Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.Die Polizeigewalt. des Unterthanen ist. Auf diese Weise bekommt der Polizeibefehlauch in der Verfügung noch eine gewisse Verwandtschaft mit der Ent- scheidung (oben § 8, II n. 3). Es ist aber notwendig, sich den Unter- schied klar zu machen. Die Entscheidung ist ein Begriff, der ganz und gar dem Formalismus des Rechtsstaates angehört; ein Verhältnis ist durch Rechtssatz oder Verwaltungsakt schon rechtlich bestimmt und es wird nunmehr nur ausgesprochen und festgestellt, wie es be- stimmt ist. Die unrichtige Entscheidung ist daher immer rechtswidrig. Die naturrechtliche Unterthanenpflicht giebt eine solche Bestimmtheit des Verhältnisses nicht; die staatlichen Akte sind gerade dazu da, ihr diese Bestimmtheit erst zu geben. Daher liegt hier ein Mehr oder Weniger notwendig im Gebiet des freien Ermessens. Es sind ver- schiedene Ansichten darüber möglich und soweit das der Fall ist, steht der Polizeibefehl noch auf seiner Grundlage. Man kann ihn nicht für rechtswidrig erklären, weil man der Meinung ist, es hätte nichts oder nicht so viel oder anderes gefordert werden sollen; darin liegt hier der Gegensatz zu dem, was bei der wirklichen Entscheidung gilt. Nun giebt es überall einen Punkt, wo dieser Spielraum aufhört, wo man sagen kann: das geht über die dem Unterthanen obliegende Pflicht hinaus. Das soll dann nicht sein. Eine solche Polizeiverfügung ist aber auch rechtswidrig und zwar deshalb, weil sie dann nach der Auslegung, welche auf Grund der naturrechtlichen Pflicht der all- gemeinen gesetzlichen Ermächtigung zu geben ist, in dieser nicht be- griffen und vorgesehen war9. Der Einzelbefehl mit freiem Ermessen hat danach die nämlichen 2. Der Polizeibefehl wird erst fertig dadurch, dass die abge- Diese Kundgabe wird auf verschiedene Weise zu erfolgen haben, Der Rechtssatz richtet seinen Befehl an jedermann, den es an- 9 Das preussische Recht hat mit seinen Anfechtungsklagen wegen mangelnder
thatsächlicher Voraussetzungen ein treffliches Mittel zur Überwachung dieser Rechtsgrenze gegeben; oben § 14 Note 27 u. 28. Die Polizeigewalt. des Unterthanen ist. Auf diese Weise bekommt der Polizeibefehlauch in der Verfügung noch eine gewisse Verwandtschaft mit der Ent- scheidung (oben § 8, II n. 3). Es ist aber notwendig, sich den Unter- schied klar zu machen. Die Entscheidung ist ein Begriff, der ganz und gar dem Formalismus des Rechtsstaates angehört; ein Verhältnis ist durch Rechtssatz oder Verwaltungsakt schon rechtlich bestimmt und es wird nunmehr nur ausgesprochen und festgestellt, wie es be- stimmt ist. Die unrichtige Entscheidung ist daher immer rechtswidrig. Die naturrechtliche Unterthanenpflicht giebt eine solche Bestimmtheit des Verhältnisses nicht; die staatlichen Akte sind gerade dazu da, ihr diese Bestimmtheit erst zu geben. Daher liegt hier ein Mehr oder Weniger notwendig im Gebiet des freien Ermessens. Es sind ver- schiedene Ansichten darüber möglich und soweit das der Fall ist, steht der Polizeibefehl noch auf seiner Grundlage. Man kann ihn nicht für rechtswidrig erklären, weil man der Meinung ist, es hätte nichts oder nicht so viel oder anderes gefordert werden sollen; darin liegt hier der Gegensatz zu dem, was bei der wirklichen Entscheidung gilt. Nun giebt es überall einen Punkt, wo dieser Spielraum aufhört, wo man sagen kann: das geht über die dem Unterthanen obliegende Pflicht hinaus. Das soll dann nicht sein. Eine solche Polizeiverfügung ist aber auch rechtswidrig und zwar deshalb, weil sie dann nach der Auslegung, welche auf Grund der naturrechtlichen Pflicht der all- gemeinen gesetzlichen Ermächtigung zu geben ist, in dieser nicht be- griffen und vorgesehen war9. Der Einzelbefehl mit freiem Ermessen hat danach die nämlichen 2. Der Polizeibefehl wird erst fertig dadurch, daſs die abge- Diese Kundgabe wird auf verschiedene Weise zu erfolgen haben, Der Rechtssatz richtet seinen Befehl an jedermann, den es an- 9 Das preuſsische Recht hat mit seinen Anfechtungsklagen wegen mangelnder
thatsächlicher Voraussetzungen ein treffliches Mittel zur Überwachung dieser Rechtsgrenze gegeben; oben § 14 Note 27 u. 28. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0298" n="278"/><fw place="top" type="header">Die Polizeigewalt.</fw><lb/> des Unterthanen <hi rendition="#g">ist</hi>. Auf diese Weise bekommt der Polizeibefehl<lb/> auch in der Verfügung noch eine gewisse Verwandtschaft mit der Ent-<lb/> scheidung (oben § 8, II n. 3). Es ist aber notwendig, sich den Unter-<lb/> schied klar zu machen. Die Entscheidung ist ein Begriff, der ganz<lb/> und gar dem Formalismus des Rechtsstaates angehört; ein Verhältnis<lb/> ist durch Rechtssatz oder Verwaltungsakt schon rechtlich bestimmt<lb/> und es wird nunmehr nur ausgesprochen und festgestellt, wie es be-<lb/> stimmt ist. Die unrichtige Entscheidung ist daher immer rechtswidrig.<lb/> Die naturrechtliche Unterthanenpflicht giebt eine solche Bestimmtheit<lb/> des Verhältnisses nicht; die staatlichen Akte sind gerade dazu da,<lb/> ihr diese Bestimmtheit erst zu geben. Daher liegt hier ein Mehr oder<lb/> Weniger notwendig im Gebiet des freien Ermessens. Es sind ver-<lb/> schiedene Ansichten darüber möglich und soweit das der Fall ist,<lb/> steht der Polizeibefehl noch auf seiner Grundlage. Man kann ihn<lb/> nicht für rechtswidrig erklären, weil man der Meinung ist, es hätte<lb/> nichts oder nicht so viel oder anderes gefordert werden sollen; darin<lb/> liegt hier der Gegensatz zu dem, was bei der wirklichen Entscheidung<lb/> gilt. Nun giebt es überall einen Punkt, wo dieser Spielraum aufhört,<lb/> wo man sagen kann: das geht über die dem Unterthanen obliegende<lb/> Pflicht hinaus. Das soll dann nicht sein. Eine solche Polizeiverfügung<lb/> ist aber auch rechtswidrig und zwar deshalb, weil sie dann nach<lb/> der Auslegung, welche auf Grund der naturrechtlichen Pflicht der all-<lb/> gemeinen gesetzlichen Ermächtigung zu geben ist, in dieser nicht be-<lb/> griffen und vorgesehen war<note place="foot" n="9">Das preuſsische Recht hat mit seinen Anfechtungsklagen wegen mangelnder<lb/> thatsächlicher Voraussetzungen ein treffliches Mittel zur Überwachung dieser<lb/> Rechtsgrenze gegeben; oben § 14 Note 27 u. 28.</note>.</p><lb/> <p>Der Einzelbefehl mit freiem Ermessen hat danach die nämlichen<lb/> Rechtsschranken wie die Polizeiverordnung.</p><lb/> <p>2. Der Polizeibefehl wird erst fertig dadurch, daſs die abge-<lb/> schlossene Willensbestimmung dem, welchem befohlen werden soll,<lb/> erklärt wird, durch die <hi rendition="#g">Kundgabe</hi>.</p><lb/> <p>Diese Kundgabe wird auf verschiedene Weise zu erfolgen haben,<lb/> je nachdem der kundzugebende Polizeibefehl ein Rechtssatz ist oder<lb/> ein Verwaltungsakt.</p><lb/> <p>Der Rechtssatz richtet seinen Befehl an jedermann, den es an-<lb/> geht, an das Publikum oder wenigstens an diejenigen einzeln nicht<lb/> bezeichneten Angehörigen desselben, bei welchen seine Merkmale zu-<lb/> treffen. Die Form der Kundgabe ist demgemäſs die Willenserklärung<lb/> gegenüber jedermann, Publikation, <hi rendition="#g">Veröffentlichung</hi>.</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [278/0298]
Die Polizeigewalt.
des Unterthanen ist. Auf diese Weise bekommt der Polizeibefehl
auch in der Verfügung noch eine gewisse Verwandtschaft mit der Ent-
scheidung (oben § 8, II n. 3). Es ist aber notwendig, sich den Unter-
schied klar zu machen. Die Entscheidung ist ein Begriff, der ganz
und gar dem Formalismus des Rechtsstaates angehört; ein Verhältnis
ist durch Rechtssatz oder Verwaltungsakt schon rechtlich bestimmt
und es wird nunmehr nur ausgesprochen und festgestellt, wie es be-
stimmt ist. Die unrichtige Entscheidung ist daher immer rechtswidrig.
Die naturrechtliche Unterthanenpflicht giebt eine solche Bestimmtheit
des Verhältnisses nicht; die staatlichen Akte sind gerade dazu da,
ihr diese Bestimmtheit erst zu geben. Daher liegt hier ein Mehr oder
Weniger notwendig im Gebiet des freien Ermessens. Es sind ver-
schiedene Ansichten darüber möglich und soweit das der Fall ist,
steht der Polizeibefehl noch auf seiner Grundlage. Man kann ihn
nicht für rechtswidrig erklären, weil man der Meinung ist, es hätte
nichts oder nicht so viel oder anderes gefordert werden sollen; darin
liegt hier der Gegensatz zu dem, was bei der wirklichen Entscheidung
gilt. Nun giebt es überall einen Punkt, wo dieser Spielraum aufhört,
wo man sagen kann: das geht über die dem Unterthanen obliegende
Pflicht hinaus. Das soll dann nicht sein. Eine solche Polizeiverfügung
ist aber auch rechtswidrig und zwar deshalb, weil sie dann nach
der Auslegung, welche auf Grund der naturrechtlichen Pflicht der all-
gemeinen gesetzlichen Ermächtigung zu geben ist, in dieser nicht be-
griffen und vorgesehen war 9.
Der Einzelbefehl mit freiem Ermessen hat danach die nämlichen
Rechtsschranken wie die Polizeiverordnung.
2. Der Polizeibefehl wird erst fertig dadurch, daſs die abge-
schlossene Willensbestimmung dem, welchem befohlen werden soll,
erklärt wird, durch die Kundgabe.
Diese Kundgabe wird auf verschiedene Weise zu erfolgen haben,
je nachdem der kundzugebende Polizeibefehl ein Rechtssatz ist oder
ein Verwaltungsakt.
Der Rechtssatz richtet seinen Befehl an jedermann, den es an-
geht, an das Publikum oder wenigstens an diejenigen einzeln nicht
bezeichneten Angehörigen desselben, bei welchen seine Merkmale zu-
treffen. Die Form der Kundgabe ist demgemäſs die Willenserklärung
gegenüber jedermann, Publikation, Veröffentlichung.
9 Das preuſsische Recht hat mit seinen Anfechtungsklagen wegen mangelnder
thatsächlicher Voraussetzungen ein treffliches Mittel zur Überwachung dieser
Rechtsgrenze gegeben; oben § 14 Note 27 u. 28.
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