Ich trat näher, aber so vorsichtig, daß mich kein Stoß von hinten hinabwerfen konnte, und blickte aufmerksam hinein.
"Ich sehe nichts, was mir auffallen könnte, Mutesselim!"
"Von hier aus kannst du auch nichts sehen. Du wirst wohl hinabsteigen müssen, Effendi!"
"Wenn du es für nötig hältst, werde ich es thun," erwiderte ich unbefangen.
Ich trat zur Seite, faßte die Thüre, hob sie aus den Angeln und legte sie quer vor der Thüröffnung auf den Boden nieder, so daß ich sie von dem Loche aus stets im Auge behalten konnte. Das hatte der gute Kommandant nicht erwartet; es machte ihm einen sehr dicken Strich durch seine Rechnung.
"Was thust du da?" fragte er enttäuscht und ärgerlich.
"Ich habe die Thüre ausgehoben, wie du siehst," antwortete ich.
"Warum?"
"O, wenn man Spuren entdecken will, so muß man sehr vorsichtig sein und alles im Auge behalten!"
"Aber das Abnehmen der Thüre ist doch nicht not- wendig. Du erhältst dadurch nicht mehr Licht in das Loch, als vorher."
"Richtig! Aber weißt du, welche Spuren die sicher- sten sind?"
"Welche?"
"Diejenigen, welche man in dem Angesichte eines Men- schen findet. Und diese" -- dabei klopfte ich ihm vertrau- lich auf die Achsel -- "weiß ein Effendi aus Germani- stan ganz sicher zu finden und zu lesen."
"Wie meinst du das?" fragte er betroffen.
"Ich meine, daß ich dich wieder einmal für einen großen Diplomaten halte. Du verstehst deine Geheimnisse und Absichten ausgezeichnet geheim zu halten. Und darum
Ich trat näher, aber ſo vorſichtig, daß mich kein Stoß von hinten hinabwerfen konnte, und blickte aufmerkſam hinein.
„Ich ſehe nichts, was mir auffallen könnte, Muteſſelim!“
„Von hier aus kannſt du auch nichts ſehen. Du wirſt wohl hinabſteigen müſſen, Effendi!“
„Wenn du es für nötig hältſt, werde ich es thun,“ erwiderte ich unbefangen.
Ich trat zur Seite, faßte die Thüre, hob ſie aus den Angeln und legte ſie quer vor der Thüröffnung auf den Boden nieder, ſo daß ich ſie von dem Loche aus ſtets im Auge behalten konnte. Das hatte der gute Kommandant nicht erwartet; es machte ihm einen ſehr dicken Strich durch ſeine Rechnung.
„Was thuſt du da?“ fragte er enttäuſcht und ärgerlich.
„Ich habe die Thüre ausgehoben, wie du ſiehſt,“ antwortete ich.
„Warum?“
„O, wenn man Spuren entdecken will, ſo muß man ſehr vorſichtig ſein und alles im Auge behalten!“
„Aber das Abnehmen der Thüre iſt doch nicht not- wendig. Du erhältſt dadurch nicht mehr Licht in das Loch, als vorher.“
„Richtig! Aber weißt du, welche Spuren die ſicher- ſten ſind?“
„Welche?“
„Diejenigen, welche man in dem Angeſichte eines Men- ſchen findet. Und dieſe“ — dabei klopfte ich ihm vertrau- lich auf die Achſel — „weiß ein Effendi aus Germani- ſtan ganz ſicher zu finden und zu leſen.“
„Wie meinſt du das?“ fragte er betroffen.
„Ich meine, daß ich dich wieder einmal für einen großen Diplomaten halte. Du verſtehſt deine Geheimniſſe und Abſichten ausgezeichnet geheim zu halten. Und darum
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[341/0355]
Ich trat näher, aber ſo vorſichtig, daß mich kein Stoß von
hinten hinabwerfen konnte, und blickte aufmerkſam hinein.
„Ich ſehe nichts, was mir auffallen könnte, Muteſſelim!“
„Von hier aus kannſt du auch nichts ſehen. Du
wirſt wohl hinabſteigen müſſen, Effendi!“
„Wenn du es für nötig hältſt, werde ich es thun,“
erwiderte ich unbefangen.
Ich trat zur Seite, faßte die Thüre, hob ſie aus den
Angeln und legte ſie quer vor der Thüröffnung auf den
Boden nieder, ſo daß ich ſie von dem Loche aus ſtets im
Auge behalten konnte. Das hatte der gute Kommandant
nicht erwartet; es machte ihm einen ſehr dicken Strich
durch ſeine Rechnung.
„Was thuſt du da?“ fragte er enttäuſcht und ärgerlich.
„Ich habe die Thüre ausgehoben, wie du ſiehſt,“
antwortete ich.
„Warum?“
„O, wenn man Spuren entdecken will, ſo muß man
ſehr vorſichtig ſein und alles im Auge behalten!“
„Aber das Abnehmen der Thüre iſt doch nicht not-
wendig. Du erhältſt dadurch nicht mehr Licht in das Loch,
als vorher.“
„Richtig! Aber weißt du, welche Spuren die ſicher-
ſten ſind?“
„Welche?“
„Diejenigen, welche man in dem Angeſichte eines Men-
ſchen findet. Und dieſe“ — dabei klopfte ich ihm vertrau-
lich auf die Achſel — „weiß ein Effendi aus Germani-
ſtan ganz ſicher zu finden und zu leſen.“
„Wie meinſt du das?“ fragte er betroffen.
„Ich meine, daß ich dich wieder einmal für einen
großen Diplomaten halte. Du verſtehſt deine Geheimniſſe
und Abſichten ausgezeichnet geheim zu halten. Und darum
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/355>, abgerufen am 23.12.2024.
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