Pferde gesattelt wurden. Dann machte ich mit dem Eng- länder noch einen Gang in die Stadt, um einige Ein- käufe zu besorgen. Als wir zurückkehrten, waren bereits alle vor dem Eingange des Hauses versammelt. Bei ihnen stand ein Mann, in dem ich schon von weitem den Vater meiner Patientin erkannte.
"Herr, ich höre, daß du abreisest," begann er, mir einige Schritte entgegentretend. "Darum bin ich gekom- men, um Abschied von dir zu nehmen. Meine Tochter wird bald ganz gesund sein. Sie, mein Weib und ich, wir werden zu Allah beten, daß er dich beschütze. Und damit du auch an uns denken mögest, habe ich ein kleines Jadikar *) mitgebracht, welches anzunehmen ich dich innigst bitte!"
"Wenn es ein Ufak-Defek **) ist, werde ich es nehmen, sonst aber nicht."
"Es ist so klein und arm, daß ich mich scheue, es dir selbst zu geben. Erlaube, daß ich es deinem Diener einhändige! Welcher ist es?"
"Dort bei dem Rappen steht er."
Er nahm unter seinem weiten Oberkleide ein ledernes, mit Perlen gesticktes Futteral hervor und reichte es Halef hin. Dann sah ich, daß er außer diesem Gegenstande dem Diener noch etwas gab. Ich dankte ihm, und wir schieden.
Jetzt kam das Schlimmste: der Abschied von Selim Agha und besonders von der ,Myrte'. Der Agha ging von Pferd zu Pferd und nestelte an Riemen und Schnallen herum, welche ganz in Ordnung waren. Dabei rollte er die Augen so fürchterlich, wie ich es selbst bei ihm noch niemals gesehen hatte. Die Spitzen seines Schnurrbartes gingen auf und nieder wie Wagebalken, und hier und da fuhr er sich mit der Hand nach dem Halse, als ob es ihn
*) Andenken.
**) Kleinigkeit.
Pferde geſattelt wurden. Dann machte ich mit dem Eng- länder noch einen Gang in die Stadt, um einige Ein- käufe zu beſorgen. Als wir zurückkehrten, waren bereits alle vor dem Eingange des Hauſes verſammelt. Bei ihnen ſtand ein Mann, in dem ich ſchon von weitem den Vater meiner Patientin erkannte.
„Herr, ich höre, daß du abreiſeſt,“ begann er, mir einige Schritte entgegentretend. „Darum bin ich gekom- men, um Abſchied von dir zu nehmen. Meine Tochter wird bald ganz geſund ſein. Sie, mein Weib und ich, wir werden zu Allah beten, daß er dich beſchütze. Und damit du auch an uns denken mögeſt, habe ich ein kleines Jadikar *) mitgebracht, welches anzunehmen ich dich innigſt bitte!“
„Wenn es ein Ufak-Defek **) iſt, werde ich es nehmen, ſonſt aber nicht.“
„Es iſt ſo klein und arm, daß ich mich ſcheue, es dir ſelbſt zu geben. Erlaube, daß ich es deinem Diener einhändige! Welcher iſt es?“
„Dort bei dem Rappen ſteht er.“
Er nahm unter ſeinem weiten Oberkleide ein ledernes, mit Perlen geſticktes Futteral hervor und reichte es Halef hin. Dann ſah ich, daß er außer dieſem Gegenſtande dem Diener noch etwas gab. Ich dankte ihm, und wir ſchieden.
Jetzt kam das Schlimmſte: der Abſchied von Selim Agha und beſonders von der ‚Myrte‘. Der Agha ging von Pferd zu Pferd und neſtelte an Riemen und Schnallen herum, welche ganz in Ordnung waren. Dabei rollte er die Augen ſo fürchterlich, wie ich es ſelbſt bei ihm noch niemals geſehen hatte. Die Spitzen ſeines Schnurrbartes gingen auf und nieder wie Wagebalken, und hier und da fuhr er ſich mit der Hand nach dem Halſe, als ob es ihn
*) Andenken.
**) Kleinigkeit.
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Pferde geſattelt wurden. Dann machte ich mit dem Eng-
länder noch einen Gang in die Stadt, um einige Ein-
käufe zu beſorgen. Als wir zurückkehrten, waren bereits
alle vor dem Eingange des Hauſes verſammelt. Bei ihnen
ſtand ein Mann, in dem ich ſchon von weitem den Vater
meiner Patientin erkannte.
„Herr, ich höre, daß du abreiſeſt,“ begann er, mir
einige Schritte entgegentretend. „Darum bin ich gekom-
men, um Abſchied von dir zu nehmen. Meine Tochter
wird bald ganz geſund ſein. Sie, mein Weib und ich,
wir werden zu Allah beten, daß er dich beſchütze. Und
damit du auch an uns denken mögeſt, habe ich ein kleines
Jadikar *) mitgebracht, welches anzunehmen ich dich innigſt
bitte!“
„Wenn es ein Ufak-Defek **) iſt, werde ich es nehmen,
ſonſt aber nicht.“
„Es iſt ſo klein und arm, daß ich mich ſcheue, es
dir ſelbſt zu geben. Erlaube, daß ich es deinem Diener
einhändige! Welcher iſt es?“
„Dort bei dem Rappen ſteht er.“
Er nahm unter ſeinem weiten Oberkleide ein ledernes,
mit Perlen geſticktes Futteral hervor und reichte es Halef
hin. Dann ſah ich, daß er außer dieſem Gegenſtande dem
Diener noch etwas gab. Ich dankte ihm, und wir ſchieden.
Jetzt kam das Schlimmſte: der Abſchied von Selim
Agha und beſonders von der ‚Myrte‘. Der Agha ging
von Pferd zu Pferd und neſtelte an Riemen und Schnallen
herum, welche ganz in Ordnung waren. Dabei rollte er
die Augen ſo fürchterlich, wie ich es ſelbſt bei ihm noch
niemals geſehen hatte. Die Spitzen ſeines Schnurrbartes
gingen auf und nieder wie Wagebalken, und hier und da
fuhr er ſich mit der Hand nach dem Halſe, als ob es ihn
*) Andenken.
**) Kleinigkeit.
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/381>, abgerufen am 23.12.2024.
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