“
Er blickte nachdenklich vor ſich nieder. Ich ſah, was ſich in ihm gegen den Rückzug nach dem Thale Idiz ſträubte, aber ich ließ ihm Zeit, einen Entſchluß zu faſſen. Endlich ſagte er mit halber, unſicherer Stimme:
„Emir, hältſt du mich für einen Feigling?“
„Nein. Ich weiß ja, daß du tapfer und furchtlos biſt.“
„Was wird Ali Bey denken?“
„Er denkt ganz ſo wie ich, ebenſo Mir Scheik Khan.“
„Und die andern Dſcheſidi?“
„Sie kennen deinen Ruhm und wiſſen, daß du vor keinem Feinde flieheſt. Darauf kannſt du dich verlaſſen!“
„Und wenn man an meinem Mute zweifeln ſollte, wirſt du mich verteidigen? Wirſt du öffentlich ſagen, daß ich mit den Frauen nach Idiz gegangen bin, nur um dir zu gehorchen?“
„Ich werde es überall und öffentlich ſagen.“
„Nun wohl, ſo werde ich thun, was du mir vorge- ſchlagen haſt!“
Er ſchob reſigniert die Flinte von ſich fort und wendete ſein Angeſicht wieder dem Thale zu, das ſich bereits in den Schatten des Abends zu hüllen begann.
Grade jetzt kamen die Männer zurück, welche vorher nach Idiz gegangen waren. Sie bildeten einen Zug ein- zelner Perſonen, der ſich im Thale vor uns auflöſte.
Da erſcholl vom Grabe des Heiligen her eine Salve,
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Dies ſchien mir der einzige Weg, ſeiner Hartnäckigkeit
beizukommen.
„Dich? Wieſo?“ fragte er.
„Bin ich allein hier, ſo ſchützen mich meine Firmans;
finden ſie aber dich bei mir, den Feind des Muteſſarif,
den entflohenen Gefangenen, ſo habe ich dieſen Schutz ver-
loren und verwirkt. Dann ſind auch wir verloren, du
und ich, alle beide!“
Er blickte nachdenklich vor ſich nieder. Ich ſah, was
ſich in ihm gegen den Rückzug nach dem Thale Idiz
ſträubte, aber ich ließ ihm Zeit, einen Entſchluß zu faſſen.
Endlich ſagte er mit halber, unſicherer Stimme:
„Emir, hältſt du mich für einen Feigling?“
„Nein. Ich weiß ja, daß du tapfer und furchtlos biſt.“
„Was wird Ali Bey denken?“
„Er denkt ganz ſo wie ich, ebenſo Mir Scheik Khan.“
„Und die andern Dſcheſidi?“
„Sie kennen deinen Ruhm und wiſſen, daß du vor
keinem Feinde flieheſt. Darauf kannſt du dich verlaſſen!“
„Und wenn man an meinem Mute zweifeln ſollte,
wirſt du mich verteidigen? Wirſt du öffentlich ſagen, daß
ich mit den Frauen nach Idiz gegangen bin, nur um dir
zu gehorchen?“
„Ich werde es überall und öffentlich ſagen.“
„Nun wohl, ſo werde ich thun, was du mir vorge-
ſchlagen haſt!“
Er ſchob reſigniert die Flinte von ſich fort und wendete
ſein Angeſicht wieder dem Thale zu, das ſich bereits in
den Schatten des Abends zu hüllen begann.
Grade jetzt kamen die Männer zurück, welche vorher
nach Idiz gegangen waren. Sie bildeten einen Zug ein-
zelner Perſonen, der ſich im Thale vor uns auflöſte.
Da erſcholl vom Grabe des Heiligen her eine Salve,
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/23>, abgerufen am 22.12.2024.
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