In einigen Augenblicken kehrte er mit -- dem Ma- kredsch von Mossul zurück. Dieser würdigte mich keines Blickes, schritt an mir vorüber zu dem Kommandanten, ließ sich an derselben Stelle nieder, an welcher ich vorher gesessen hatte, und griff zu dem Schlauche der Wasser- pfeife, welche dort stand.
"Ist dies der Mann, von dem du erzähltest, Effendi?" fragte ihn der Kommandant.
Er warf einen halben, verächtlichen Blick auf mich und antwortete:
"Er ist es."
"Siehst du?" wandte sich der Kommandant zu mir. "Der Makredsch von Mossul, den du ja kennen wirst, ist Zeuge, daß du gegen den Mutessarif kämpftest."
"Er ist ein Lügner!"
Da erhob der Richter die Augen voll zu mir.
"Wurm!" zischte er.
"Du wirst diesen Wurm bald kennen lernen!" ant- wortete ich ruhig. "Ich wiederhole es: Du bist ein Lüg- ner, denn du hast nicht gesehen, daß ich gegen die Trup- pen des Mutessarif die Waffen gezogen habe!"
"So sahen es andere!"
"Aber du nicht! Und der Kommandant sagte noch, daß du selbst es gesehen haben willst. Nenne deine Zeugen!"
"Die Topdschis*) haben es erzählt."
"So haben auch sie gelogen. Ich habe nicht mit ihnen gekämpft; es ist kein Tropfen Blutes geflossen. Sie haben sich und ihre Geschütze ohne alle Gegenwehr er- geben. Und dann, als ihr in Scheik Adi eingeschlossen wurdet, habe ich den Bey zur Güte und Nachsicht gemahnt, so daß ihr es nur mir zu verdanken habt, daß ihr nicht samt und sonders niedergeschossen wurdet. Willst du daraus
*) Kanoniere.
In einigen Augenblicken kehrte er mit — dem Ma- kredſch von Moſſul zurück. Dieſer würdigte mich keines Blickes, ſchritt an mir vorüber zu dem Kommandanten, ließ ſich an derſelben Stelle nieder, an welcher ich vorher geſeſſen hatte, und griff zu dem Schlauche der Waſſer- pfeife, welche dort ſtand.
„Iſt dies der Mann, von dem du erzählteſt, Effendi?“ fragte ihn der Kommandant.
Er warf einen halben, verächtlichen Blick auf mich und antwortete:
„Er iſt es.“
„Siehſt du?“ wandte ſich der Kommandant zu mir. „Der Makredſch von Moſſul, den du ja kennen wirſt, iſt Zeuge, daß du gegen den Muteſſarif kämpfteſt.“
„Er iſt ein Lügner!“
Da erhob der Richter die Augen voll zu mir.
„Wurm!“ ziſchte er.
„Du wirſt dieſen Wurm bald kennen lernen!“ ant- wortete ich ruhig. „Ich wiederhole es: Du biſt ein Lüg- ner, denn du haſt nicht geſehen, daß ich gegen die Trup- pen des Muteſſarif die Waffen gezogen habe!“
„So ſahen es andere!“
„Aber du nicht! Und der Kommandant ſagte noch, daß du ſelbſt es geſehen haben willſt. Nenne deine Zeugen!“
„Die Topdſchis*) haben es erzählt.“
„So haben auch ſie gelogen. Ich habe nicht mit ihnen gekämpft; es iſt kein Tropfen Blutes gefloſſen. Sie haben ſich und ihre Geſchütze ohne alle Gegenwehr er- geben. Und dann, als ihr in Scheik Adi eingeſchloſſen wurdet, habe ich den Bey zur Güte und Nachſicht gemahnt, ſo daß ihr es nur mir zu verdanken habt, daß ihr nicht ſamt und ſonders niedergeſchoſſen wurdet. Willſt du daraus
*) Kanoniere.
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In einigen Augenblicken kehrte er mit — dem Ma-
kredſch von Moſſul zurück. Dieſer würdigte mich keines
Blickes, ſchritt an mir vorüber zu dem Kommandanten,
ließ ſich an derſelben Stelle nieder, an welcher ich vorher
geſeſſen hatte, und griff zu dem Schlauche der Waſſer-
pfeife, welche dort ſtand.
„Iſt dies der Mann, von dem du erzählteſt, Effendi?“
fragte ihn der Kommandant.
Er warf einen halben, verächtlichen Blick auf mich
und antwortete:
„Er iſt es.“
„Siehſt du?“ wandte ſich der Kommandant zu mir.
„Der Makredſch von Moſſul, den du ja kennen wirſt, iſt
Zeuge, daß du gegen den Muteſſarif kämpfteſt.“
„Er iſt ein Lügner!“
Da erhob der Richter die Augen voll zu mir.
„Wurm!“ ziſchte er.
„Du wirſt dieſen Wurm bald kennen lernen!“ ant-
wortete ich ruhig. „Ich wiederhole es: Du biſt ein Lüg-
ner, denn du haſt nicht geſehen, daß ich gegen die Trup-
pen des Muteſſarif die Waffen gezogen habe!“
„So ſahen es andere!“
„Aber du nicht! Und der Kommandant ſagte noch,
daß du ſelbſt es geſehen haben willſt. Nenne deine Zeugen!“
„Die Topdſchis *) haben es erzählt.“
„So haben auch ſie gelogen. Ich habe nicht mit
ihnen gekämpft; es iſt kein Tropfen Blutes gefloſſen. Sie
haben ſich und ihre Geſchütze ohne alle Gegenwehr er-
geben. Und dann, als ihr in Scheik Adi eingeſchloſſen
wurdet, habe ich den Bey zur Güte und Nachſicht gemahnt,
ſo daß ihr es nur mir zu verdanken habt, daß ihr nicht
ſamt und ſonders niedergeſchoſſen wurdet. Willſt du daraus
*) Kanoniere.
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/294>, abgerufen am 23.12.2024.
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