"Ich wollte einst ein solcher werden," antwortete er.
"Wann wird der Melek hier ankommen?"
"Noch heute; die Stunde aber ist unbestimmt."
"Ich soll bis dahin in deinem Hause bleiben?"
Er nickte, und ich fragte weiter:
"Aber als was?"
"Als das, was du bist, als Gefangener."
"Und wer wird mich festhalten?"
"Meine Leute und dein Wort."
"Deine Leute können mich nicht halten, und mein Versprechen habe ich bereits erfüllt. Ich sagte, daß ich ihnen folgen würde; das habe ich gethan."
Er schien zu überlegen.
"Du magst recht haben. So sollst du also nicht mein Gefangener, sondern mein Gast sein."
Er klatschte in die Hände. Ein altes Weib erschien.
"Bringe Pfeifen, Kaffee und Matten!" gebot er ihr.
Die Matten wurden zuerst gebracht, und wir mußten zu beiden Seiten des Mannes Platz nehmen, der ein Priester genannt wurde, weil er einst gewillt gewesen war, ein solcher zu werden. Er wurde jetzt freundlicher, und als die Pfeifen mit dem Tabak gebracht wurden, hatte er sogar die Herablassung, sie uns selbst anzubren- nen. Ich erkundigte mich bei ihm nach den Verhältnissen der nestorianischen Chaldäer und erfuhr allerdings Dinge, bei deren Erzählung einem sich die Haare sträuben konnten.
Die Krieger hatten sich um das Haus gelagert; es waren, wie ich erfuhr, arme, einfache Ackerbauer, also un- angesehene Leute nach den Begriffen der Nomaden und anderen Bevölkerungsklassen, welche das Handwerk des
„Ich bin überzeugt, daß ſie die wahre iſt.“
„Du biſt kein Miſſionar?“
„Nein. Biſt du ein Prieſter?“ fragte ich dagegen.
„Ich wollte einſt ein ſolcher werden,“ antwortete er.
„Wann wird der Melek hier ankommen?“
„Noch heute; die Stunde aber iſt unbeſtimmt.“
„Ich ſoll bis dahin in deinem Hauſe bleiben?“
Er nickte, und ich fragte weiter:
„Aber als was?“
„Als das, was du biſt, als Gefangener.“
„Und wer wird mich feſthalten?“
„Meine Leute und dein Wort.“
„Deine Leute können mich nicht halten, und mein Verſprechen habe ich bereits erfüllt. Ich ſagte, daß ich ihnen folgen würde; das habe ich gethan.“
Er ſchien zu überlegen.
„Du magſt recht haben. So ſollſt du alſo nicht mein Gefangener, ſondern mein Gaſt ſein.“
Er klatſchte in die Hände. Ein altes Weib erſchien.
„Bringe Pfeifen, Kaffee und Matten!“ gebot er ihr.
Die Matten wurden zuerſt gebracht, und wir mußten zu beiden Seiten des Mannes Platz nehmen, der ein Prieſter genannt wurde, weil er einſt gewillt geweſen war, ein ſolcher zu werden. Er wurde jetzt freundlicher, und als die Pfeifen mit dem Tabak gebracht wurden, hatte er ſogar die Herablaſſung, ſie uns ſelbſt anzubren- nen. Ich erkundigte mich bei ihm nach den Verhältniſſen der neſtorianiſchen Chaldäer und erfuhr allerdings Dinge, bei deren Erzählung einem ſich die Haare ſträuben konnten.
Die Krieger hatten ſich um das Haus gelagert; es waren, wie ich erfuhr, arme, einfache Ackerbauer, alſo un- angeſehene Leute nach den Begriffen der Nomaden und anderen Bevölkerungsklaſſen, welche das Handwerk des
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0482"n="468"/><p>„Ich bin überzeugt, daß ſie die wahre iſt.“</p><lb/><p>„Du biſt kein Miſſionar?“</p><lb/><p>„Nein. Biſt du ein Prieſter?“ fragte ich dagegen.</p><lb/><p>„Ich wollte einſt ein ſolcher werden,“ antwortete er.</p><lb/><p>„Wann wird der Melek hier ankommen?“</p><lb/><p>„Noch heute; die Stunde aber iſt unbeſtimmt.“</p><lb/><p>„Ich ſoll bis dahin in deinem Hauſe bleiben?“</p><lb/><p>Er nickte, und ich fragte weiter:</p><lb/><p>„Aber als was?“</p><lb/><p>„Als das, was du biſt, als Gefangener.“</p><lb/><p>„Und wer wird mich feſthalten?“</p><lb/><p>„Meine Leute und dein Wort.“</p><lb/><p>„Deine Leute können mich nicht halten, und mein<lb/>
Verſprechen habe ich bereits erfüllt. Ich ſagte, daß ich<lb/>
ihnen folgen würde; das habe ich gethan.“</p><lb/><p>Er ſchien zu überlegen.</p><lb/><p>„Du magſt recht haben. So ſollſt du alſo nicht mein<lb/>
Gefangener, ſondern mein Gaſt ſein.“</p><lb/><p>Er klatſchte in die Hände. Ein altes Weib erſchien.</p><lb/><p>„Bringe Pfeifen, Kaffee und Matten!“ gebot er ihr.</p><lb/><p>Die Matten wurden zuerſt gebracht, und wir mußten<lb/>
zu beiden Seiten des Mannes Platz nehmen, der ein<lb/>
Prieſter genannt wurde, weil er einſt gewillt geweſen<lb/>
war, ein ſolcher zu werden. Er wurde jetzt freundlicher,<lb/>
und als die Pfeifen mit dem Tabak gebracht wurden,<lb/>
hatte er ſogar die Herablaſſung, ſie uns ſelbſt anzubren-<lb/>
nen. Ich erkundigte mich bei ihm nach den Verhältniſſen<lb/>
der neſtorianiſchen Chaldäer und erfuhr allerdings Dinge,<lb/>
bei deren Erzählung einem ſich die Haare ſträuben konnten.</p><lb/><p>Die Krieger hatten ſich um das Haus gelagert; es<lb/>
waren, wie ich erfuhr, arme, einfache Ackerbauer, alſo un-<lb/>
angeſehene Leute nach den Begriffen der Nomaden und<lb/>
anderen Bevölkerungsklaſſen, welche das Handwerk des<lb/></p></div></body></text></TEI>
[468/0482]
„Ich bin überzeugt, daß ſie die wahre iſt.“
„Du biſt kein Miſſionar?“
„Nein. Biſt du ein Prieſter?“ fragte ich dagegen.
„Ich wollte einſt ein ſolcher werden,“ antwortete er.
„Wann wird der Melek hier ankommen?“
„Noch heute; die Stunde aber iſt unbeſtimmt.“
„Ich ſoll bis dahin in deinem Hauſe bleiben?“
Er nickte, und ich fragte weiter:
„Aber als was?“
„Als das, was du biſt, als Gefangener.“
„Und wer wird mich feſthalten?“
„Meine Leute und dein Wort.“
„Deine Leute können mich nicht halten, und mein
Verſprechen habe ich bereits erfüllt. Ich ſagte, daß ich
ihnen folgen würde; das habe ich gethan.“
Er ſchien zu überlegen.
„Du magſt recht haben. So ſollſt du alſo nicht mein
Gefangener, ſondern mein Gaſt ſein.“
Er klatſchte in die Hände. Ein altes Weib erſchien.
„Bringe Pfeifen, Kaffee und Matten!“ gebot er ihr.
Die Matten wurden zuerſt gebracht, und wir mußten
zu beiden Seiten des Mannes Platz nehmen, der ein
Prieſter genannt wurde, weil er einſt gewillt geweſen
war, ein ſolcher zu werden. Er wurde jetzt freundlicher,
und als die Pfeifen mit dem Tabak gebracht wurden,
hatte er ſogar die Herablaſſung, ſie uns ſelbſt anzubren-
nen. Ich erkundigte mich bei ihm nach den Verhältniſſen
der neſtorianiſchen Chaldäer und erfuhr allerdings Dinge,
bei deren Erzählung einem ſich die Haare ſträuben konnten.
Die Krieger hatten ſich um das Haus gelagert; es
waren, wie ich erfuhr, arme, einfache Ackerbauer, alſo un-
angeſehene Leute nach den Begriffen der Nomaden und
anderen Bevölkerungsklaſſen, welche das Handwerk des
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/482>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.