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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 7. Die bindende Kraft des Verwaltungsgesetzes.

Das Gesetz kann auch sachlich selbst gar nichts bestimmen,
der Verwaltung nur eine allgemeine Ermächtigung geben, dass sie
ihrerseits für einen gewissen Gegenstand oder Geschäftszweig be-
stimme, was in einem ihr anbefohlenen öffentlichen Interesse er-
forderlich und angemessen erscheint6. Das hat seine rechtliche Be-
deutung, wo es sich um das vorbehaltene Gebiet des Gesetzes handelt,
um Eingriffe, zu welchen die Verwaltung nicht ohnehin zuständig
wäre. Wenn sonst in Gesetzen auf die Anordnungen der Verwaltung
verwiesen wird, ist es nur eine ausdrückliche Bestätigung dessen, was
ohnehin gälte.

Überall, wo der Verwaltung in dieser Weise ein mehr oder
weniger freier Spielraum gelassen ist, handelt es sich nicht um
Rechte, die ihr zugewiesen sind in der Weise der civilrechtlichen Be-
fugnisse der Einzelnen oder der landesherrlichen Hoheitsrechte, und
die im Gegensatze ständen zu ihrer Pflicht zur Anwendung des Ge-
setzes. Auch in der Anwendung des Gesetzes übt sie ihre "Rechte"
aus; und umgekehrt verfügt sie über die ihr überlassene Macht nicht
frei in gesetzlichen Grenzen, sondern ist auch hierin gebunden an
Sinn und Zweck der Überlassung und an die Einhaltung der Richtung,
welche ihr vom Gesetze dadurch gegeben ist. Alles hat einheitlich
die Natur einer Thätigkeit gemäss dem ergangenen Gesetz und wird
nach diesem Verhältnis einheitlich bezeichnet als Vollziehung. Die
Vollziehung des Gesetzes, welche das Verhältnis der Verwaltung zum
Gesetze ausdrückt, ist das Seitenstück zu der Anwendung des Gesetzes,
welche der Justiz zukommt. Sie ist den Thatsachen entsprechend der
weitere Begriff. Vollziehung bedeutet Wirksammachen des
Gesetzes in Gebundenheit an dieses
. Sie ist Anwendung
des Gesetzes, soweit dieses selbst bestimmt, sinngemässe Fertigstellung,
soweit es einen Spielraum lässt zu eignem Entschluss. In der recht-
lichen Notwendigkeit, gemäss dem vorhandenen Gesetze nach den
Regeln der Vollziehung thätig zu sein, besteht die Gebundenheit,
welche in der Verwaltung erscheint7.

6 Els.Lothr. Ges. 30. Dez. 1871 § 10 (Diktaturparagraph); sachlich nahe
verwandt A.L.R. II, 17 § 5.
7 Haenel, St.R. I S. 122, unterscheidet wesentlich übereinstimmend nach der
Art der Gebundenheit der Vollziehung: Unterordnung und Einordnung. v. Sarwey,
Allg. V.R. S. 22 und 23, kommt nach einer etwas wunderlichen Metaphysik (Voll-
ziehung = Handlung, insofern ihr geistiger Motor, der Wille, sich darin äussert)
schliesslich doch ungefähr auf das nämliche heraus. Jellinek, Ges. und Verord.
S. 221, will mit der Gebundenheit, die die Vollziehung bedeutet, auch den Fall
eines Dienstbefehls umfassen, der jedoch im Verhältnis zum Unterthanen nicht in
Betracht kommen kann. Eine gleiche Gebundenheit wie gegenüber dem Gesetz be-
§ 7. Die bindende Kraft des Verwaltungsgesetzes.

Das Gesetz kann auch sachlich selbst gar nichts bestimmen,
der Verwaltung nur eine allgemeine Ermächtigung geben, daſs sie
ihrerseits für einen gewissen Gegenstand oder Geschäftszweig be-
stimme, was in einem ihr anbefohlenen öffentlichen Interesse er-
forderlich und angemessen erscheint6. Das hat seine rechtliche Be-
deutung, wo es sich um das vorbehaltene Gebiet des Gesetzes handelt,
um Eingriffe, zu welchen die Verwaltung nicht ohnehin zuständig
wäre. Wenn sonst in Gesetzen auf die Anordnungen der Verwaltung
verwiesen wird, ist es nur eine ausdrückliche Bestätigung dessen, was
ohnehin gälte.

Überall, wo der Verwaltung in dieser Weise ein mehr oder
weniger freier Spielraum gelassen ist, handelt es sich nicht um
Rechte, die ihr zugewiesen sind in der Weise der civilrechtlichen Be-
fugnisse der Einzelnen oder der landesherrlichen Hoheitsrechte, und
die im Gegensatze ständen zu ihrer Pflicht zur Anwendung des Ge-
setzes. Auch in der Anwendung des Gesetzes übt sie ihre „Rechte“
aus; und umgekehrt verfügt sie über die ihr überlassene Macht nicht
frei in gesetzlichen Grenzen, sondern ist auch hierin gebunden an
Sinn und Zweck der Überlassung und an die Einhaltung der Richtung,
welche ihr vom Gesetze dadurch gegeben ist. Alles hat einheitlich
die Natur einer Thätigkeit gemäſs dem ergangenen Gesetz und wird
nach diesem Verhältnis einheitlich bezeichnet als Vollziehung. Die
Vollziehung des Gesetzes, welche das Verhältnis der Verwaltung zum
Gesetze ausdrückt, ist das Seitenstück zu der Anwendung des Gesetzes,
welche der Justiz zukommt. Sie ist den Thatsachen entsprechend der
weitere Begriff. Vollziehung bedeutet Wirksammachen des
Gesetzes in Gebundenheit an dieses
. Sie ist Anwendung
des Gesetzes, soweit dieses selbst bestimmt, sinngemäſse Fertigstellung,
soweit es einen Spielraum läſst zu eignem Entschluſs. In der recht-
lichen Notwendigkeit, gemäſs dem vorhandenen Gesetze nach den
Regeln der Vollziehung thätig zu sein, besteht die Gebundenheit,
welche in der Verwaltung erscheint7.

6 Els.Lothr. Ges. 30. Dez. 1871 § 10 (Diktaturparagraph); sachlich nahe
verwandt A.L.R. II, 17 § 5.
7 Haenel, St.R. I S. 122, unterscheidet wesentlich übereinstimmend nach der
Art der Gebundenheit der Vollziehung: Unterordnung und Einordnung. v. Sarwey,
Allg. V.R. S. 22 und 23, kommt nach einer etwas wunderlichen Metaphysik (Voll-
ziehung = Handlung, insofern ihr geistiger Motor, der Wille, sich darin äuſsert)
schlieſslich doch ungefähr auf das nämliche heraus. Jellinek, Ges. und Verord.
S. 221, will mit der Gebundenheit, die die Vollziehung bedeutet, auch den Fall
eines Dienstbefehls umfassen, der jedoch im Verhältnis zum Unterthanen nicht in
Betracht kommen kann. Eine gleiche Gebundenheit wie gegenüber dem Gesetz be-
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[85/0105] § 7. Die bindende Kraft des Verwaltungsgesetzes. Das Gesetz kann auch sachlich selbst gar nichts bestimmen, der Verwaltung nur eine allgemeine Ermächtigung geben, daſs sie ihrerseits für einen gewissen Gegenstand oder Geschäftszweig be- stimme, was in einem ihr anbefohlenen öffentlichen Interesse er- forderlich und angemessen erscheint 6. Das hat seine rechtliche Be- deutung, wo es sich um das vorbehaltene Gebiet des Gesetzes handelt, um Eingriffe, zu welchen die Verwaltung nicht ohnehin zuständig wäre. Wenn sonst in Gesetzen auf die Anordnungen der Verwaltung verwiesen wird, ist es nur eine ausdrückliche Bestätigung dessen, was ohnehin gälte. Überall, wo der Verwaltung in dieser Weise ein mehr oder weniger freier Spielraum gelassen ist, handelt es sich nicht um Rechte, die ihr zugewiesen sind in der Weise der civilrechtlichen Be- fugnisse der Einzelnen oder der landesherrlichen Hoheitsrechte, und die im Gegensatze ständen zu ihrer Pflicht zur Anwendung des Ge- setzes. Auch in der Anwendung des Gesetzes übt sie ihre „Rechte“ aus; und umgekehrt verfügt sie über die ihr überlassene Macht nicht frei in gesetzlichen Grenzen, sondern ist auch hierin gebunden an Sinn und Zweck der Überlassung und an die Einhaltung der Richtung, welche ihr vom Gesetze dadurch gegeben ist. Alles hat einheitlich die Natur einer Thätigkeit gemäſs dem ergangenen Gesetz und wird nach diesem Verhältnis einheitlich bezeichnet als Vollziehung. Die Vollziehung des Gesetzes, welche das Verhältnis der Verwaltung zum Gesetze ausdrückt, ist das Seitenstück zu der Anwendung des Gesetzes, welche der Justiz zukommt. Sie ist den Thatsachen entsprechend der weitere Begriff. Vollziehung bedeutet Wirksammachen des Gesetzes in Gebundenheit an dieses. Sie ist Anwendung des Gesetzes, soweit dieses selbst bestimmt, sinngemäſse Fertigstellung, soweit es einen Spielraum läſst zu eignem Entschluſs. In der recht- lichen Notwendigkeit, gemäſs dem vorhandenen Gesetze nach den Regeln der Vollziehung thätig zu sein, besteht die Gebundenheit, welche in der Verwaltung erscheint 7. 6 Els.Lothr. Ges. 30. Dez. 1871 § 10 (Diktaturparagraph); sachlich nahe verwandt A.L.R. II, 17 § 5. 7 Haenel, St.R. I S. 122, unterscheidet wesentlich übereinstimmend nach der Art der Gebundenheit der Vollziehung: Unterordnung und Einordnung. v. Sarwey, Allg. V.R. S. 22 und 23, kommt nach einer etwas wunderlichen Metaphysik (Voll- ziehung = Handlung, insofern ihr geistiger Motor, der Wille, sich darin äuſsert) schlieſslich doch ungefähr auf das nämliche heraus. Jellinek, Ges. und Verord. S. 221, will mit der Gebundenheit, die die Vollziehung bedeutet, auch den Fall eines Dienstbefehls umfassen, der jedoch im Verhältnis zum Unterthanen nicht in Betracht kommen kann. Eine gleiche Gebundenheit wie gegenüber dem Gesetz be-

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/105>, abgerufen am 22.12.2024.