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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 20. Der Polizeibefehl.

Dazu ist selbstverständlich nicht nötig, dass die Willenserklärung
jedem Einzelnen zu Bewusstsein komme; aber auch nicht einmal, dass
sie jedem Einzelnen so nahe gebracht werde, dass er sie hätte wahr-
nehmen können oder wahrnehmen sollen. Die Veröffentlichung geht
immer nur darauf, dass das Wissen von der Erklärung eine Art gesell-
schaftliches Gemeingut werde; wie weit der Einzelne dann wirklich
daran Teil hat, ist für die Wirksamkeit der Erklärung gleichgültig.
Die natürliche Art der Veröffentlichung lehnt sich deshalb stets an
bestimmte gesellschaftliche Einrichtungen an, die geeignet sind, die
Gemeinbekanntschaft, die Publizität zu vermitteln. Die Form wird
durch die gesellschaftlichen Zustände, durch die Sitte bestimmt, und
wenn danach verfahren ist, ist die Kundgabe gültig und wirksam,
gleichviel ob der Einzelne davon berührt worden ist, oder nicht. So
finden wir als genügende Veröffentlichungsarten: Verlesen in der
Kirche, Bekanntmachung in besonders berufenen Versammlungen,
Anschlagen an öffentlichen Orten, Austrommeln auf der Strasse, Mit-
teilung durch die Presse u. s. w. Das geltende Recht ist allent-
halben dazu übergegangen, an die Stelle dieser natürlichen Veröffent-
lichungsarten für die Gesetze und nach und nach im Anschluss daran
auch für die Verordnungen formale Veröffentlichungsarten zu setzen.
Es werden amtliche Blätter bestimmt, Gesetzblätter, Amtsblätter
u. s. w. Der Rechtssatz, welcher in diesen Blättern gedruckt er-
schienen ist, gilt als gehörig veröffentlicht, ohne Rücksicht darauf, ob
das Blatt nach seiner Verbreitung und nach den Gewohnheiten des
Volkes geeignet ist, den Befehl zur Gemeinbekanntschaft zu bringen.
Durch die Bestimmung selbst, dass die Veröffentlichung auf diese
Weise gültig erfolge, werden die Unterthanen erst gezwungen, sich
um das Blatt zu kümmern.

Diese Bestimmung einer formalen Veröffentlichungsart kann vom
Gesetze selbst ausgehen; sie kann auch den Behörden übertragen
werden. Sie stellt selbst einen besonderen Rechtssatz vor von binden-
der Kraft. Die Ermächtigung dazu ist nicht von selbst enthalten in
der Ermächtigung, Polizeiverordnungen zu erlassen. Denn es ist aller-
dings eine Gewalt, welche damit über die Unterthanen geübt wird,
zur Vorbereitung künftiger Gewaltübung, aber eben eine andere als
die Polizeigewalt. Sofern also das Gesetz nichts darüber bestimmt,
müssen Polizeiverordnungen in den natürlichen Veröffentlichungsarten,
"in der üblichen Weise", kundgegeben werden10.

10 Rosin, Pol. Verord. S. 168 ff.; Seydel, Bayr. St.R. III S. 602 ff.; Bayr.
Pol. Stf.G.B. art. 11; Württemb. Pol. Stf.G.B. art. 55 u. Min.Verf. v. 9. Jan. 1872;
Bad. Pol. Stf.G.B. art. 27 u. Min.Verord. 15. Sept. 1864.
§ 20. Der Polizeibefehl.

Dazu ist selbstverständlich nicht nötig, daſs die Willenserklärung
jedem Einzelnen zu Bewuſstsein komme; aber auch nicht einmal, daſs
sie jedem Einzelnen so nahe gebracht werde, daſs er sie hätte wahr-
nehmen können oder wahrnehmen sollen. Die Veröffentlichung geht
immer nur darauf, daſs das Wissen von der Erklärung eine Art gesell-
schaftliches Gemeingut werde; wie weit der Einzelne dann wirklich
daran Teil hat, ist für die Wirksamkeit der Erklärung gleichgültig.
Die natürliche Art der Veröffentlichung lehnt sich deshalb stets an
bestimmte gesellschaftliche Einrichtungen an, die geeignet sind, die
Gemeinbekanntschaft, die Publizität zu vermitteln. Die Form wird
durch die gesellschaftlichen Zustände, durch die Sitte bestimmt, und
wenn danach verfahren ist, ist die Kundgabe gültig und wirksam,
gleichviel ob der Einzelne davon berührt worden ist, oder nicht. So
finden wir als genügende Veröffentlichungsarten: Verlesen in der
Kirche, Bekanntmachung in besonders berufenen Versammlungen,
Anschlagen an öffentlichen Orten, Austrommeln auf der Straſse, Mit-
teilung durch die Presse u. s. w. Das geltende Recht ist allent-
halben dazu übergegangen, an die Stelle dieser natürlichen Veröffent-
lichungsarten für die Gesetze und nach und nach im Anschluſs daran
auch für die Verordnungen formale Veröffentlichungsarten zu setzen.
Es werden amtliche Blätter bestimmt, Gesetzblätter, Amtsblätter
u. s. w. Der Rechtssatz, welcher in diesen Blättern gedruckt er-
schienen ist, gilt als gehörig veröffentlicht, ohne Rücksicht darauf, ob
das Blatt nach seiner Verbreitung und nach den Gewohnheiten des
Volkes geeignet ist, den Befehl zur Gemeinbekanntschaft zu bringen.
Durch die Bestimmung selbst, daſs die Veröffentlichung auf diese
Weise gültig erfolge, werden die Unterthanen erst gezwungen, sich
um das Blatt zu kümmern.

Diese Bestimmung einer formalen Veröffentlichungsart kann vom
Gesetze selbst ausgehen; sie kann auch den Behörden übertragen
werden. Sie stellt selbst einen besonderen Rechtssatz vor von binden-
der Kraft. Die Ermächtigung dazu ist nicht von selbst enthalten in
der Ermächtigung, Polizeiverordnungen zu erlassen. Denn es ist aller-
dings eine Gewalt, welche damit über die Unterthanen geübt wird,
zur Vorbereitung künftiger Gewaltübung, aber eben eine andere als
die Polizeigewalt. Sofern also das Gesetz nichts darüber bestimmt,
müssen Polizeiverordnungen in den natürlichen Veröffentlichungsarten,
„in der üblichen Weise“, kundgegeben werden10.

10 Rosin, Pol. Verord. S. 168 ff.; Seydel, Bayr. St.R. III S. 602 ff.; Bayr.
Pol. Stf.G.B. art. 11; Württemb. Pol. Stf.G.B. art. 55 u. Min.Verf. v. 9. Jan. 1872;
Bad. Pol. Stf.G.B. art. 27 u. Min.Verord. 15. Sept. 1864.
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[279/0299] § 20. Der Polizeibefehl. Dazu ist selbstverständlich nicht nötig, daſs die Willenserklärung jedem Einzelnen zu Bewuſstsein komme; aber auch nicht einmal, daſs sie jedem Einzelnen so nahe gebracht werde, daſs er sie hätte wahr- nehmen können oder wahrnehmen sollen. Die Veröffentlichung geht immer nur darauf, daſs das Wissen von der Erklärung eine Art gesell- schaftliches Gemeingut werde; wie weit der Einzelne dann wirklich daran Teil hat, ist für die Wirksamkeit der Erklärung gleichgültig. Die natürliche Art der Veröffentlichung lehnt sich deshalb stets an bestimmte gesellschaftliche Einrichtungen an, die geeignet sind, die Gemeinbekanntschaft, die Publizität zu vermitteln. Die Form wird durch die gesellschaftlichen Zustände, durch die Sitte bestimmt, und wenn danach verfahren ist, ist die Kundgabe gültig und wirksam, gleichviel ob der Einzelne davon berührt worden ist, oder nicht. So finden wir als genügende Veröffentlichungsarten: Verlesen in der Kirche, Bekanntmachung in besonders berufenen Versammlungen, Anschlagen an öffentlichen Orten, Austrommeln auf der Straſse, Mit- teilung durch die Presse u. s. w. Das geltende Recht ist allent- halben dazu übergegangen, an die Stelle dieser natürlichen Veröffent- lichungsarten für die Gesetze und nach und nach im Anschluſs daran auch für die Verordnungen formale Veröffentlichungsarten zu setzen. Es werden amtliche Blätter bestimmt, Gesetzblätter, Amtsblätter u. s. w. Der Rechtssatz, welcher in diesen Blättern gedruckt er- schienen ist, gilt als gehörig veröffentlicht, ohne Rücksicht darauf, ob das Blatt nach seiner Verbreitung und nach den Gewohnheiten des Volkes geeignet ist, den Befehl zur Gemeinbekanntschaft zu bringen. Durch die Bestimmung selbst, daſs die Veröffentlichung auf diese Weise gültig erfolge, werden die Unterthanen erst gezwungen, sich um das Blatt zu kümmern. Diese Bestimmung einer formalen Veröffentlichungsart kann vom Gesetze selbst ausgehen; sie kann auch den Behörden übertragen werden. Sie stellt selbst einen besonderen Rechtssatz vor von binden- der Kraft. Die Ermächtigung dazu ist nicht von selbst enthalten in der Ermächtigung, Polizeiverordnungen zu erlassen. Denn es ist aller- dings eine Gewalt, welche damit über die Unterthanen geübt wird, zur Vorbereitung künftiger Gewaltübung, aber eben eine andere als die Polizeigewalt. Sofern also das Gesetz nichts darüber bestimmt, müssen Polizeiverordnungen in den natürlichen Veröffentlichungsarten, „in der üblichen Weise“, kundgegeben werden 10. 10 Rosin, Pol. Verord. S. 168 ff.; Seydel, Bayr. St.R. III S. 602 ff.; Bayr. Pol. Stf.G.B. art. 11; Württemb. Pol. Stf.G.B. art. 55 u. Min.Verf. v. 9. Jan. 1872; Bad. Pol. Stf.G.B. art. 27 u. Min.Verord. 15. Sept. 1864.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/299>, abgerufen am 23.12.2024.