ihm die Flinte und das Messer entrissen und erwartete seinen Angriff.
"Sa -- Hund!" brüllte er, indem er emporschnellte und sich auf mich warf; "ich zermalme dich!"
Er sprang auf mich ein; ich hob nur den Fuß bis zur Gegend seiner Magengrube -- ein Tritt, und er über- schlug sich rückwärts zur Erde nieder. Nun nahm ich sein eigenes Gewehr empor und zielte auf ihn.
"Mann, bleib weg von mir, sonst schieße ich!" gebot ich ihm.
Er raffte sich empor, hielt sich die Magengegend und blickte mich mit wutfunkelnden Augen an, wagte aber doch keinen Angriff mehr.
"Gieb mir meine Waffen!" grollte er drohend.
"Später, wenn ich mit dir gesprochen habe!"
"Ich habe nichts mit dir zu sprechen!"
"Aber ich mit dir, und ich bin gewohnt, mir Gehör zu verschaffen; das merke dir, Kiaja!"
"Ich bin kein Kiaja; ich bin ein Rais, ein Nezanum!"
Obgleich dieser Vorgang bis jetzt nur wenige Augen- blicke in Anspruch genommen hatte, war er doch von den anrückenden Kurden bemerkt worden, und es hatte sich eine bedeutende Anzahl derselben, die sich immer mehr vergrößerte, um uns versammelt. Doch sagte mir ein einziger Blick, daß keiner von ihnen gewillt war, vor- eilig Partei zu ergreifen. Darum antwortete ich unbesorgt:
"Du bist weder ein Rais noch ein Nezanum; du bist nicht einmal ein freier Kurde, wie diese tapferen Männer hier, denen du befehlen willst."
"Beweise es!" rief er in höchster Wut.
"Du bist der Dorfälteste von Dalascha; aber die sieben Orte Dalascha, Chal, Serschkiutha, Beschukha, Behedri, Biha und Schuraisi gehören zu dem Lande Chal, welches
ihm die Flinte und das Meſſer entriſſen und erwartete ſeinen Angriff.
„Sa — Hund!“ brüllte er, indem er emporſchnellte und ſich auf mich warf; „ich zermalme dich!“
Er ſprang auf mich ein; ich hob nur den Fuß bis zur Gegend ſeiner Magengrube — ein Tritt, und er über- ſchlug ſich rückwärts zur Erde nieder. Nun nahm ich ſein eigenes Gewehr empor und zielte auf ihn.
„Mann, bleib weg von mir, ſonſt ſchieße ich!“ gebot ich ihm.
Er raffte ſich empor, hielt ſich die Magengegend und blickte mich mit wutfunkelnden Augen an, wagte aber doch keinen Angriff mehr.
„Gieb mir meine Waffen!“ grollte er drohend.
„Später, wenn ich mit dir geſprochen habe!“
„Ich habe nichts mit dir zu ſprechen!“
„Aber ich mit dir, und ich bin gewohnt, mir Gehör zu verſchaffen; das merke dir, Kiaja!“
„Ich bin kein Kiaja; ich bin ein Raïs, ein Nezanum!“
Obgleich dieſer Vorgang bis jetzt nur wenige Augen- blicke in Anſpruch genommen hatte, war er doch von den anrückenden Kurden bemerkt worden, und es hatte ſich eine bedeutende Anzahl derſelben, die ſich immer mehr vergrößerte, um uns verſammelt. Doch ſagte mir ein einziger Blick, daß keiner von ihnen gewillt war, vor- eilig Partei zu ergreifen. Darum antwortete ich unbeſorgt:
„Du biſt weder ein Raïs noch ein Nezanum; du biſt nicht einmal ein freier Kurde, wie dieſe tapferen Männer hier, denen du befehlen willſt.“
„Beweiſe es!“ rief er in höchſter Wut.
„Du biſt der Dorfälteſte von Dalaſcha; aber die ſieben Orte Dalaſcha, Chal, Serſchkiutha, Beſchukha, Behedri, Biha und Schuraiſi gehören zu dem Lande Chal, welches
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ihm die Flinte und das Meſſer entriſſen und erwartete
ſeinen Angriff.
„Sa — Hund!“ brüllte er, indem er emporſchnellte
und ſich auf mich warf; „ich zermalme dich!“
Er ſprang auf mich ein; ich hob nur den Fuß bis
zur Gegend ſeiner Magengrube — ein Tritt, und er über-
ſchlug ſich rückwärts zur Erde nieder. Nun nahm ich
ſein eigenes Gewehr empor und zielte auf ihn.
„Mann, bleib weg von mir, ſonſt ſchieße ich!“ gebot
ich ihm.
Er raffte ſich empor, hielt ſich die Magengegend und
blickte mich mit wutfunkelnden Augen an, wagte aber doch
keinen Angriff mehr.
„Gieb mir meine Waffen!“ grollte er drohend.
„Später, wenn ich mit dir geſprochen habe!“
„Ich habe nichts mit dir zu ſprechen!“
„Aber ich mit dir, und ich bin gewohnt, mir Gehör
zu verſchaffen; das merke dir, Kiaja!“
„Ich bin kein Kiaja; ich bin ein Raïs, ein Nezanum!“
Obgleich dieſer Vorgang bis jetzt nur wenige Augen-
blicke in Anſpruch genommen hatte, war er doch von den
anrückenden Kurden bemerkt worden, und es hatte ſich
eine bedeutende Anzahl derſelben, die ſich immer mehr
vergrößerte, um uns verſammelt. Doch ſagte mir ein
einziger Blick, daß keiner von ihnen gewillt war, vor-
eilig Partei zu ergreifen. Darum antwortete ich unbeſorgt:
„Du biſt weder ein Raïs noch ein Nezanum; du
biſt nicht einmal ein freier Kurde, wie dieſe tapferen
Männer hier, denen du befehlen willſt.“
„Beweiſe es!“ rief er in höchſter Wut.
„Du biſt der Dorfälteſte von Dalaſcha; aber die ſieben
Orte Dalaſcha, Chal, Serſchkiutha, Beſchukha, Behedri,
Biha und Schuraiſi gehören zu dem Lande Chal, welches
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 538. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/552>, abgerufen am 23.12.2024.
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