"Ja, Effendi, ich werde ihnen zunächst eine fürchter- liche Rede halten!"
Seine Augen rollten wie das Luftrad einer Stuben- ventilation. Dann standen sie plötzlich still, und sein Gesicht nahm einen sehr sanftmütigen Ausdruck an.
"Und dann werde ich sie begnadigen, wie ein Padi- schah, der das Leben und das Eigentum von Millionen Menschen zu verschenken hat."
Er wollte gehen, blieb aber unter der Thüre halten; denn draußen war ein Reiter abgestiegen, und ich hörte eine bekannte Stimme fragen:
"Sallam, Herr! Bist du vielleicht Selim Agha, der Befehlshaber der Albanesen?"
"Ja, der bin ich. Was willst du?"
"Wohnt bei dir ein Effendi, welcher Hadschi Emir Kara Ben Nemsi heißt, und zwei Effendi, einen Diener und einen Baschi-Bozuk bei sich hat?"
"Ja. Was soll er?"
"Erlaube, daß ich mit ihm spreche!"
"Hier steht er."
Selim trat zur Seite, so daß der Mann mich sehen konnte. Es war kein anderer als Selek, der Dschesidi aus Baadri.
"Effendi," rief er mit großer Freude, "erlaube, daß ich dich begrüße!"
Wir reichten einander die Hände; dabei sah ich, daß er ein Pferd Ali Beys ritt, welches dampfte. Er war jedenfalls sehr rasch geritten. Es war zu vermuten, daß er mir eine Botschaft, und zwar eine sehr wichtige, zu überbringen hatte.
"Führe dein Pferd in den Hof und komme dann herauf zu mir!" wies ich ihn an.
Als wir uns in meiner Stube und also allein
„Ja, Effendi, ich werde ihnen zunächſt eine fürchter- liche Rede halten!“
Seine Augen rollten wie das Luftrad einer Stuben- ventilation. Dann ſtanden ſie plötzlich ſtill, und ſein Geſicht nahm einen ſehr ſanftmütigen Ausdruck an.
„Und dann werde ich ſie begnadigen, wie ein Padi- ſchah, der das Leben und das Eigentum von Millionen Menſchen zu verſchenken hat.“
Er wollte gehen, blieb aber unter der Thüre halten; denn draußen war ein Reiter abgeſtiegen, und ich hörte eine bekannte Stimme fragen:
„Sallam, Herr! Biſt du vielleicht Selim Agha, der Befehlshaber der Albaneſen?“
„Ja, der bin ich. Was willſt du?“
„Wohnt bei dir ein Effendi, welcher Hadſchi Emir Kara Ben Nemſi heißt, und zwei Effendi, einen Diener und einen Baſchi-Bozuk bei ſich hat?“
„Ja. Was ſoll er?“
„Erlaube, daß ich mit ihm ſpreche!“
„Hier ſteht er.“
Selim trat zur Seite, ſo daß der Mann mich ſehen konnte. Es war kein anderer als Selek, der Dſcheſidi aus Baadri.
„Effendi,“ rief er mit großer Freude, „erlaube, daß ich dich begrüße!“
Wir reichten einander die Hände; dabei ſah ich, daß er ein Pferd Ali Beys ritt, welches dampfte. Er war jedenfalls ſehr raſch geritten. Es war zu vermuten, daß er mir eine Botſchaft, und zwar eine ſehr wichtige, zu überbringen hatte.
„Führe dein Pferd in den Hof und komme dann herauf zu mir!“ wies ich ihn an.
Als wir uns in meiner Stube und alſo allein
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„Ja, Effendi, ich werde ihnen zunächſt eine fürchter-
liche Rede halten!“
Seine Augen rollten wie das Luftrad einer Stuben-
ventilation. Dann ſtanden ſie plötzlich ſtill, und ſein
Geſicht nahm einen ſehr ſanftmütigen Ausdruck an.
„Und dann werde ich ſie begnadigen, wie ein Padi-
ſchah, der das Leben und das Eigentum von Millionen
Menſchen zu verſchenken hat.“
Er wollte gehen, blieb aber unter der Thüre halten;
denn draußen war ein Reiter abgeſtiegen, und ich hörte
eine bekannte Stimme fragen:
„Sallam, Herr! Biſt du vielleicht Selim Agha, der
Befehlshaber der Albaneſen?“
„Ja, der bin ich. Was willſt du?“
„Wohnt bei dir ein Effendi, welcher Hadſchi Emir
Kara Ben Nemſi heißt, und zwei Effendi, einen Diener
und einen Baſchi-Bozuk bei ſich hat?“
„Ja. Was ſoll er?“
„Erlaube, daß ich mit ihm ſpreche!“
„Hier ſteht er.“
Selim trat zur Seite, ſo daß der Mann mich ſehen
konnte. Es war kein anderer als Selek, der Dſcheſidi
aus Baadri.
„Effendi,“ rief er mit großer Freude, „erlaube, daß
ich dich begrüße!“
Wir reichten einander die Hände; dabei ſah ich, daß
er ein Pferd Ali Beys ritt, welches dampfte. Er war
jedenfalls ſehr raſch geritten. Es war zu vermuten, daß
er mir eine Botſchaft, und zwar eine ſehr wichtige, zu
überbringen hatte.
„Führe dein Pferd in den Hof und komme dann
herauf zu mir!“ wies ich ihn an.
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/268>, abgerufen am 23.12.2024.
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