so seid ihr hilflos in die Erde hineingeschossen. Und bei einem solchen Stande der Dinge soll ich dem Bey sagen, daß er die Waffen strecken soll? Er würde mich für wahnsinnig halten. Der Miralei, dem Allah gnädig und barmherzig sein möge, hat fünfzehnhundert wackere Krieger durch seine Unvorsichtigkeit in das Verderben geführt. Dem Kaimakam fällt die ehrenvolle Aufgabe zu, sie diesem Verderben zu entreißen; wenn ihm dies gelingt, so hat er, wie ein guter Offizier und wie ein Held gehandelt. Mit hochtrabenden Worten aber, hinter denen Furcht und die Heimtücke lauern, wird es ihm nicht gelingen. Ich habe nur mit ihm zu reden. In militärischen Angelegenheiten soll nur ein Krieger zu bestimmen haben."
"Und doch sollst du auch mich anhören!"
"Ich wüßte nicht, worin!"
"Es sind auch Dinge zu verhandeln, welche das Gesetz betreffen, und ich bin ein Makredsch!"
"Sei, was du willst! Du kannst mir keine Voll- macht zeigen, und darum sind wir miteinander fertig!"
Ich hatte einen entschiedenen Widerwillen gegen diesen Menschen, aber es wäre mir nicht eingefallen, demselben einen so kräftigen Ausdruck zu geben, wenn er anders aufgetreten wäre und ich nicht eine sehr deutliche Ahnung gehabt hätte, daß er die meiste Schuld an den gegenwärtigen Verhältnissen trage. Warum hatte sich dieser Gerichts- mensch überhaupt der Expedition angeschlossen? Doch wohl nur, um den Dschesidi nach ihrer etwaigen Ueberwindung auf dem Wege des moslemitischen Gesetzes die Uebermacht der Osmanly fühlbarer zu machen.
Ich wandte mich nun an den Kaimakam:
"Was soll ich dem Bey sagen, wenn er mich fragt, warum ihr Scheik Adi überfallen habt?"
"Weil wir uns zwei Mörder holen wollen, und
ſo ſeid ihr hilflos in die Erde hineingeſchoſſen. Und bei einem ſolchen Stande der Dinge ſoll ich dem Bey ſagen, daß er die Waffen ſtrecken ſoll? Er würde mich für wahnſinnig halten. Der Miralei, dem Allah gnädig und barmherzig ſein möge, hat fünfzehnhundert wackere Krieger durch ſeine Unvorſichtigkeit in das Verderben geführt. Dem Kaimakam fällt die ehrenvolle Aufgabe zu, ſie dieſem Verderben zu entreißen; wenn ihm dies gelingt, ſo hat er, wie ein guter Offizier und wie ein Held gehandelt. Mit hochtrabenden Worten aber, hinter denen Furcht und die Heimtücke lauern, wird es ihm nicht gelingen. Ich habe nur mit ihm zu reden. In militäriſchen Angelegenheiten ſoll nur ein Krieger zu beſtimmen haben.“
„Und doch ſollſt du auch mich anhören!“
„Ich wüßte nicht, worin!“
„Es ſind auch Dinge zu verhandeln, welche das Geſetz betreffen, und ich bin ein Makredſch!“
„Sei, was du willſt! Du kannſt mir keine Voll- macht zeigen, und darum ſind wir miteinander fertig!“
Ich hatte einen entſchiedenen Widerwillen gegen dieſen Menſchen, aber es wäre mir nicht eingefallen, demſelben einen ſo kräftigen Ausdruck zu geben, wenn er anders aufgetreten wäre und ich nicht eine ſehr deutliche Ahnung gehabt hätte, daß er die meiſte Schuld an den gegenwärtigen Verhältniſſen trage. Warum hatte ſich dieſer Gerichts- menſch überhaupt der Expedition angeſchloſſen? Doch wohl nur, um den Dſcheſidi nach ihrer etwaigen Ueberwindung auf dem Wege des moslemitiſchen Geſetzes die Uebermacht der Osmanly fühlbarer zu machen.
Ich wandte mich nun an den Kaimakam:
„Was ſoll ich dem Bey ſagen, wenn er mich fragt, warum ihr Scheik Adi überfallen habt?“
„Weil wir uns zwei Mörder holen wollen, und
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ſo ſeid ihr hilflos in die Erde hineingeſchoſſen. Und bei einem
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Waffen ſtrecken ſoll? Er würde mich für wahnſinnig
halten. Der Miralei, dem Allah gnädig und barmherzig
ſein möge, hat fünfzehnhundert wackere Krieger durch ſeine
Unvorſichtigkeit in das Verderben geführt. Dem Kaimakam
fällt die ehrenvolle Aufgabe zu, ſie dieſem Verderben zu
entreißen; wenn ihm dies gelingt, ſo hat er, wie ein guter
Offizier und wie ein Held gehandelt. Mit hochtrabenden
Worten aber, hinter denen Furcht und die Heimtücke
lauern, wird es ihm nicht gelingen. Ich habe nur mit
ihm zu reden. In militäriſchen Angelegenheiten ſoll nur
ein Krieger zu beſtimmen haben.“
„Und doch ſollſt du auch mich anhören!“
„Ich wüßte nicht, worin!“
„Es ſind auch Dinge zu verhandeln, welche das Geſetz
betreffen, und ich bin ein Makredſch!“
„Sei, was du willſt! Du kannſt mir keine Voll-
macht zeigen, und darum ſind wir miteinander fertig!“
Ich hatte einen entſchiedenen Widerwillen gegen dieſen
Menſchen, aber es wäre mir nicht eingefallen, demſelben
einen ſo kräftigen Ausdruck zu geben, wenn er anders
aufgetreten wäre und ich nicht eine ſehr deutliche Ahnung
gehabt hätte, daß er die meiſte Schuld an den gegenwärtigen
Verhältniſſen trage. Warum hatte ſich dieſer Gerichts-
menſch überhaupt der Expedition angeſchloſſen? Doch wohl
nur, um den Dſcheſidi nach ihrer etwaigen Ueberwindung
auf dem Wege des moslemitiſchen Geſetzes die Uebermacht
der Osmanly fühlbarer zu machen.
Ich wandte mich nun an den Kaimakam:
„Was ſoll ich dem Bey ſagen, wenn er mich fragt,
warum ihr Scheik Adi überfallen habt?“
„Weil wir uns zwei Mörder holen wollen, und
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/75>, abgerufen am 22.12.2024.
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