Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.§ 14. Arten der Verwaltungsstreitsachen. Zwecke, "ein geordnetes kontradiktorisches Verfahren zu ermöglichen".Folglich wird die Sache auch nicht anders, wenn beide Rollen von Privatpersonen ausgefüllt werden9. Die Verschiedenheit ist beseitigt, aber doch nur auf Kosten der Wahrheit der Sache. Denn dass diese Privatpersonen etwas anderes sind als streitende Staatsanwälte, dass sie für sich etwas erstreiten wollen, dass sie die Rechtssubjekte sind, für die das Urteil wirkt und rechtskräftig wird, davon lässt sich doch nicht so einfach absehen. In der umgekehrten Weise sucht man die Übereinstimmung da- Das erstere beruht offenbar auf einer Verwechslung der Partei 9 Diese Auffassung findet sich in ihrer ganzen Schroffheit vorgetragen bei Gneist, Rechtsstaat S. 275: "Ein sachlicher Unterschied beider Fälle besteht nicht". Da es in der Verwaltungsrechtspflege keine Partei giebt, so giebt es folge- richtig dort auch keine Rechtskraft (S. 276). Gneist ist auch sonst, z. B. in den Verhandlungen des zwölften deutschen Juristentags (Bd. III S. 239), gegen die Übertragung dieser "civilistischen" Begriffe aufgetreten. Aber das Ding, das er nach glücklicher Abstreifung alles Civilrechtlichen übrig behält, würden wir niemals Verwaltungsrechtspflege nennen. 10 G. Meyer, V.R. I S. 51: "Die entgegenstehende Partei kann sein a. ein
individuell berechtigtes Subjekt, entweder eine Privatperson oder ein Kommunal- verband oder eine öffentliche Körperschaft, b. ein Verwaltungsorgan". Das wird nun S. 61 erläutert. Bei Anfechtungsklagen und dergleichen handelt es sich um Sachen, "bei denen auf der einen Seite eine öffentliche Behörde beteiligt ist". Diese Behörde "nimmt in Preussen, Baden und Anhalt die Stellung einer Prozess- partei ein". In Bayern und Württemberg dagegen werden solche Sachen "mehr in Form einer Verwaltungsbeschwerde als in der eines Prozesses behandelt". Das soll doch nicht heissen, dass dort das Verwaltungsgericht keine Rechtspflege daran übe? Wer ist aber alsdann die "entgegenstehende Partei"? Aber auch in jenen ersteren Fällen ist eine wahre Parteieigenschaft der Behörde nicht gemeint; dass sie "die Stellung einer Prozesspartei einnimmt", soll offenbar nur die Prozess- führerschaft andeuten. -- Noch deutlicher tritt diese Verschiebung hervor bei v. Stengel, Organis. Ges. S. 503 ff. Erst wird ganz richtig unterschieden, dass die Parteirolle der Staatsanwaltschaft im Strafprozess nur "formelle Bedeutung hat", dagegen im Civilprozess "die Parteistellung eine materielle Bedeutung". Das Ver- waltungsstreitverfahren soll nun im wesentlichen dem Civilprozess nachgebildet sein; Parteien sind: der Einzelne, der sich verletzt glaubt, und die Behörde, deren Akt angefochten wird (S. 504, 505). Die Behörde handelt aber ja gar nicht im § 14. Arten der Verwaltungsstreitsachen. Zwecke, „ein geordnetes kontradiktorisches Verfahren zu ermöglichen“.Folglich wird die Sache auch nicht anders, wenn beide Rollen von Privatpersonen ausgefüllt werden9. Die Verschiedenheit ist beseitigt, aber doch nur auf Kosten der Wahrheit der Sache. Denn daſs diese Privatpersonen etwas anderes sind als streitende Staatsanwälte, daſs sie für sich etwas erstreiten wollen, daſs sie die Rechtssubjekte sind, für die das Urteil wirkt und rechtskräftig wird, davon läſst sich doch nicht so einfach absehen. In der umgekehrten Weise sucht man die Übereinstimmung da- Das erstere beruht offenbar auf einer Verwechslung der Partei 9 Diese Auffassung findet sich in ihrer ganzen Schroffheit vorgetragen bei Gneist, Rechtsstaat S. 275: „Ein sachlicher Unterschied beider Fälle besteht nicht“. Da es in der Verwaltungsrechtspflege keine Partei giebt, so giebt es folge- richtig dort auch keine Rechtskraft (S. 276). Gneist ist auch sonst, z. B. in den Verhandlungen des zwölften deutschen Juristentags (Bd. III S. 239), gegen die Übertragung dieser „civilistischen“ Begriffe aufgetreten. Aber das Ding, das er nach glücklicher Abstreifung alles Civilrechtlichen übrig behält, würden wir niemals Verwaltungsrechtspflege nennen. 10 G. Meyer, V.R. I S. 51: „Die entgegenstehende Partei kann sein a. ein
individuell berechtigtes Subjekt, entweder eine Privatperson oder ein Kommunal- verband oder eine öffentliche Körperschaft, b. ein Verwaltungsorgan“. Das wird nun S. 61 erläutert. Bei Anfechtungsklagen und dergleichen handelt es sich um Sachen, „bei denen auf der einen Seite eine öffentliche Behörde beteiligt ist“. Diese Behörde „nimmt in Preuſsen, Baden und Anhalt die Stellung einer Prozeſs- partei ein“. In Bayern und Württemberg dagegen werden solche Sachen „mehr in Form einer Verwaltungsbeschwerde als in der eines Prozesses behandelt“. Das soll doch nicht heiſsen, daſs dort das Verwaltungsgericht keine Rechtspflege daran übe? Wer ist aber alsdann die „entgegenstehende Partei“? Aber auch in jenen ersteren Fällen ist eine wahre Parteieigenschaft der Behörde nicht gemeint; daſs sie „die Stellung einer Prozeſspartei einnimmt“, soll offenbar nur die Prozeſs- führerschaft andeuten. — Noch deutlicher tritt diese Verschiebung hervor bei v. Stengel, Organis. Ges. S. 503 ff. Erst wird ganz richtig unterschieden, daſs die Parteirolle der Staatsanwaltschaft im Strafprozeſs nur „formelle Bedeutung hat“, dagegen im Civilprozeſs „die Parteistellung eine materielle Bedeutung“. Das Ver- waltungsstreitverfahren soll nun im wesentlichen dem Civilprozeſs nachgebildet sein; Parteien sind: der Einzelne, der sich verletzt glaubt, und die Behörde, deren Akt angefochten wird (S. 504, 505). Die Behörde handelt aber ja gar nicht im <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0203" n="183"/><fw place="top" type="header">§ 14. 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§ 14. Arten der Verwaltungsstreitsachen.
Zwecke, „ein geordnetes kontradiktorisches Verfahren zu ermöglichen“.
Folglich wird die Sache auch nicht anders, wenn beide Rollen von
Privatpersonen ausgefüllt werden 9. Die Verschiedenheit ist beseitigt,
aber doch nur auf Kosten der Wahrheit der Sache. Denn daſs diese
Privatpersonen etwas anderes sind als streitende Staatsanwälte, daſs
sie für sich etwas erstreiten wollen, daſs sie die Rechtssubjekte sind,
für die das Urteil wirkt und rechtskräftig wird, davon läſst sich doch
nicht so einfach absehen.
In der umgekehrten Weise sucht man die Übereinstimmung da-
durch herzustellen, daſs man überall zwei richtige Parteien
findet, die sich gegenüberstehen in dem Falle, wo nur eine Privat-
person erscheint, wie in dem, wo zwei solche sich unter einander
streiten. Wo im ersten Fall die Gegenpartei sei, darüber ist man
allerdings nicht einig. Bald nennt man die Behörde, das „Ver-
waltungsorgan“, bald den Staat.
Das erstere beruht offenbar auf einer Verwechslung der Partei
mit dem Träger einer Parteirolle im Prozeſs 10.
9 Diese Auffassung findet sich in ihrer ganzen Schroffheit vorgetragen bei
Gneist, Rechtsstaat S. 275: „Ein sachlicher Unterschied beider Fälle besteht
nicht“. Da es in der Verwaltungsrechtspflege keine Partei giebt, so giebt es folge-
richtig dort auch keine Rechtskraft (S. 276). Gneist ist auch sonst, z. B. in den
Verhandlungen des zwölften deutschen Juristentags (Bd. III S. 239), gegen die
Übertragung dieser „civilistischen“ Begriffe aufgetreten. Aber das Ding, das er
nach glücklicher Abstreifung alles Civilrechtlichen übrig behält, würden wir niemals
Verwaltungsrechtspflege nennen.
10 G. Meyer, V.R. I S. 51: „Die entgegenstehende Partei kann sein a. ein
individuell berechtigtes Subjekt, entweder eine Privatperson oder ein Kommunal-
verband oder eine öffentliche Körperschaft, b. ein Verwaltungsorgan“. Das wird
nun S. 61 erläutert. Bei Anfechtungsklagen und dergleichen handelt es sich um
Sachen, „bei denen auf der einen Seite eine öffentliche Behörde beteiligt ist“.
Diese Behörde „nimmt in Preuſsen, Baden und Anhalt die Stellung einer Prozeſs-
partei ein“. In Bayern und Württemberg dagegen werden solche Sachen „mehr
in Form einer Verwaltungsbeschwerde als in der eines Prozesses behandelt“. Das
soll doch nicht heiſsen, daſs dort das Verwaltungsgericht keine Rechtspflege daran
übe? Wer ist aber alsdann die „entgegenstehende Partei“? Aber auch in jenen
ersteren Fällen ist eine wahre Parteieigenschaft der Behörde nicht gemeint; daſs
sie „die Stellung einer Prozeſspartei einnimmt“, soll offenbar nur die Prozeſs-
führerschaft andeuten. — Noch deutlicher tritt diese Verschiebung hervor bei
v. Stengel, Organis. Ges. S. 503 ff. Erst wird ganz richtig unterschieden, daſs
die Parteirolle der Staatsanwaltschaft im Strafprozeſs nur „formelle Bedeutung hat“,
dagegen im Civilprozeſs „die Parteistellung eine materielle Bedeutung“. Das Ver-
waltungsstreitverfahren soll nun im wesentlichen dem Civilprozeſs nachgebildet
sein; Parteien sind: der Einzelne, der sich verletzt glaubt, und die Behörde, deren
Akt angefochten wird (S. 504, 505). Die Behörde handelt aber ja gar nicht im
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