Jede zweiseitige Rechtspflege ist von selbst auf die entsprechen- den Parteirollen, also zu kontradiktorischer Prozessführung eingerichtet (Kläger und Beklagter). Aber nicht jede einseitige Rechtspflege bleibt bei der entsprechenden einseitigen Form der Prozessführung stehen, vielmehr kann das Verfahren auch bei ihr kontradiktorisch geordnet sein. Es gilt als eine besondere Garantie für die Richtigkeit des Ergebnisses, dass der Richter nicht bloss von einer Seite her eine Einwirkung spüre, zu welcher er leicht selbst in eine gewisse Gegner- schaft geraten könnte, sondern im Gleichgewicht gehalten werde durch eine Gegenwirkung, welche auch die andere Seite der Sache vertritt. So ist der Staatsanwalt dem Angeklagten gegenüber gestellt worden in der Rolle einer Prozesspartei mit allen Prozessführungsrechten, ohne dass die Strafrechtspflege deshalb aufgehört hätte, einseitige Rechts- pflege zu sein: der Angeklagte steht sachlich keiner Partei gegenüber. Die Anordnung eines kontradiktorischen Verfahrens beweist also noch nicht, dass auch eine zweiseitige Rechtspflege stattfinde zwischen gegnerischen Parteien. Die letztere Frage ist aber von durchschlagender Wichtigkeit; denn der zweiseitigen Rechtspflege entspricht notwendig auch eine zweiseitige Rechtskraft und damit ist der Kern des ganzen Rechtsinstitutes berührt (vgl. unten § 15).
Die Verwaltungsrechtspflege nun bietet regelmässig das Bild einer zweiseitigen Prozessführung. Es giebt da Fälle, wo zwei Private als Prozessparteien sich gegenüber stehen, die sogenannten Partei- streitigkeiten oder Parteisachen des öffentlichen Rechts, nach älterem Ausdruck administrativ-kontentiöse Sachen. Auch sonst hat die Gesetzgebung hier mannigfach Ein- richtungen getroffen, um dem Verfahren eine kontradiktorische Form zu geben: ein Vertreter des öffentlichen Interesses soll der Privatpartei gegenüber stehen, Staatsanwälte, besondere Regierungskommissare werden dazu bestellt oder die Verwaltungs- behörde, deren Akt angefochten wird, ist berufen, ihren Akt zu ver- teidigen.
Hinter dieser äusserlichen Gleichförmigkeit wird aber nun die Frage stehen, ob es um eine oder um entgegengesetzte Parteien sich handelt, einseitige oder zweiseitige Verwaltungsrechtspflege vorliegt.
Man hat sich bemüht, jede Verschiedenheit in dieser Hinsicht zu verwischen. Das kann geschehen so, dass man den Begriff der Partei für die Verwaltungsrechtspflege überhaupt streicht. Die öffentliche Behörde ist dann nicht Partei, sondern nur beteiligt wie der Staats- anwalt im Strafprozess und die Privatperson ebenso; es handelt sich für beide nur "um eine formelle Verteilung der Parteirollen" zu dem
Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
Jede zweiseitige Rechtspflege ist von selbst auf die entsprechen- den Parteirollen, also zu kontradiktorischer Prozeſsführung eingerichtet (Kläger und Beklagter). Aber nicht jede einseitige Rechtspflege bleibt bei der entsprechenden einseitigen Form der Prozeſsführung stehen, vielmehr kann das Verfahren auch bei ihr kontradiktorisch geordnet sein. Es gilt als eine besondere Garantie für die Richtigkeit des Ergebnisses, daſs der Richter nicht bloſs von einer Seite her eine Einwirkung spüre, zu welcher er leicht selbst in eine gewisse Gegner- schaft geraten könnte, sondern im Gleichgewicht gehalten werde durch eine Gegenwirkung, welche auch die andere Seite der Sache vertritt. So ist der Staatsanwalt dem Angeklagten gegenüber gestellt worden in der Rolle einer Prozeſspartei mit allen Prozeſsführungsrechten, ohne daſs die Strafrechtspflege deshalb aufgehört hätte, einseitige Rechts- pflege zu sein: der Angeklagte steht sachlich keiner Partei gegenüber. Die Anordnung eines kontradiktorischen Verfahrens beweist also noch nicht, daſs auch eine zweiseitige Rechtspflege stattfinde zwischen gegnerischen Parteien. Die letztere Frage ist aber von durchschlagender Wichtigkeit; denn der zweiseitigen Rechtspflege entspricht notwendig auch eine zweiseitige Rechtskraft und damit ist der Kern des ganzen Rechtsinstitutes berührt (vgl. unten § 15).
Die Verwaltungsrechtspflege nun bietet regelmäſsig das Bild einer zweiseitigen Prozeſsführung. Es giebt da Fälle, wo zwei Private als Prozeſsparteien sich gegenüber stehen, die sogenannten Partei- streitigkeiten oder Parteisachen des öffentlichen Rechts, nach älterem Ausdruck administrativ-kontentiöse Sachen. Auch sonst hat die Gesetzgebung hier mannigfach Ein- richtungen getroffen, um dem Verfahren eine kontradiktorische Form zu geben: ein Vertreter des öffentlichen Interesses soll der Privatpartei gegenüber stehen, Staatsanwälte, besondere Regierungskommissare werden dazu bestellt oder die Verwaltungs- behörde, deren Akt angefochten wird, ist berufen, ihren Akt zu ver- teidigen.
Hinter dieser äuſserlichen Gleichförmigkeit wird aber nun die Frage stehen, ob es um eine oder um entgegengesetzte Parteien sich handelt, einseitige oder zweiseitige Verwaltungsrechtspflege vorliegt.
Man hat sich bemüht, jede Verschiedenheit in dieser Hinsicht zu verwischen. Das kann geschehen so, daſs man den Begriff der Partei für die Verwaltungsrechtspflege überhaupt streicht. Die öffentliche Behörde ist dann nicht Partei, sondern nur beteiligt wie der Staats- anwalt im Strafprozeſs und die Privatperson ebenso; es handelt sich für beide nur „um eine formelle Verteilung der Parteirollen“ zu dem
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[182/0202]
Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
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(Kläger und Beklagter). Aber nicht jede einseitige Rechtspflege bleibt
bei der entsprechenden einseitigen Form der Prozeſsführung stehen,
vielmehr kann das Verfahren auch bei ihr kontradiktorisch geordnet
sein. Es gilt als eine besondere Garantie für die Richtigkeit des
Ergebnisses, daſs der Richter nicht bloſs von einer Seite her eine
Einwirkung spüre, zu welcher er leicht selbst in eine gewisse Gegner-
schaft geraten könnte, sondern im Gleichgewicht gehalten werde durch
eine Gegenwirkung, welche auch die andere Seite der Sache vertritt.
So ist der Staatsanwalt dem Angeklagten gegenüber gestellt worden
in der Rolle einer Prozeſspartei mit allen Prozeſsführungsrechten, ohne
daſs die Strafrechtspflege deshalb aufgehört hätte, einseitige Rechts-
pflege zu sein: der Angeklagte steht sachlich keiner Partei gegenüber.
Die Anordnung eines kontradiktorischen Verfahrens beweist also noch
nicht, daſs auch eine zweiseitige Rechtspflege stattfinde zwischen
gegnerischen Parteien. Die letztere Frage ist aber von durchschlagender
Wichtigkeit; denn der zweiseitigen Rechtspflege entspricht notwendig
auch eine zweiseitige Rechtskraft und damit ist der Kern des ganzen
Rechtsinstitutes berührt (vgl. unten § 15).
Die Verwaltungsrechtspflege nun bietet regelmäſsig das Bild einer
zweiseitigen Prozeſsführung. Es giebt da Fälle, wo zwei Private als
Prozeſsparteien sich gegenüber stehen, die sogenannten Partei-
streitigkeiten oder Parteisachen des öffentlichen
Rechts, nach älterem Ausdruck administrativ-kontentiöse
Sachen. Auch sonst hat die Gesetzgebung hier mannigfach Ein-
richtungen getroffen, um dem Verfahren eine kontradiktorische
Form zu geben: ein Vertreter des öffentlichen Interesses
soll der Privatpartei gegenüber stehen, Staatsanwälte, besondere
Regierungskommissare werden dazu bestellt oder die Verwaltungs-
behörde, deren Akt angefochten wird, ist berufen, ihren Akt zu ver-
teidigen.
Hinter dieser äuſserlichen Gleichförmigkeit wird aber nun die Frage
stehen, ob es um eine oder um entgegengesetzte Parteien sich
handelt, einseitige oder zweiseitige Verwaltungsrechtspflege vorliegt.
Man hat sich bemüht, jede Verschiedenheit in dieser Hinsicht zu
verwischen. Das kann geschehen so, daſs man den Begriff der Partei
für die Verwaltungsrechtspflege überhaupt streicht. Die öffentliche
Behörde ist dann nicht Partei, sondern nur beteiligt wie der Staats-
anwalt im Strafprozeſs und die Privatperson ebenso; es handelt sich
für beide nur „um eine formelle Verteilung der Parteirollen“ zu dem
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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/202>, abgerufen am 22.12.2024.
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