"Bei Allah, du hast recht. Dieser Tabak schwächt das System des Blutes und der Nerven, während man doch gekommen ist, es zu stärken. Komm, laß uns gehen!"
"Müssen wir denn dem Juden unsere Entfernung melden?"
"Ja."
Er klatschte in die Hände. Das war wieder das Zei- chen; dann traten wir in das Freie. Das kurze Wein- studium war für mich vorteilhaft gewesen.
"Komm, Emir, gieb mir deinen Arm! Du weißt, ich liebe dich!"
Es war weniger die Liebe als vielmehr die Schwächung seines "Systems", welche ihn bewog, diese Bitte auszu- sprechen; denn als ihm die frische Abendluft entgegenwehte, verriet er den sichtbarsten Eifer, in jene akrobatische Fata- lität zu verfallen, in welcher man den Nadir mit dem Zenith zu verwechseln pflegt.
"Nicht wahr, Mohammed war ein gescheiter Kerl, Emir?" fragte er so laut, daß ein eben Vorübergehender stehen blieb, um uns etwas in Augenschein zu nehmen.
"Warum?"
"Weil er die Arzneien nicht verboten hat. Hätte er auch dies noch gethan, so müßte man aus den Trauben Tinte machen. Weißt du, wo das Gefängnis liegt?"
"Hinter deinem Hause."
"Ja; du hast immer recht, Emir. Aber wo liegt unser Haus?"
Das war nun eine jener leichten Fragen, die sich doch sehr schwer beantworten lassen, wenn nicht die Antwort ebenso albern sein soll, wie die Frage.
"Grad vor dem Gefängnisse, Agha."
Ich ahnte den Grund und antwortete deshalb:
„Schlecht. Er macht Kopfſchmerzen und Schwindel.“
„Bei Allah, du haſt recht. Dieſer Tabak ſchwächt das Syſtem des Blutes und der Nerven, während man doch gekommen iſt, es zu ſtärken. Komm, laß uns gehen!“
„Müſſen wir denn dem Juden unſere Entfernung melden?“
„Ja.“
Er klatſchte in die Hände. Das war wieder das Zei- chen; dann traten wir in das Freie. Das kurze Wein- ſtudium war für mich vorteilhaft geweſen.
„Komm, Emir, gieb mir deinen Arm! Du weißt, ich liebe dich!“
Es war weniger die Liebe als vielmehr die Schwächung ſeines „Syſtems“, welche ihn bewog, dieſe Bitte auszu- ſprechen; denn als ihm die friſche Abendluft entgegenwehte, verriet er den ſichtbarſten Eifer, in jene akrobatiſche Fata- lität zu verfallen, in welcher man den Nadir mit dem Zenith zu verwechſeln pflegt.
„Nicht wahr, Mohammed war ein geſcheiter Kerl, Emir?“ fragte er ſo laut, daß ein eben Vorübergehender ſtehen blieb, um uns etwas in Augenſchein zu nehmen.
„Warum?“
„Weil er die Arzneien nicht verboten hat. Hätte er auch dies noch gethan, ſo müßte man aus den Trauben Tinte machen. Weißt du, wo das Gefängnis liegt?“
„Hinter deinem Hauſe.“
„Ja; du haſt immer recht, Emir. Aber wo liegt unſer Haus?“
Das war nun eine jener leichten Fragen, die ſich doch ſehr ſchwer beantworten laſſen, wenn nicht die Antwort ebenſo albern ſein ſoll, wie die Frage.
„Grad vor dem Gefängniſſe, Agha.“
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0250"n="236"/><p>Ich ahnte den Grund und antwortete deshalb:</p><lb/><p>„Schlecht. Er macht Kopfſchmerzen und Schwindel.“</p><lb/><p>„Bei Allah, du haſt recht. Dieſer Tabak ſchwächt das<lb/>
Syſtem des Blutes und der Nerven, während man doch<lb/>
gekommen iſt, es zu ſtärken. Komm, laß uns gehen!“</p><lb/><p>„Müſſen wir denn dem Juden unſere Entfernung<lb/>
melden?“</p><lb/><p>„Ja.“</p><lb/><p>Er klatſchte in die Hände. Das war wieder das Zei-<lb/>
chen; dann traten wir in das Freie. Das kurze Wein-<lb/>ſtudium war für mich vorteilhaft geweſen.</p><lb/><p>„Komm, Emir, gieb mir deinen Arm! Du weißt, ich<lb/>
liebe dich!“</p><lb/><p>Es war weniger die Liebe als vielmehr die Schwächung<lb/>ſeines „Syſtems“, welche ihn bewog, dieſe Bitte auszu-<lb/>ſprechen; denn als ihm die friſche Abendluft entgegenwehte,<lb/>
verriet er den ſichtbarſten Eifer, in jene akrobatiſche Fata-<lb/>
lität zu verfallen, in welcher man den Nadir mit dem Zenith<lb/>
zu verwechſeln pflegt.</p><lb/><p>„Nicht wahr, Mohammed war ein geſcheiter Kerl,<lb/>
Emir?“ fragte er ſo laut, daß ein eben Vorübergehender<lb/>ſtehen blieb, um uns etwas in Augenſchein zu nehmen.</p><lb/><p>„Warum?“</p><lb/><p>„Weil er die Arzneien nicht verboten hat. Hätte er<lb/>
auch dies noch gethan, ſo müßte man aus den Trauben<lb/>
Tinte machen. Weißt du, wo das Gefängnis liegt?“</p><lb/><p>„Hinter deinem Hauſe.“</p><lb/><p>„Ja; du haſt immer recht, Emir. Aber wo liegt<lb/>
unſer Haus?“</p><lb/><p>Das war nun eine jener leichten Fragen, die ſich doch<lb/>ſehr ſchwer beantworten laſſen, wenn nicht die Antwort<lb/>
ebenſo albern ſein ſoll, wie die Frage.</p><lb/><p>„Grad vor dem Gefängniſſe, Agha.“</p><lb/></div></body></text></TEI>
[236/0250]
Ich ahnte den Grund und antwortete deshalb:
„Schlecht. Er macht Kopfſchmerzen und Schwindel.“
„Bei Allah, du haſt recht. Dieſer Tabak ſchwächt das
Syſtem des Blutes und der Nerven, während man doch
gekommen iſt, es zu ſtärken. Komm, laß uns gehen!“
„Müſſen wir denn dem Juden unſere Entfernung
melden?“
„Ja.“
Er klatſchte in die Hände. Das war wieder das Zei-
chen; dann traten wir in das Freie. Das kurze Wein-
ſtudium war für mich vorteilhaft geweſen.
„Komm, Emir, gieb mir deinen Arm! Du weißt, ich
liebe dich!“
Es war weniger die Liebe als vielmehr die Schwächung
ſeines „Syſtems“, welche ihn bewog, dieſe Bitte auszu-
ſprechen; denn als ihm die friſche Abendluft entgegenwehte,
verriet er den ſichtbarſten Eifer, in jene akrobatiſche Fata-
lität zu verfallen, in welcher man den Nadir mit dem Zenith
zu verwechſeln pflegt.
„Nicht wahr, Mohammed war ein geſcheiter Kerl,
Emir?“ fragte er ſo laut, daß ein eben Vorübergehender
ſtehen blieb, um uns etwas in Augenſchein zu nehmen.
„Warum?“
„Weil er die Arzneien nicht verboten hat. Hätte er
auch dies noch gethan, ſo müßte man aus den Trauben
Tinte machen. Weißt du, wo das Gefängnis liegt?“
„Hinter deinem Hauſe.“
„Ja; du haſt immer recht, Emir. Aber wo liegt
unſer Haus?“
Das war nun eine jener leichten Fragen, die ſich doch
ſehr ſchwer beantworten laſſen, wenn nicht die Antwort
ebenſo albern ſein ſoll, wie die Frage.
„Grad vor dem Gefängniſſe, Agha.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/250>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.