werde ich dir auch deinen Willen thun und jetzt hinunter- springen."
"Was meinst du für Absichten?"
"Deine Weisheit hat dich auf den ganz richtigen Ge- danken geführt, daß ein Gefangener es am besten erraten könne, wie es einem andern Gefangenen möglich gewesen sei, zu entkommen. Allah sei Dank, daß er so kluge Män- ner geschaffen hat!"
Ich sprang hinunter in das Loch und bückte mich, um zu thun, als ob ich am Boden suche. Dabei jedoch sah ich unter dem Arm hinweg und bemerkte einen Wink, den der Mutesselim dem Agha gab. Beide bückten sich, um die schwere Thüre aufzunehmen und in die Angeln zu bringen. Ich drehte mich um.
"Mutesselim, laß die Thüre liegen!"
"Sie soll dahin, wohin sie gehört."
"So gehe ich auch wieder dahin, wohin ich gehöre!"
Ich machte Anstalt, mich emporzuschwingen, was nicht sehr leicht zu bewerkstelligen war, weil das Loch eine bedeutende Tiefe hatte.
"Halt, du bleibst!" gebot er mir und gab zugleich einen Wink, auf welchen mehrere bewaffnete Arnauten herbeitraten. "Du bist mein Gefangener!"
Der gute Selim erschrak. Er starrte erst den Mutesse- lim und dann mich an.
"Dein Gefangener?" fragte ich. "Du scherzest!"
"Es ist mein voller Ernst!"
"So bist du über Nacht verrückt geworden! Wie kannst du glauben, daß du der Mann seist, der mich ge- fangen nehmen kann!"
"Du bist ja schon gefangen und wirst nicht eher wieder frei kommen, als bis ich den Entflohenen entdeckt habe."
"Mutesselim, ich glaube nicht, daß du ihn entdecken wirst!"
werde ich dir auch deinen Willen thun und jetzt hinunter- ſpringen.“
„Was meinſt du für Abſichten?“
„Deine Weisheit hat dich auf den ganz richtigen Ge- danken geführt, daß ein Gefangener es am beſten erraten könne, wie es einem andern Gefangenen möglich geweſen ſei, zu entkommen. Allah ſei Dank, daß er ſo kluge Män- ner geſchaffen hat!“
Ich ſprang hinunter in das Loch und bückte mich, um zu thun, als ob ich am Boden ſuche. Dabei jedoch ſah ich unter dem Arm hinweg und bemerkte einen Wink, den der Muteſſelim dem Agha gab. Beide bückten ſich, um die ſchwere Thüre aufzunehmen und in die Angeln zu bringen. Ich drehte mich um.
„Muteſſelim, laß die Thüre liegen!“
„Sie ſoll dahin, wohin ſie gehört.“
„So gehe ich auch wieder dahin, wohin ich gehöre!“
Ich machte Anſtalt, mich emporzuſchwingen, was nicht ſehr leicht zu bewerkſtelligen war, weil das Loch eine bedeutende Tiefe hatte.
„Halt, du bleibſt!“ gebot er mir und gab zugleich einen Wink, auf welchen mehrere bewaffnete Arnauten herbeitraten. „Du biſt mein Gefangener!“
Der gute Selim erſchrak. Er ſtarrte erſt den Muteſſe- lim und dann mich an.
„Dein Gefangener?“ fragte ich. „Du ſcherzeſt!“
„Es iſt mein voller Ernſt!“
„So biſt du über Nacht verrückt geworden! Wie kannſt du glauben, daß du der Mann ſeiſt, der mich ge- fangen nehmen kann!“
„Du biſt ja ſchon gefangen und wirſt nicht eher wieder frei kommen, als bis ich den Entflohenen entdeckt habe.“
„Muteſſelim, ich glaube nicht, daß du ihn entdecken wirſt!“
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werde ich dir auch deinen Willen thun und jetzt hinunter-
ſpringen.“
„Was meinſt du für Abſichten?“
„Deine Weisheit hat dich auf den ganz richtigen Ge-
danken geführt, daß ein Gefangener es am beſten erraten
könne, wie es einem andern Gefangenen möglich geweſen
ſei, zu entkommen. Allah ſei Dank, daß er ſo kluge Män-
ner geſchaffen hat!“
Ich ſprang hinunter in das Loch und bückte mich,
um zu thun, als ob ich am Boden ſuche. Dabei jedoch
ſah ich unter dem Arm hinweg und bemerkte einen Wink,
den der Muteſſelim dem Agha gab. Beide bückten ſich,
um die ſchwere Thüre aufzunehmen und in die Angeln
zu bringen. Ich drehte mich um.
„Muteſſelim, laß die Thüre liegen!“
„Sie ſoll dahin, wohin ſie gehört.“
„So gehe ich auch wieder dahin, wohin ich gehöre!“
Ich machte Anſtalt, mich emporzuſchwingen, was
nicht ſehr leicht zu bewerkſtelligen war, weil das Loch eine
bedeutende Tiefe hatte.
„Halt, du bleibſt!“ gebot er mir und gab zugleich
einen Wink, auf welchen mehrere bewaffnete Arnauten
herbeitraten. „Du biſt mein Gefangener!“
Der gute Selim erſchrak. Er ſtarrte erſt den Muteſſe-
lim und dann mich an.
„Dein Gefangener?“ fragte ich. „Du ſcherzeſt!“
„Es iſt mein voller Ernſt!“
„So biſt du über Nacht verrückt geworden! Wie
kannſt du glauben, daß du der Mann ſeiſt, der mich ge-
fangen nehmen kann!“
„Du biſt ja ſchon gefangen und wirſt nicht eher wieder
frei kommen, als bis ich den Entflohenen entdeckt habe.“
„Muteſſelim, ich glaube nicht, daß du ihn entdecken wirſt!“
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/356>, abgerufen am 23.12.2024.
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