Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

deren Besitz mich sogar der Engländer beneiden wollte.
Schade, daß ich sie nicht gleich anrauchen konnte, da wir
nur einige Schlücke Wasser hatten!

"Gab er dir auch etwas, Halef?" fragte ich den Diener.

"Ja, Sihdi. Fünf goldene Medschidje. Sihdi, es
ist doch manchmal gut, daß Allah auch tolle Kirschen
wachsen läßt, wie du jene Beere nennst. Allah illa Allah!
Er weiß am besten, was er thut!" -- --

Als der Tag zu grauen begann, begaben wir uns
auf das Dach, von wo aus wir den größten Teil des
Dorfes überblicken konnten. Wir sahen nur in der Ferne
einige Männer stehen, welche unser Haus zu beobachten
schienen; in der Nähe aber regte sich niemand. Nach
kurzer Zeit that sich jedoch die Thüre eines der gegen-
überliegenden Häuser auf, und es traten zwei Männer
hervor, welche zu uns herüberkamen. Auf der Mitte des
Weges blieben sie stehen.

"Werdet ihr schießen?" fragte der eine.

"Nein. Ihr habt uns ja noch nichts gethan," ant-
wortete ich.

"Wir sind ohne Waffen. Dürfen wir den Toten
holen?"

"Kommt herauf!"

Halef stieg hinab, um die Thüre zu öffnen, und die
beiden Kurden kamen auf das Dach.

"Seid ihr verwandt mit dem Toten?" redete ich sie an.

"Nein. Wenn wir Verwandte desselben wären,
kämen wir nicht herauf zu dir, Chodih."

"Warum nicht?"

"Wir könnten ihn besser rächen, wenn du uns nicht
kennst."

Wieder eine Lehre, welche mir bewies, wie viel ein
Mensch zu lernen hat.

deren Beſitz mich ſogar der Engländer beneiden wollte.
Schade, daß ich ſie nicht gleich anrauchen konnte, da wir
nur einige Schlücke Waſſer hatten!

„Gab er dir auch etwas, Halef?“ fragte ich den Diener.

„Ja, Sihdi. Fünf goldene Medſchidje. Sihdi, es
iſt doch manchmal gut, daß Allah auch tolle Kirſchen
wachſen läßt, wie du jene Beere nennſt. Allah illa Allah!
Er weiß am beſten, was er thut!“ — —

Als der Tag zu grauen begann, begaben wir uns
auf das Dach, von wo aus wir den größten Teil des
Dorfes überblicken konnten. Wir ſahen nur in der Ferne
einige Männer ſtehen, welche unſer Haus zu beobachten
ſchienen; in der Nähe aber regte ſich niemand. Nach
kurzer Zeit that ſich jedoch die Thüre eines der gegen-
überliegenden Häuſer auf, und es traten zwei Männer
hervor, welche zu uns herüberkamen. Auf der Mitte des
Weges blieben ſie ſtehen.

„Werdet ihr ſchießen?“ fragte der eine.

„Nein. Ihr habt uns ja noch nichts gethan,“ ant-
wortete ich.

„Wir ſind ohne Waffen. Dürfen wir den Toten
holen?“

„Kommt herauf!“

Halef ſtieg hinab, um die Thüre zu öffnen, und die
beiden Kurden kamen auf das Dach.

„Seid ihr verwandt mit dem Toten?“ redete ich ſie an.

„Nein. Wenn wir Verwandte desſelben wären,
kämen wir nicht herauf zu dir, Chodih.“

„Warum nicht?“

„Wir könnten ihn beſſer rächen, wenn du uns nicht
kennſt.“

Wieder eine Lehre, welche mir bewies, wie viel ein
Menſch zu lernen hat.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0419" n="405"/>
deren Be&#x017F;itz mich &#x017F;ogar der Engländer beneiden wollte.<lb/>
Schade, daß ich &#x017F;ie nicht gleich anrauchen konnte, da wir<lb/>
nur einige Schlücke Wa&#x017F;&#x017F;er hatten!</p><lb/>
        <p>&#x201E;Gab er dir auch etwas, Halef?&#x201C; fragte ich den Diener.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja, Sihdi. Fünf goldene Med&#x017F;chidje. Sihdi, es<lb/>
i&#x017F;t doch manchmal gut, daß Allah auch tolle Kir&#x017F;chen<lb/>
wach&#x017F;en läßt, wie du jene Beere nenn&#x017F;t. Allah illa Allah!<lb/>
Er weiß am be&#x017F;ten, was er thut!&#x201C; &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Als der Tag zu grauen begann, begaben wir uns<lb/>
auf das Dach, von wo aus wir den größten Teil des<lb/>
Dorfes überblicken konnten. Wir &#x017F;ahen nur in der Ferne<lb/>
einige Männer &#x017F;tehen, welche un&#x017F;er Haus zu beobachten<lb/>
&#x017F;chienen; in der Nähe aber regte &#x017F;ich niemand. Nach<lb/>
kurzer Zeit that &#x017F;ich jedoch die Thüre eines der gegen-<lb/>
überliegenden Häu&#x017F;er auf, und es traten zwei Männer<lb/>
hervor, welche zu uns herüberkamen. Auf der Mitte des<lb/>
Weges blieben &#x017F;ie &#x017F;tehen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Werdet ihr &#x017F;chießen?&#x201C; fragte der eine.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein. Ihr habt uns ja noch nichts gethan,&#x201C; ant-<lb/>
wortete ich.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wir &#x017F;ind ohne Waffen. Dürfen wir den Toten<lb/>
holen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Kommt herauf!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Halef &#x017F;tieg hinab, um die Thüre zu öffnen, und die<lb/>
beiden Kurden kamen auf das Dach.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Seid ihr verwandt mit dem Toten?&#x201C; redete ich &#x017F;ie an.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein. Wenn wir Verwandte des&#x017F;elben wären,<lb/>
kämen wir nicht herauf zu dir, Chodih.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Warum nicht?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wir könnten ihn be&#x017F;&#x017F;er rächen, wenn du uns nicht<lb/>
kenn&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Wieder eine Lehre, welche mir bewies, wie viel ein<lb/>
Men&#x017F;ch zu lernen hat.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[405/0419] deren Beſitz mich ſogar der Engländer beneiden wollte. Schade, daß ich ſie nicht gleich anrauchen konnte, da wir nur einige Schlücke Waſſer hatten! „Gab er dir auch etwas, Halef?“ fragte ich den Diener. „Ja, Sihdi. Fünf goldene Medſchidje. Sihdi, es iſt doch manchmal gut, daß Allah auch tolle Kirſchen wachſen läßt, wie du jene Beere nennſt. Allah illa Allah! Er weiß am beſten, was er thut!“ — — Als der Tag zu grauen begann, begaben wir uns auf das Dach, von wo aus wir den größten Teil des Dorfes überblicken konnten. Wir ſahen nur in der Ferne einige Männer ſtehen, welche unſer Haus zu beobachten ſchienen; in der Nähe aber regte ſich niemand. Nach kurzer Zeit that ſich jedoch die Thüre eines der gegen- überliegenden Häuſer auf, und es traten zwei Männer hervor, welche zu uns herüberkamen. Auf der Mitte des Weges blieben ſie ſtehen. „Werdet ihr ſchießen?“ fragte der eine. „Nein. Ihr habt uns ja noch nichts gethan,“ ant- wortete ich. „Wir ſind ohne Waffen. Dürfen wir den Toten holen?“ „Kommt herauf!“ Halef ſtieg hinab, um die Thüre zu öffnen, und die beiden Kurden kamen auf das Dach. „Seid ihr verwandt mit dem Toten?“ redete ich ſie an. „Nein. Wenn wir Verwandte desſelben wären, kämen wir nicht herauf zu dir, Chodih.“ „Warum nicht?“ „Wir könnten ihn beſſer rächen, wenn du uns nicht kennſt.“ Wieder eine Lehre, welche mir bewies, wie viel ein Menſch zu lernen hat.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/419
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/419>, abgerufen am 23.12.2024.