verhängt werden konnten. Diese Löcher waren ziemlich hoch, aber so schmal, daß man kaum den Kopf hindurch- stecken konnte. Die Diele bestand aus gestampftem Lehm und war an der hintern Seite eines jeden Gemaches mit einem Binsenteppich belegt. Eine weitere Ausstattung gab es nicht.
Die Thüren konnten beide mit einem starken Balken fest verschlossen werden; hier wenigstens also war uns Sicherheit geboten. Im Hofe lag einiges alte Holzwerk nebst etlichen Gerätschaften, deren Zweck ich nicht erraten konnte. --
Wir befanden uns allein, denn auch der Nezanum war draußen geblieben, und nun hielten wir großen Rat.
"Glaubst du, daß wir sicher sind?" fragte mich der Scheik.
"Ich bin im Zweifel darüber. Der Nezanum hat mir alles versprochen und wird es auch halten. Wir sind seine Gäste und die Gäste des ganzen Dorfes. Aber es waren viele da, die nicht zu dem Dorfe gehörten."
"Diese können uns nichts thun," erwiderte er. "Wenn sie einen von uns töteten, wären sie der Blutrache des ganzen Dorfes verfallen, dessen Gäste wir sind."
"Und wenn sie uns nicht töten, sondern nur bestehlen wollen?"
"Was können sie uns nehmen?"
"Die Pferde, vielleicht die Waffen, vielleicht noch mehr."
Der ernste Scheik Mohammed Emin streichelte jetzt lächelnd seinen Bart und sagte: "Wir würden uns wehren."
"Und dabei der Blutrache verfallen," ergänzte ich.
"Warten wir es ab!" meinte er.
Da trat auch der Engländer ein, welcher draußen im Hofe umhergestöbert hatte. Seine Nase lag auf der rechten
verhängt werden konnten. Dieſe Löcher waren ziemlich hoch, aber ſo ſchmal, daß man kaum den Kopf hindurch- ſtecken konnte. Die Diele beſtand aus geſtampftem Lehm und war an der hintern Seite eines jeden Gemaches mit einem Binſenteppich belegt. Eine weitere Ausſtattung gab es nicht.
Die Thüren konnten beide mit einem ſtarken Balken feſt verſchloſſen werden; hier wenigſtens alſo war uns Sicherheit geboten. Im Hofe lag einiges alte Holzwerk nebſt etlichen Gerätſchaften, deren Zweck ich nicht erraten konnte. —
Wir befanden uns allein, denn auch der Nezanum war draußen geblieben, und nun hielten wir großen Rat.
„Glaubſt du, daß wir ſicher ſind?“ fragte mich der Scheik.
„Ich bin im Zweifel darüber. Der Nezanum hat mir alles verſprochen und wird es auch halten. Wir ſind ſeine Gäſte und die Gäſte des ganzen Dorfes. Aber es waren viele da, die nicht zu dem Dorfe gehörten.“
„Dieſe können uns nichts thun,“ erwiderte er. „Wenn ſie einen von uns töteten, wären ſie der Blutrache des ganzen Dorfes verfallen, deſſen Gäſte wir ſind.“
„Und wenn ſie uns nicht töten, ſondern nur beſtehlen wollen?“
„Was können ſie uns nehmen?“
„Die Pferde, vielleicht die Waffen, vielleicht noch mehr.“
Der ernſte Scheik Mohammed Emin ſtreichelte jetzt lächelnd ſeinen Bart und ſagte: „Wir würden uns wehren.“
„Und dabei der Blutrache verfallen,“ ergänzte ich.
„Warten wir es ab!“ meinte er.
Da trat auch der Engländer ein, welcher draußen im Hofe umhergeſtöbert hatte. Seine Naſe lag auf der rechten
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0397"n="383"/>
verhängt werden konnten. Dieſe Löcher waren ziemlich<lb/>
hoch, aber ſo ſchmal, daß man kaum den Kopf hindurch-<lb/>ſtecken konnte. Die Diele beſtand aus geſtampftem Lehm<lb/>
und war an der hintern Seite eines jeden Gemaches mit<lb/>
einem Binſenteppich belegt. Eine weitere Ausſtattung gab<lb/>
es nicht.</p><lb/><p>Die Thüren konnten beide mit einem ſtarken Balken<lb/>
feſt verſchloſſen werden; hier wenigſtens alſo war uns<lb/>
Sicherheit geboten. Im Hofe lag einiges alte Holzwerk<lb/>
nebſt etlichen Gerätſchaften, deren Zweck ich nicht erraten<lb/>
konnte. —</p><lb/><p>Wir befanden uns allein, denn auch der Nezanum<lb/>
war draußen geblieben, und nun hielten wir großen Rat.</p><lb/><p>„Glaubſt du, daß wir ſicher ſind?“ fragte mich der<lb/>
Scheik.</p><lb/><p>„Ich bin im Zweifel darüber. Der Nezanum hat<lb/>
mir alles verſprochen und wird es auch halten. Wir ſind<lb/>ſeine Gäſte und die Gäſte des ganzen Dorfes. Aber es<lb/>
waren viele da, die nicht zu dem Dorfe gehörten.“</p><lb/><p>„Dieſe können uns nichts thun,“ erwiderte er. „Wenn<lb/>ſie einen von uns töteten, wären ſie der Blutrache des<lb/>
ganzen Dorfes verfallen, deſſen Gäſte wir ſind.“</p><lb/><p>„Und wenn ſie uns nicht töten, ſondern nur beſtehlen<lb/>
wollen?“</p><lb/><p>„Was können ſie uns nehmen?“</p><lb/><p>„Die Pferde, vielleicht die Waffen, vielleicht noch<lb/>
mehr.“</p><lb/><p>Der ernſte Scheik Mohammed Emin ſtreichelte jetzt<lb/>
lächelnd ſeinen Bart und ſagte: „Wir würden uns wehren.“</p><lb/><p>„Und dabei der Blutrache verfallen,“ ergänzte ich.</p><lb/><p>„Warten wir es ab!“ meinte er.</p><lb/><p>Da trat auch der Engländer ein, welcher draußen im<lb/>
Hofe umhergeſtöbert hatte. Seine Naſe lag auf der rechten<lb/></p></div></body></text></TEI>
[383/0397]
verhängt werden konnten. Dieſe Löcher waren ziemlich
hoch, aber ſo ſchmal, daß man kaum den Kopf hindurch-
ſtecken konnte. Die Diele beſtand aus geſtampftem Lehm
und war an der hintern Seite eines jeden Gemaches mit
einem Binſenteppich belegt. Eine weitere Ausſtattung gab
es nicht.
Die Thüren konnten beide mit einem ſtarken Balken
feſt verſchloſſen werden; hier wenigſtens alſo war uns
Sicherheit geboten. Im Hofe lag einiges alte Holzwerk
nebſt etlichen Gerätſchaften, deren Zweck ich nicht erraten
konnte. —
Wir befanden uns allein, denn auch der Nezanum
war draußen geblieben, und nun hielten wir großen Rat.
„Glaubſt du, daß wir ſicher ſind?“ fragte mich der
Scheik.
„Ich bin im Zweifel darüber. Der Nezanum hat
mir alles verſprochen und wird es auch halten. Wir ſind
ſeine Gäſte und die Gäſte des ganzen Dorfes. Aber es
waren viele da, die nicht zu dem Dorfe gehörten.“
„Dieſe können uns nichts thun,“ erwiderte er. „Wenn
ſie einen von uns töteten, wären ſie der Blutrache des
ganzen Dorfes verfallen, deſſen Gäſte wir ſind.“
„Und wenn ſie uns nicht töten, ſondern nur beſtehlen
wollen?“
„Was können ſie uns nehmen?“
„Die Pferde, vielleicht die Waffen, vielleicht noch
mehr.“
Der ernſte Scheik Mohammed Emin ſtreichelte jetzt
lächelnd ſeinen Bart und ſagte: „Wir würden uns wehren.“
„Und dabei der Blutrache verfallen,“ ergänzte ich.
„Warten wir es ab!“ meinte er.
Da trat auch der Engländer ein, welcher draußen im
Hofe umhergeſtöbert hatte. Seine Naſe lag auf der rechten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/397>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.