däer versammelt war. Nedschir-Bey stand bei ihnen. Als er mich erblickte, trat er auf mich zu.
"Wen suchest du hier?" fragte er mich in rohem Tone.
"Den Melek," antwortete ich ruhig.
"Er hat keine Zeit für dich; gehe wieder hinauf!"
"Ich bin gewöhnt, zu thun, was mir beliebt. Befiehl deinen Knechten, nicht aber einem freien Mann, dem du nichts zu gebieten hast!"
Da trat er näher an mich heran und streckte seine mächtigen Glieder. In seinen Augen funkelte ein Licht, das mir sagte, daß der erwartete Zusammenstoß jetzt geschehen werde. So viel stand sicher: wenn ich ihn nicht gleich auf der Stelle unschädlich machte, so war es um mich geschehen.
"Wirst du gehorchen?" drohte er.
"Knabe, mache dich nicht lächerlich!" entgegnete ich lachend.
"Knabe!" brüllte er. "Hier nimm den Lohn!"
Er schlug nach meinem Kopfe; ich parierte mit dem linken Arme den Hieb und ließ dann meine rechte Faust mit solcher Gewalt an seine Schläfe sausen, daß ich glaubte, sämtliche Finger seien mir zerbrochen. Er stürzte lautlos zusammen und lag steif wie ein Klotz.
Die Umstehenden wichen scheu zurück; einer aber rief:
"Er hat ihn erschlagen!"
"Ich habe ihn betäubt," antwortete ich. "Werft ihn in das Wasser, so wird er die Besinnung bald wieder finden."
"Chodih, was hast du gethan!" erscholl es hinter mir.
Ich wandte mich um und erblickte den Melek, welcher soeben aus der Thür getreten war.
"Ich?" fragte ich. "Hast du diesen Mann nicht vor mir gewarnt? Er schlug dennoch nach mir. Sage ihm,
däer verſammelt war. Nedſchir-Bey ſtand bei ihnen. Als er mich erblickte, trat er auf mich zu.
„Wen ſucheſt du hier?“ fragte er mich in rohem Tone.
„Den Melek,“ antwortete ich ruhig.
„Er hat keine Zeit für dich; gehe wieder hinauf!“
„Ich bin gewöhnt, zu thun, was mir beliebt. Befiehl deinen Knechten, nicht aber einem freien Mann, dem du nichts zu gebieten haſt!“
Da trat er näher an mich heran und ſtreckte ſeine mächtigen Glieder. In ſeinen Augen funkelte ein Licht, das mir ſagte, daß der erwartete Zuſammenſtoß jetzt geſchehen werde. So viel ſtand ſicher: wenn ich ihn nicht gleich auf der Stelle unſchädlich machte, ſo war es um mich geſchehen.
„Wirſt du gehorchen?“ drohte er.
„Knabe, mache dich nicht lächerlich!“ entgegnete ich lachend.
„Knabe!“ brüllte er. „Hier nimm den Lohn!“
Er ſchlug nach meinem Kopfe; ich parierte mit dem linken Arme den Hieb und ließ dann meine rechte Fauſt mit ſolcher Gewalt an ſeine Schläfe ſauſen, daß ich glaubte, ſämtliche Finger ſeien mir zerbrochen. Er ſtürzte lautlos zuſammen und lag ſteif wie ein Klotz.
Die Umſtehenden wichen ſcheu zurück; einer aber rief:
„Er hat ihn erſchlagen!“
„Ich habe ihn betäubt,“ antwortete ich. „Werft ihn in das Waſſer, ſo wird er die Beſinnung bald wieder finden.“
„Chodih, was haſt du gethan!“ erſcholl es hinter mir.
Ich wandte mich um und erblickte den Melek, welcher ſoeben aus der Thür getreten war.
„Ich?“ fragte ich. „Haſt du dieſen Mann nicht vor mir gewarnt? Er ſchlug dennoch nach mir. Sage ihm,
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däer verſammelt war. Nedſchir-Bey ſtand bei ihnen. Als
er mich erblickte, trat er auf mich zu.
„Wen ſucheſt du hier?“ fragte er mich in rohem Tone.
„Den Melek,“ antwortete ich ruhig.
„Er hat keine Zeit für dich; gehe wieder hinauf!“
„Ich bin gewöhnt, zu thun, was mir beliebt. Befiehl
deinen Knechten, nicht aber einem freien Mann, dem du
nichts zu gebieten haſt!“
Da trat er näher an mich heran und ſtreckte ſeine
mächtigen Glieder. In ſeinen Augen funkelte ein Licht,
das mir ſagte, daß der erwartete Zuſammenſtoß jetzt
geſchehen werde. So viel ſtand ſicher: wenn ich ihn nicht
gleich auf der Stelle unſchädlich machte, ſo war es um
mich geſchehen.
„Wirſt du gehorchen?“ drohte er.
„Knabe, mache dich nicht lächerlich!“ entgegnete ich
lachend.
„Knabe!“ brüllte er. „Hier nimm den Lohn!“
Er ſchlug nach meinem Kopfe; ich parierte mit dem
linken Arme den Hieb und ließ dann meine rechte Fauſt
mit ſolcher Gewalt an ſeine Schläfe ſauſen, daß ich
glaubte, ſämtliche Finger ſeien mir zerbrochen. Er
ſtürzte lautlos zuſammen und lag ſteif wie ein Klotz.
Die Umſtehenden wichen ſcheu zurück; einer aber rief:
„Er hat ihn erſchlagen!“
„Ich habe ihn betäubt,“ antwortete ich. „Werft ihn
in das Waſſer, ſo wird er die Beſinnung bald wieder
finden.“
„Chodih, was haſt du gethan!“ erſcholl es hinter mir.
Ich wandte mich um und erblickte den Melek, welcher
ſoeben aus der Thür getreten war.
„Ich?“ fragte ich. „Haſt du dieſen Mann nicht vor
mir gewarnt? Er ſchlug dennoch nach mir. Sage ihm,
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/534>, abgerufen am 23.12.2024.
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