Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

führten so viele Stricke und Riemen bei sich, daß sie sicher
auf einen viel größeren Fang ausgegangen waren, als
sie mit uns gemacht hatten. Es wurden Stricke zwischen
mir und Lindsay herüber und hinüber gezogen, so daß
die Flucht eines einzelnen von uns gar nicht möglich war.
Der Engländer sah diese Veranstaltungen mit einem un-
beschreiblichen Blick über sich ergehen; dann wandte er
sich mit einem Gesichte zu mir, an welchem alle bitteren
Gefühle der Welt herumzerrten. Der fest zusammenge-
kniffene Mund bildete einen Halbkreis, dessen Enden das
Kinn abknüpfen wollten, und die Nase hing farblos
nieder, wie eine eingeschneite und steif gefrorene Trauer-
flagge.

"Nun, Sir?" fragte ich.

Er nickte sehr langsam zwei- oder dreimal und sagte
dann:"Yes!"

Er brauchte nicht mehr zu sagen, als dieses eine
Wort, denn in dem Tone desselben lag eine ganze Welt
voll Ausrufezeichen.

"Wir sind gefangen," hob ich an.

"Yes!"

"Und halb nackt."

"Yes!"

"Wie ist das gekommen?"

"Yes!"

"Geht zum Kuckuck mit Eurem Yes! Ich habe ge-
fragt, wie es gekommen ist, daß wir gefangen werden
konnten."

"Wie heißt Schelm oder Spitzbube auf Kurdisch?"

"Schelm heißt Heilebaz, und Spitzbube Herambaz."

"So fragt diese Heile- und Herambazes, wie es ihnen
gelungen ist, uns wegzufischen!"

Der Anführer mußte die kurdischen Ausdrücke ver-

führten ſo viele Stricke und Riemen bei ſich, daß ſie ſicher
auf einen viel größeren Fang ausgegangen waren, als
ſie mit uns gemacht hatten. Es wurden Stricke zwiſchen
mir und Lindſay herüber und hinüber gezogen, ſo daß
die Flucht eines einzelnen von uns gar nicht möglich war.
Der Engländer ſah dieſe Veranſtaltungen mit einem un-
beſchreiblichen Blick über ſich ergehen; dann wandte er
ſich mit einem Geſichte zu mir, an welchem alle bitteren
Gefühle der Welt herumzerrten. Der feſt zuſammenge-
kniffene Mund bildete einen Halbkreis, deſſen Enden das
Kinn abknüpfen wollten, und die Naſe hing farblos
nieder, wie eine eingeſchneite und ſteif gefrorene Trauer-
flagge.

„Nun, Sir?“ fragte ich.

Er nickte ſehr langſam zwei- oder dreimal und ſagte
dann:„Yes!

Er brauchte nicht mehr zu ſagen, als dieſes eine
Wort, denn in dem Tone desſelben lag eine ganze Welt
voll Ausrufezeichen.

„Wir ſind gefangen,“ hob ich an.

Yes!

„Und halb nackt.“

Yes!

„Wie iſt das gekommen?“

Yes!

„Geht zum Kuckuck mit Eurem Yes! Ich habe ge-
fragt, wie es gekommen iſt, daß wir gefangen werden
konnten.“

„Wie heißt Schelm oder Spitzbube auf Kurdiſch?“

„Schelm heißt Heilebaz, und Spitzbube Herambaz.“

„So fragt dieſe Heile- und Herambazes, wie es ihnen
gelungen iſt, uns wegzufiſchen!“

Der Anführer mußte die kurdiſchen Ausdrücke ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0468" n="454"/>
führten &#x017F;o viele Stricke und Riemen bei &#x017F;ich, daß &#x017F;ie &#x017F;icher<lb/>
auf einen viel größeren Fang ausgegangen waren, als<lb/>
&#x017F;ie mit uns gemacht hatten. Es wurden Stricke zwi&#x017F;chen<lb/>
mir und Lind&#x017F;ay herüber und hinüber gezogen, &#x017F;o daß<lb/>
die Flucht eines einzelnen von uns gar nicht möglich war.<lb/>
Der Engländer &#x017F;ah die&#x017F;e Veran&#x017F;taltungen mit einem un-<lb/>
be&#x017F;chreiblichen Blick über &#x017F;ich ergehen; dann wandte er<lb/>
&#x017F;ich mit einem Ge&#x017F;ichte zu mir, an welchem alle bitteren<lb/>
Gefühle der Welt herumzerrten. Der fe&#x017F;t zu&#x017F;ammenge-<lb/>
kniffene Mund bildete einen Halbkreis, de&#x017F;&#x017F;en Enden das<lb/>
Kinn abknüpfen wollten, und die Na&#x017F;e hing farblos<lb/>
nieder, wie eine einge&#x017F;chneite und &#x017F;teif gefrorene Trauer-<lb/>
flagge.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nun, Sir?&#x201C; fragte ich.</p><lb/>
        <p>Er nickte &#x017F;ehr lang&#x017F;am zwei- oder dreimal und &#x017F;agte<lb/>
dann:&#x201E;<hi rendition="#aq">Yes!</hi>&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er brauchte nicht mehr zu &#x017F;agen, als die&#x017F;es eine<lb/>
Wort, denn in dem Tone des&#x017F;elben lag eine ganze Welt<lb/>
voll Ausrufezeichen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wir &#x017F;ind gefangen,&#x201C; hob ich an.</p><lb/>
        <p>&#x201E;<hi rendition="#aq">Yes!</hi>&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und halb nackt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;<hi rendition="#aq">Yes!</hi>&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wie i&#x017F;t das gekommen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;<hi rendition="#aq">Yes!</hi>&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Geht zum Kuckuck mit Eurem <hi rendition="#aq">Yes!</hi> Ich habe ge-<lb/>
fragt, wie es gekommen i&#x017F;t, daß wir gefangen werden<lb/>
konnten.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wie heißt Schelm oder Spitzbube auf Kurdi&#x017F;ch?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Schelm heißt Heilebaz, und Spitzbube Herambaz.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;So fragt die&#x017F;e Heile- und Herambazes, wie es ihnen<lb/>
gelungen i&#x017F;t, uns wegzufi&#x017F;chen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Anführer mußte die kurdi&#x017F;chen Ausdrücke ver-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[454/0468] führten ſo viele Stricke und Riemen bei ſich, daß ſie ſicher auf einen viel größeren Fang ausgegangen waren, als ſie mit uns gemacht hatten. Es wurden Stricke zwiſchen mir und Lindſay herüber und hinüber gezogen, ſo daß die Flucht eines einzelnen von uns gar nicht möglich war. Der Engländer ſah dieſe Veranſtaltungen mit einem un- beſchreiblichen Blick über ſich ergehen; dann wandte er ſich mit einem Geſichte zu mir, an welchem alle bitteren Gefühle der Welt herumzerrten. Der feſt zuſammenge- kniffene Mund bildete einen Halbkreis, deſſen Enden das Kinn abknüpfen wollten, und die Naſe hing farblos nieder, wie eine eingeſchneite und ſteif gefrorene Trauer- flagge. „Nun, Sir?“ fragte ich. Er nickte ſehr langſam zwei- oder dreimal und ſagte dann:„Yes!“ Er brauchte nicht mehr zu ſagen, als dieſes eine Wort, denn in dem Tone desſelben lag eine ganze Welt voll Ausrufezeichen. „Wir ſind gefangen,“ hob ich an. „Yes!“ „Und halb nackt.“ „Yes!“ „Wie iſt das gekommen?“ „Yes!“ „Geht zum Kuckuck mit Eurem Yes! Ich habe ge- fragt, wie es gekommen iſt, daß wir gefangen werden konnten.“ „Wie heißt Schelm oder Spitzbube auf Kurdiſch?“ „Schelm heißt Heilebaz, und Spitzbube Herambaz.“ „So fragt dieſe Heile- und Herambazes, wie es ihnen gelungen iſt, uns wegzufiſchen!“ Der Anführer mußte die kurdiſchen Ausdrücke ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/468
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/468>, abgerufen am 23.12.2024.