Knochen, welche noch heute das Thal des Flusses füllen, aber fragt ja nicht, ob der Zorn der Hinterlassenen groß genug zur Rache ist!"
"Haben sie viele und gute Gewehre?"
"Das werde ich nicht verraten. Oder soll ich auch ihnen sagen, wie ihr bewaffnet seid?"
"Haben sie auch ihre Habe auf das andere Ufer ge- rettet?"
"Nur der Unkluge läßt seine Habe zurück, wenn er sich flüchtet. Die Chaldani haben übrigens so wenig Eigentum, daß es ihnen nicht schwer fallen kann, es mit sich zu nehmen."
"Tritt zurück! Wir werden jetzt beraten, nachdem wir alles gehört haben, was ich wissen wollte."
Ich folgte diesem Gebote und erhielt dadurch Ge- legenheit, Mohammed Emin mit dem bisherigen Inhalte unserer Verhandlung bekannt zu machen. Noch bevor die Kurden zu einem Entschlusse gekommen waren, näherten sich einige ihrer Krieger und brachten einen unbewaffneten Mann herbei.
"Wer ist das?" fragte der Agha.
"Dieser Mann," antwortete einer, "schlich heimlich in unserer Nähe herum, und als wir ihn ergriffen, sagte er, daß er von dem Melek an diesen Emir abgesandt worden sei."
Bei den letzten Worten deutete der Sprecher auf mich.
"Was sollst du bei mir?" fragte ich den Chaldani.
Diese Sendung wollte mir verdächtig oder doch wenig- stens sehr unvorsichtig erscheinen. Jedenfalls aber gehörte ein ungewöhnlicher Mut dazu, sich unter die feindseligen Kurden zu wagen.
"Herr," antwortete er, "du bliebst dem Melek zu lange aus, und so sandte er mich, um dir zu sagen, daß
Knochen, welche noch heute das Thal des Fluſſes füllen, aber fragt ja nicht, ob der Zorn der Hinterlaſſenen groß genug zur Rache iſt!“
„Haben ſie viele und gute Gewehre?“
„Das werde ich nicht verraten. Oder ſoll ich auch ihnen ſagen, wie ihr bewaffnet ſeid?“
„Haben ſie auch ihre Habe auf das andere Ufer ge- rettet?“
„Nur der Unkluge läßt ſeine Habe zurück, wenn er ſich flüchtet. Die Chaldani haben übrigens ſo wenig Eigentum, daß es ihnen nicht ſchwer fallen kann, es mit ſich zu nehmen.“
„Tritt zurück! Wir werden jetzt beraten, nachdem wir alles gehört haben, was ich wiſſen wollte.“
Ich folgte dieſem Gebote und erhielt dadurch Ge- legenheit, Mohammed Emin mit dem bisherigen Inhalte unſerer Verhandlung bekannt zu machen. Noch bevor die Kurden zu einem Entſchluſſe gekommen waren, näherten ſich einige ihrer Krieger und brachten einen unbewaffneten Mann herbei.
„Wer iſt das?“ fragte der Agha.
„Dieſer Mann,“ antwortete einer, „ſchlich heimlich in unſerer Nähe herum, und als wir ihn ergriffen, ſagte er, daß er von dem Melek an dieſen Emir abgeſandt worden ſei.“
Bei den letzten Worten deutete der Sprecher auf mich.
„Was ſollſt du bei mir?“ fragte ich den Chaldani.
Dieſe Sendung wollte mir verdächtig oder doch wenig- ſtens ſehr unvorſichtig erſcheinen. Jedenfalls aber gehörte ein ungewöhnlicher Mut dazu, ſich unter die feindſeligen Kurden zu wagen.
„Herr,“ antwortete er, „du bliebſt dem Melek zu lange aus, und ſo ſandte er mich, um dir zu ſagen, daß
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Knochen, welche noch heute das Thal des Fluſſes füllen,
aber fragt ja nicht, ob der Zorn der Hinterlaſſenen groß
genug zur Rache iſt!“
„Haben ſie viele und gute Gewehre?“
„Das werde ich nicht verraten. Oder ſoll ich auch
ihnen ſagen, wie ihr bewaffnet ſeid?“
„Haben ſie auch ihre Habe auf das andere Ufer ge-
rettet?“
„Nur der Unkluge läßt ſeine Habe zurück, wenn er
ſich flüchtet. Die Chaldani haben übrigens ſo wenig
Eigentum, daß es ihnen nicht ſchwer fallen kann, es mit
ſich zu nehmen.“
„Tritt zurück! Wir werden jetzt beraten, nachdem
wir alles gehört haben, was ich wiſſen wollte.“
Ich folgte dieſem Gebote und erhielt dadurch Ge-
legenheit, Mohammed Emin mit dem bisherigen Inhalte
unſerer Verhandlung bekannt zu machen. Noch bevor die
Kurden zu einem Entſchluſſe gekommen waren, näherten
ſich einige ihrer Krieger und brachten einen unbewaffneten
Mann herbei.
„Wer iſt das?“ fragte der Agha.
„Dieſer Mann,“ antwortete einer, „ſchlich heimlich
in unſerer Nähe herum, und als wir ihn ergriffen, ſagte
er, daß er von dem Melek an dieſen Emir abgeſandt
worden ſei.“
Bei den letzten Worten deutete der Sprecher auf mich.
„Was ſollſt du bei mir?“ fragte ich den Chaldani.
Dieſe Sendung wollte mir verdächtig oder doch wenig-
ſtens ſehr unvorſichtig erſcheinen. Jedenfalls aber gehörte
ein ungewöhnlicher Mut dazu, ſich unter die feindſeligen
Kurden zu wagen.
„Herr,“ antwortete er, „du bliebſt dem Melek zu
lange aus, und ſo ſandte er mich, um dir zu ſagen, daß
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 551. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/565>, abgerufen am 23.12.2024.
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