oder gar einen unsympathischen Klaps mit in den Kauf nehmen muß. Dürfte ich doch ein Pionier der Civili- sation, des Christentums sein! Ich würde nicht zurück- drängend oder gar vernichtend unter meine fernen Brüder treten, die ja ebenso Gottes Kinder sind, wie wir stolzen Egoisten; ich würde jede Form der Kultur und auch den kleinsten ihrer Anfänge schätzen; es kann ja nicht der eine Sohn Allvaters grad so wie der andere sein, und nicht dem Eigennutze, sondern nur der Selbstlosigkeit kann es gelingen, mit wirklichem Erfolge das erhabene Wort zu lehren, das "den Frieden predigt und das Heil ver- kündigt". Dieses Wort, es stammt ja nicht von einem Xerxes, Alexander, Cäsar oder Napoleon, sondern von Dem, der in einem Stalle geboren wurde, aus Armut Aehren aß und nicht wußte, wohin er sein Haupt legen sollte, und dessen erste Predigt lautete: "Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen!" --
So verging weit über eine Stunde, und noch saß ich allein. Ich wollte fast befürchten, daß den Gefährten in der Höhle ein Unfall widerfahren sei, und ging bereits mit mir zu Rate, ob es nicht besser wäre, ihnen zu folgen, als ich endlich Schritte hörte.
Ich erhob mich. Es waren die drei, und -- wie ich gleich sah -- man hatte dem Rais die Fesseln gelöst.
"Du hast sehr lange warten müssen!" bedauerte der Melek.
"Ich bangte bereits für euch," antwortete ich, "und wäre wohl in kurzem nachgekommen."
"Das war nicht nötig. Herr, wir haben den Ruh 'i kulyan gesehen und mit ihm gesprochen!"
"Habt ihr ihn erkannt?"
"Ja. Es war -- -- -- sage du zuerst den Namen!"
"Marah Durimeh?"
oder gar einen unſympathiſchen Klaps mit in den Kauf nehmen muß. Dürfte ich doch ein Pionier der Civili- ſation, des Chriſtentums ſein! Ich würde nicht zurück- drängend oder gar vernichtend unter meine fernen Brüder treten, die ja ebenſo Gottes Kinder ſind, wie wir ſtolzen Egoiſten; ich würde jede Form der Kultur und auch den kleinſten ihrer Anfänge ſchätzen; es kann ja nicht der eine Sohn Allvaters grad ſo wie der andere ſein, und nicht dem Eigennutze, ſondern nur der Selbſtloſigkeit kann es gelingen, mit wirklichem Erfolge das erhabene Wort zu lehren, das „den Frieden predigt und das Heil ver- kündigt“. Dieſes Wort, es ſtammt ja nicht von einem Xerxes, Alexander, Cäſar oder Napoleon, ſondern von Dem, der in einem Stalle geboren wurde, aus Armut Aehren aß und nicht wußte, wohin er ſein Haupt legen ſollte, und deſſen erſte Predigt lautete: „Selig ſind die Friedfertigen, denn ſie werden Gottes Kinder heißen!“ —
So verging weit über eine Stunde, und noch ſaß ich allein. Ich wollte faſt befürchten, daß den Gefährten in der Höhle ein Unfall widerfahren ſei, und ging bereits mit mir zu Rate, ob es nicht beſſer wäre, ihnen zu folgen, als ich endlich Schritte hörte.
Ich erhob mich. Es waren die drei, und — wie ich gleich ſah — man hatte dem Raïs die Feſſeln gelöſt.
„Du haſt ſehr lange warten müſſen!“ bedauerte der Melek.
„Ich bangte bereits für euch,“ antwortete ich, „und wäre wohl in kurzem nachgekommen.“
„Das war nicht nötig. Herr, wir haben den Ruh 'i kulyan geſehen und mit ihm geſprochen!“
„Habt ihr ihn erkannt?“
„Ja. Es war — — — ſage du zuerſt den Namen!“
„Marah Durimeh?“
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0629"n="615"/>
oder gar einen unſympathiſchen Klaps mit in den Kauf<lb/>
nehmen muß. Dürfte ich doch ein Pionier der Civili-<lb/>ſation, des Chriſtentums ſein! Ich würde nicht zurück-<lb/>
drängend oder gar vernichtend unter meine fernen Brüder<lb/>
treten, die ja ebenſo Gottes Kinder ſind, wie wir ſtolzen<lb/>
Egoiſten; ich würde jede Form der Kultur und auch den<lb/>
kleinſten ihrer Anfänge ſchätzen; es kann ja nicht der eine<lb/>
Sohn Allvaters grad ſo wie der andere ſein, und nicht<lb/>
dem Eigennutze, ſondern nur der Selbſtloſigkeit kann es<lb/>
gelingen, mit wirklichem Erfolge das erhabene Wort zu<lb/>
lehren, das „den Frieden predigt und das Heil ver-<lb/>
kündigt“. Dieſes Wort, es ſtammt ja nicht von einem<lb/>
Xerxes, Alexander, Cäſar oder Napoleon, ſondern von<lb/>
Dem, der in einem Stalle geboren wurde, aus Armut<lb/>
Aehren aß und nicht wußte, wohin er ſein Haupt legen<lb/>ſollte, und deſſen erſte Predigt lautete: „Selig ſind die<lb/>
Friedfertigen, denn ſie werden Gottes Kinder heißen!“—</p><lb/><p>So verging weit über eine Stunde, und noch ſaß ich<lb/>
allein. Ich wollte faſt befürchten, daß den Gefährten in<lb/>
der Höhle ein Unfall widerfahren ſei, und ging bereits<lb/>
mit mir zu Rate, ob es nicht beſſer wäre, ihnen zu folgen,<lb/>
als ich endlich Schritte hörte.</p><lb/><p>Ich erhob mich. Es waren die drei, und — wie ich<lb/>
gleich ſah — man hatte dem Raïs die Feſſeln gelöſt.</p><lb/><p>„Du haſt ſehr lange warten müſſen!“ bedauerte der<lb/>
Melek.</p><lb/><p>„Ich bangte bereits für euch,“ antwortete ich, „und<lb/>
wäre wohl in kurzem nachgekommen.“</p><lb/><p>„Das war nicht nötig. Herr, wir haben den Ruh 'i<lb/>
kulyan geſehen und mit ihm geſprochen!“</p><lb/><p>„Habt ihr ihn erkannt?“</p><lb/><p>„Ja. Es war ———ſage du zuerſt den Namen!“</p><lb/><p>„Marah Durimeh?“</p><lb/></div></body></text></TEI>
[615/0629]
oder gar einen unſympathiſchen Klaps mit in den Kauf
nehmen muß. Dürfte ich doch ein Pionier der Civili-
ſation, des Chriſtentums ſein! Ich würde nicht zurück-
drängend oder gar vernichtend unter meine fernen Brüder
treten, die ja ebenſo Gottes Kinder ſind, wie wir ſtolzen
Egoiſten; ich würde jede Form der Kultur und auch den
kleinſten ihrer Anfänge ſchätzen; es kann ja nicht der eine
Sohn Allvaters grad ſo wie der andere ſein, und nicht
dem Eigennutze, ſondern nur der Selbſtloſigkeit kann es
gelingen, mit wirklichem Erfolge das erhabene Wort zu
lehren, das „den Frieden predigt und das Heil ver-
kündigt“. Dieſes Wort, es ſtammt ja nicht von einem
Xerxes, Alexander, Cäſar oder Napoleon, ſondern von
Dem, der in einem Stalle geboren wurde, aus Armut
Aehren aß und nicht wußte, wohin er ſein Haupt legen
ſollte, und deſſen erſte Predigt lautete: „Selig ſind die
Friedfertigen, denn ſie werden Gottes Kinder heißen!“ —
So verging weit über eine Stunde, und noch ſaß ich
allein. Ich wollte faſt befürchten, daß den Gefährten in
der Höhle ein Unfall widerfahren ſei, und ging bereits
mit mir zu Rate, ob es nicht beſſer wäre, ihnen zu folgen,
als ich endlich Schritte hörte.
Ich erhob mich. Es waren die drei, und — wie ich
gleich ſah — man hatte dem Raïs die Feſſeln gelöſt.
„Du haſt ſehr lange warten müſſen!“ bedauerte der
Melek.
„Ich bangte bereits für euch,“ antwortete ich, „und
wäre wohl in kurzem nachgekommen.“
„Das war nicht nötig. Herr, wir haben den Ruh 'i
kulyan geſehen und mit ihm geſprochen!“
„Habt ihr ihn erkannt?“
„Ja. Es war — — — ſage du zuerſt den Namen!“
„Marah Durimeh?“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 615. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/629>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.