erteilen, aber wisse, daß ich nicht gewohnt bin, mich unter einen Miralai zu stellen. Ich habe dir gezeigt, unter welchem Schutze ich stehe, und sollte dies nicht helfen, so weiß ich mich selbst zu schützen!"
"Ah!"
Er erhob die Hand, um nach mir zu schlagen.
"Halef!"
Mit diesem lauten Rufe drängte ich mich zwischen die Pferde hindurch; die Thüre öffnete sich, und kaum hatte ich sie hinter mir zugeschoben, so knirschte die Kugel einer Pistole im Holze. Der Miralai hatte auf mich geschossen.
"Das galt dir, Sihdi!" meinte Halef besorgt.
"Komm herauf!"
Noch während wir die Treppe erstiegen, vernahmen wir draußen ein wirres Rufen, untermischt mit Rosse- gestampf, und als ich oben anlangte, sah ich die Nachhut der Dragoner hinter der Krümmung des Thales verschwin- den. Es war der reine Wahnsinn, sie gegen die Geschütze zu jagen, die nur durch einen Schützenangriff von den Seiten des Berges aus hätten zum Schweigen gebracht werden können. Der Miralai war sich über seine Situa- tion ja gar nicht klar, und ein Glück war es für ihn, daß Ali Bey das Leben der Menschen schonen wollte; denn droben am Heiligtume und auf den Pfaden bis zur halben Höhe des Berges standen die Türken so dicht, daß jede Kugel der Dschesidi ein oder gar mehrere Opfer finden mußte.
Da erdröhnte der Donner der Kanonen von neuem. Die Kartätschen und Granaten mußten, wenn gut gerichtet war, eine fürchterliche Verwüstung unter den Reitern hervorbringen, und dies bestätigte sich nur gar zu bald; denn der ganze untere Teil des Thales bedeckte sich mit
erteilen, aber wiſſe, daß ich nicht gewohnt bin, mich unter einen Miralai zu ſtellen. Ich habe dir gezeigt, unter welchem Schutze ich ſtehe, und ſollte dies nicht helfen, ſo weiß ich mich ſelbſt zu ſchützen!“
„Ah!“
Er erhob die Hand, um nach mir zu ſchlagen.
„Halef!“
Mit dieſem lauten Rufe drängte ich mich zwiſchen die Pferde hindurch; die Thüre öffnete ſich, und kaum hatte ich ſie hinter mir zugeſchoben, ſo knirſchte die Kugel einer Piſtole im Holze. Der Miralai hatte auf mich geſchoſſen.
„Das galt dir, Sihdi!“ meinte Halef beſorgt.
„Komm herauf!“
Noch während wir die Treppe erſtiegen, vernahmen wir draußen ein wirres Rufen, untermiſcht mit Roſſe- geſtampf, und als ich oben anlangte, ſah ich die Nachhut der Dragoner hinter der Krümmung des Thales verſchwin- den. Es war der reine Wahnſinn, ſie gegen die Geſchütze zu jagen, die nur durch einen Schützenangriff von den Seiten des Berges aus hätten zum Schweigen gebracht werden können. Der Miralai war ſich über ſeine Situa- tion ja gar nicht klar, und ein Glück war es für ihn, daß Ali Bey das Leben der Menſchen ſchonen wollte; denn droben am Heiligtume und auf den Pfaden bis zur halben Höhe des Berges ſtanden die Türken ſo dicht, daß jede Kugel der Dſcheſidi ein oder gar mehrere Opfer finden mußte.
Da erdröhnte der Donner der Kanonen von neuem. Die Kartätſchen und Granaten mußten, wenn gut gerichtet war, eine fürchterliche Verwüſtung unter den Reitern hervorbringen, und dies beſtätigte ſich nur gar zu bald; denn der ganze untere Teil des Thales bedeckte ſich mit
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erteilen, aber wiſſe, daß ich nicht gewohnt bin, mich unter
einen Miralai zu ſtellen. Ich habe dir gezeigt, unter
welchem Schutze ich ſtehe, und ſollte dies nicht helfen, ſo
weiß ich mich ſelbſt zu ſchützen!“
„Ah!“
Er erhob die Hand, um nach mir zu ſchlagen.
„Halef!“
Mit dieſem lauten Rufe drängte ich mich zwiſchen
die Pferde hindurch; die Thüre öffnete ſich, und kaum
hatte ich ſie hinter mir zugeſchoben, ſo knirſchte die Kugel
einer Piſtole im Holze. Der Miralai hatte auf mich
geſchoſſen.
„Das galt dir, Sihdi!“ meinte Halef beſorgt.
„Komm herauf!“
Noch während wir die Treppe erſtiegen, vernahmen
wir draußen ein wirres Rufen, untermiſcht mit Roſſe-
geſtampf, und als ich oben anlangte, ſah ich die Nachhut
der Dragoner hinter der Krümmung des Thales verſchwin-
den. Es war der reine Wahnſinn, ſie gegen die Geſchütze
zu jagen, die nur durch einen Schützenangriff von den
Seiten des Berges aus hätten zum Schweigen gebracht
werden können. Der Miralai war ſich über ſeine Situa-
tion ja gar nicht klar, und ein Glück war es für ihn,
daß Ali Bey das Leben der Menſchen ſchonen wollte;
denn droben am Heiligtume und auf den Pfaden bis zur
halben Höhe des Berges ſtanden die Türken ſo dicht, daß
jede Kugel der Dſcheſidi ein oder gar mehrere Opfer finden
mußte.
Da erdröhnte der Donner der Kanonen von neuem.
Die Kartätſchen und Granaten mußten, wenn gut gerichtet
war, eine fürchterliche Verwüſtung unter den Reitern
hervorbringen, und dies beſtätigte ſich nur gar zu bald;
denn der ganze untere Teil des Thales bedeckte ſich mit
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/66>, abgerufen am 22.12.2024.
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