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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Die Polzeigewalt.
verfügungen mit weitestem Spielraum ermächtige, um für den Einzelfall
den Inhalt der polizeilichen Pflicht schöpferisch zu bestimmen und
danach Gehorsam zu befehlen. Dem Rechtsstaate aber entspricht
eine solche Abdankung des Rechtssatzes zu Gunsten der Willkür des
Einzelaktes nicht3. Das wird wichtig, insofern in den vorgeschrittenen
Rechtsgebieten die Gesetzgebung bei ihren Ermächtigungen sich da-
nach richtet und jedenfalls das dem Rechtssatz etwa vorbehaltene
Gebiet streng zu schützen ist gegen den Einbruch des Einzelbefehls.
Daher:

1. Wo einer Behörde die besondere Ermächtigung erteilt ist, im
Einzelfall zu befehlen, was polizeilich geschuldet ist, liegt darin aller-
dings nicht die Verleihung der Fähigkeit zur Verordnung; denn das
ist wieder eine besondere Kraft des Gesetzes, wie wir wissen (oben § 7,
III n. 1). Aber auch umgekehrt, wo die Behörde zu Polizeiverordnungen
ermächtigt ist, ist sie nicht von selbst befugt, die gleichen Dinge in
Form des ursprünglichen Einzelbefehls zu behandeln. Der Schluss von
dem Mehr auf das Weniger ist unstatthaft. Denn die Verordnung ist nicht
bloss das Mehr, sondern im Sinne des Rechtsstaates und des er-
mächtigenden Gesetzes auch das Bessere4.

3 Richtig Rosin, Pol.Verord. S. 12; auch nach der von ihm gewählten Aus-
drucksweise soll von Rechtsstaatswegen der polizeiliche Einzelbefehl möglichst ein
konkretes Gebot sein, d. h. Anwendung der abstrakten Rechtsnorm eines Gesetzes,
und nicht Individualgebot. Allzu genügsam aber scheint uns dieser Rechtsstaat zu
sein, wenn es seiner Forderung auch schon entspricht, dass auf Grund von A.L.R.
II, 17 § 10 im Einzelfall beliebig verfügt wird. Rosin nennt auch das noch eine
"Regelung des konkreten Falles in Gemässheit jener abstrakten Gesetzesvorschrift"
(a. a. O. S. 95). Das ist offenbar eine Verwechselung des verfassungsmässigen
Gesetzesvorbehalts mit den Forderungen des Rechtsstaates. Jenem würde auch
genügt sein durch ein Gesetz, welches sagt: die Behörden können machen, was sie
wollen; diesem aber durchaus nicht, er ist noch was mehr als Verfassungsrechts-
ordnung. -- Der obige Grundsatz ist sehr gut zum Ausdruck gekommen bei Risch
in Dollmann, Bayr. Ges.Gebung III S. 150: es soll ausgeschlossen sein, "dass
die Polizeibehörden bei ihren speciellen Verfügungen neue Normen aufstellen";
dem Einzelakt gehört nur die gebundene Durchführung der rechtssatzmässig be-
stimmten Pflicht. Das ist der wahre Rechtsstaatsstandpunkt.
4 So das Bayr. Recht nach Pol. Stf.G.B. v. 1861: in allen Fällen, wo die Be-
hörden selbständige Befehle erlassen dürfen, zur Ausfüllung von Lücken ist die
Form der Verordnung vorgeschrieben. Edel, Pol. Stf.G.B. S. 152 hebt den Wert-
unterschied von Rechtssatz und Verfügung für die Rechtsstaatsidee trefflich hervor:
"dagegen wäre es höchst bedenklich, wenn ein solcher Artikel der Polizei Gelegen-
heit geben würde, durch Specialverfügungen, die sie bei gleichen Voraussetzungen
an verschiedene Personen in verschiedenem Sinne erlässt, eine Rechtsungleichheit
herbeizuführen." Vgl. auch Theorie des Franz. V.R. S. 66. -- Das Preussische
Recht steht noch auf dem Standpunkt, dass es der Behörde, wo sie polizeiverord-

Die Polzeigewalt.
verfügungen mit weitestem Spielraum ermächtige, um für den Einzelfall
den Inhalt der polizeilichen Pflicht schöpferisch zu bestimmen und
danach Gehorsam zu befehlen. Dem Rechtsstaate aber entspricht
eine solche Abdankung des Rechtssatzes zu Gunsten der Willkür des
Einzelaktes nicht3. Das wird wichtig, insofern in den vorgeschrittenen
Rechtsgebieten die Gesetzgebung bei ihren Ermächtigungen sich da-
nach richtet und jedenfalls das dem Rechtssatz etwa vorbehaltene
Gebiet streng zu schützen ist gegen den Einbruch des Einzelbefehls.
Daher:

1. Wo einer Behörde die besondere Ermächtigung erteilt ist, im
Einzelfall zu befehlen, was polizeilich geschuldet ist, liegt darin aller-
dings nicht die Verleihung der Fähigkeit zur Verordnung; denn das
ist wieder eine besondere Kraft des Gesetzes, wie wir wissen (oben § 7,
III n. 1). Aber auch umgekehrt, wo die Behörde zu Polizeiverordnungen
ermächtigt ist, ist sie nicht von selbst befugt, die gleichen Dinge in
Form des ursprünglichen Einzelbefehls zu behandeln. Der Schluſs von
dem Mehr auf das Weniger ist unstatthaft. Denn die Verordnung ist nicht
bloſs das Mehr, sondern im Sinne des Rechtsstaates und des er-
mächtigenden Gesetzes auch das Bessere4.

3 Richtig Rosin, Pol.Verord. S. 12; auch nach der von ihm gewählten Aus-
drucksweise soll von Rechtsstaatswegen der polizeiliche Einzelbefehl möglichst ein
konkretes Gebot sein, d. h. Anwendung der abstrakten Rechtsnorm eines Gesetzes,
und nicht Individualgebot. Allzu genügsam aber scheint uns dieser Rechtsstaat zu
sein, wenn es seiner Forderung auch schon entspricht, daſs auf Grund von A.L.R.
II, 17 § 10 im Einzelfall beliebig verfügt wird. Rosin nennt auch das noch eine
„Regelung des konkreten Falles in Gemäſsheit jener abstrakten Gesetzesvorschrift“
(a. a. O. S. 95). Das ist offenbar eine Verwechselung des verfassungsmäſsigen
Gesetzesvorbehalts mit den Forderungen des Rechtsstaates. Jenem würde auch
genügt sein durch ein Gesetz, welches sagt: die Behörden können machen, was sie
wollen; diesem aber durchaus nicht, er ist noch was mehr als Verfassungsrechts-
ordnung. — Der obige Grundsatz ist sehr gut zum Ausdruck gekommen bei Risch
in Dollmann, Bayr. Ges.Gebung III S. 150: es soll ausgeschlossen sein, „daſs
die Polizeibehörden bei ihren speciellen Verfügungen neue Normen aufstellen“;
dem Einzelakt gehört nur die gebundene Durchführung der rechtssatzmäſsig be-
stimmten Pflicht. Das ist der wahre Rechtsstaatsstandpunkt.
4 So das Bayr. Recht nach Pol. Stf.G.B. v. 1861: in allen Fällen, wo die Be-
hörden selbständige Befehle erlassen dürfen, zur Ausfüllung von Lücken ist die
Form der Verordnung vorgeschrieben. Edel, Pol. Stf.G.B. S. 152 hebt den Wert-
unterschied von Rechtssatz und Verfügung für die Rechtsstaatsidee trefflich hervor:
„dagegen wäre es höchst bedenklich, wenn ein solcher Artikel der Polizei Gelegen-
heit geben würde, durch Specialverfügungen, die sie bei gleichen Voraussetzungen
an verschiedene Personen in verschiedenem Sinne erläſst, eine Rechtsungleichheit
herbeizuführen.“ Vgl. auch Theorie des Franz. V.R. S. 66. — Das Preuſsische
Recht steht noch auf dem Standpunkt, daſs es der Behörde, wo sie polizeiverord-
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[274/0294] Die Polzeigewalt. verfügungen mit weitestem Spielraum ermächtige, um für den Einzelfall den Inhalt der polizeilichen Pflicht schöpferisch zu bestimmen und danach Gehorsam zu befehlen. Dem Rechtsstaate aber entspricht eine solche Abdankung des Rechtssatzes zu Gunsten der Willkür des Einzelaktes nicht 3. Das wird wichtig, insofern in den vorgeschrittenen Rechtsgebieten die Gesetzgebung bei ihren Ermächtigungen sich da- nach richtet und jedenfalls das dem Rechtssatz etwa vorbehaltene Gebiet streng zu schützen ist gegen den Einbruch des Einzelbefehls. Daher: 1. Wo einer Behörde die besondere Ermächtigung erteilt ist, im Einzelfall zu befehlen, was polizeilich geschuldet ist, liegt darin aller- dings nicht die Verleihung der Fähigkeit zur Verordnung; denn das ist wieder eine besondere Kraft des Gesetzes, wie wir wissen (oben § 7, III n. 1). Aber auch umgekehrt, wo die Behörde zu Polizeiverordnungen ermächtigt ist, ist sie nicht von selbst befugt, die gleichen Dinge in Form des ursprünglichen Einzelbefehls zu behandeln. Der Schluſs von dem Mehr auf das Weniger ist unstatthaft. Denn die Verordnung ist nicht bloſs das Mehr, sondern im Sinne des Rechtsstaates und des er- mächtigenden Gesetzes auch das Bessere 4. 3 Richtig Rosin, Pol.Verord. S. 12; auch nach der von ihm gewählten Aus- drucksweise soll von Rechtsstaatswegen der polizeiliche Einzelbefehl möglichst ein konkretes Gebot sein, d. h. Anwendung der abstrakten Rechtsnorm eines Gesetzes, und nicht Individualgebot. Allzu genügsam aber scheint uns dieser Rechtsstaat zu sein, wenn es seiner Forderung auch schon entspricht, daſs auf Grund von A.L.R. II, 17 § 10 im Einzelfall beliebig verfügt wird. Rosin nennt auch das noch eine „Regelung des konkreten Falles in Gemäſsheit jener abstrakten Gesetzesvorschrift“ (a. a. O. S. 95). Das ist offenbar eine Verwechselung des verfassungsmäſsigen Gesetzesvorbehalts mit den Forderungen des Rechtsstaates. Jenem würde auch genügt sein durch ein Gesetz, welches sagt: die Behörden können machen, was sie wollen; diesem aber durchaus nicht, er ist noch was mehr als Verfassungsrechts- ordnung. — Der obige Grundsatz ist sehr gut zum Ausdruck gekommen bei Risch in Dollmann, Bayr. Ges.Gebung III S. 150: es soll ausgeschlossen sein, „daſs die Polizeibehörden bei ihren speciellen Verfügungen neue Normen aufstellen“; dem Einzelakt gehört nur die gebundene Durchführung der rechtssatzmäſsig be- stimmten Pflicht. Das ist der wahre Rechtsstaatsstandpunkt. 4 So das Bayr. Recht nach Pol. Stf.G.B. v. 1861: in allen Fällen, wo die Be- hörden selbständige Befehle erlassen dürfen, zur Ausfüllung von Lücken ist die Form der Verordnung vorgeschrieben. Edel, Pol. Stf.G.B. S. 152 hebt den Wert- unterschied von Rechtssatz und Verfügung für die Rechtsstaatsidee trefflich hervor: „dagegen wäre es höchst bedenklich, wenn ein solcher Artikel der Polizei Gelegen- heit geben würde, durch Specialverfügungen, die sie bei gleichen Voraussetzungen an verschiedene Personen in verschiedenem Sinne erläſst, eine Rechtsungleichheit herbeizuführen.“ Vgl. auch Theorie des Franz. V.R. S. 66. — Das Preuſsische Recht steht noch auf dem Standpunkt, daſs es der Behörde, wo sie polizeiverord-

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/294>, abgerufen am 01.11.2024.