Dazu ist selbstverständlich nicht nötig, dass die Willenserklärung jedem Einzelnen zu Bewusstsein komme; aber auch nicht einmal, dass sie jedem Einzelnen so nahe gebracht werde, dass er sie hätte wahr- nehmen können oder wahrnehmen sollen. Die Veröffentlichung geht immer nur darauf, dass das Wissen von der Erklärung eine Art gesell- schaftliches Gemeingut werde; wie weit der Einzelne dann wirklich daran Teil hat, ist für die Wirksamkeit der Erklärung gleichgültig. Die natürliche Art der Veröffentlichung lehnt sich deshalb stets an bestimmte gesellschaftliche Einrichtungen an, die geeignet sind, die Gemeinbekanntschaft, die Publizität zu vermitteln. Die Form wird durch die gesellschaftlichen Zustände, durch die Sitte bestimmt, und wenn danach verfahren ist, ist die Kundgabe gültig und wirksam, gleichviel ob der Einzelne davon berührt worden ist, oder nicht. So finden wir als genügende Veröffentlichungsarten: Verlesen in der Kirche, Bekanntmachung in besonders berufenen Versammlungen, Anschlagen an öffentlichen Orten, Austrommeln auf der Strasse, Mit- teilung durch die Presse u. s. w. Das geltende Recht ist allent- halben dazu übergegangen, an die Stelle dieser natürlichen Veröffent- lichungsarten für die Gesetze und nach und nach im Anschluss daran auch für die Verordnungen formale Veröffentlichungsarten zu setzen. Es werden amtliche Blätter bestimmt, Gesetzblätter, Amtsblätter u. s. w. Der Rechtssatz, welcher in diesen Blättern gedruckt er- schienen ist, gilt als gehörig veröffentlicht, ohne Rücksicht darauf, ob das Blatt nach seiner Verbreitung und nach den Gewohnheiten des Volkes geeignet ist, den Befehl zur Gemeinbekanntschaft zu bringen. Durch die Bestimmung selbst, dass die Veröffentlichung auf diese Weise gültig erfolge, werden die Unterthanen erst gezwungen, sich um das Blatt zu kümmern.
Diese Bestimmung einer formalen Veröffentlichungsart kann vom Gesetze selbst ausgehen; sie kann auch den Behörden übertragen werden. Sie stellt selbst einen besonderen Rechtssatz vor von binden- der Kraft. Die Ermächtigung dazu ist nicht von selbst enthalten in der Ermächtigung, Polizeiverordnungen zu erlassen. Denn es ist aller- dings eine Gewalt, welche damit über die Unterthanen geübt wird, zur Vorbereitung künftiger Gewaltübung, aber eben eine andere als die Polizeigewalt. Sofern also das Gesetz nichts darüber bestimmt, müssen Polizeiverordnungen in den natürlichen Veröffentlichungsarten, "in der üblichen Weise", kundgegeben werden10.
10Rosin, Pol. Verord. S. 168 ff.; Seydel, Bayr. St.R. III S. 602 ff.; Bayr. Pol. Stf.G.B. art. 11; Württemb. Pol. Stf.G.B. art. 55 u. Min.Verf. v. 9. Jan. 1872; Bad. Pol. Stf.G.B. art. 27 u. Min.Verord. 15. Sept. 1864.
§ 20. Der Polizeibefehl.
Dazu ist selbstverständlich nicht nötig, daſs die Willenserklärung jedem Einzelnen zu Bewuſstsein komme; aber auch nicht einmal, daſs sie jedem Einzelnen so nahe gebracht werde, daſs er sie hätte wahr- nehmen können oder wahrnehmen sollen. Die Veröffentlichung geht immer nur darauf, daſs das Wissen von der Erklärung eine Art gesell- schaftliches Gemeingut werde; wie weit der Einzelne dann wirklich daran Teil hat, ist für die Wirksamkeit der Erklärung gleichgültig. Die natürliche Art der Veröffentlichung lehnt sich deshalb stets an bestimmte gesellschaftliche Einrichtungen an, die geeignet sind, die Gemeinbekanntschaft, die Publizität zu vermitteln. Die Form wird durch die gesellschaftlichen Zustände, durch die Sitte bestimmt, und wenn danach verfahren ist, ist die Kundgabe gültig und wirksam, gleichviel ob der Einzelne davon berührt worden ist, oder nicht. So finden wir als genügende Veröffentlichungsarten: Verlesen in der Kirche, Bekanntmachung in besonders berufenen Versammlungen, Anschlagen an öffentlichen Orten, Austrommeln auf der Straſse, Mit- teilung durch die Presse u. s. w. Das geltende Recht ist allent- halben dazu übergegangen, an die Stelle dieser natürlichen Veröffent- lichungsarten für die Gesetze und nach und nach im Anschluſs daran auch für die Verordnungen formale Veröffentlichungsarten zu setzen. Es werden amtliche Blätter bestimmt, Gesetzblätter, Amtsblätter u. s. w. Der Rechtssatz, welcher in diesen Blättern gedruckt er- schienen ist, gilt als gehörig veröffentlicht, ohne Rücksicht darauf, ob das Blatt nach seiner Verbreitung und nach den Gewohnheiten des Volkes geeignet ist, den Befehl zur Gemeinbekanntschaft zu bringen. Durch die Bestimmung selbst, daſs die Veröffentlichung auf diese Weise gültig erfolge, werden die Unterthanen erst gezwungen, sich um das Blatt zu kümmern.
Diese Bestimmung einer formalen Veröffentlichungsart kann vom Gesetze selbst ausgehen; sie kann auch den Behörden übertragen werden. Sie stellt selbst einen besonderen Rechtssatz vor von binden- der Kraft. Die Ermächtigung dazu ist nicht von selbst enthalten in der Ermächtigung, Polizeiverordnungen zu erlassen. Denn es ist aller- dings eine Gewalt, welche damit über die Unterthanen geübt wird, zur Vorbereitung künftiger Gewaltübung, aber eben eine andere als die Polizeigewalt. Sofern also das Gesetz nichts darüber bestimmt, müssen Polizeiverordnungen in den natürlichen Veröffentlichungsarten, „in der üblichen Weise“, kundgegeben werden10.
10Rosin, Pol. Verord. S. 168 ff.; Seydel, Bayr. St.R. III S. 602 ff.; Bayr. Pol. Stf.G.B. art. 11; Württemb. Pol. Stf.G.B. art. 55 u. Min.Verf. v. 9. Jan. 1872; Bad. Pol. Stf.G.B. art. 27 u. Min.Verord. 15. Sept. 1864.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0299"n="279"/><fwplace="top"type="header">§ 20. Der Polizeibefehl.</fw><lb/><p>Dazu ist selbstverständlich nicht nötig, daſs die Willenserklärung<lb/>
jedem Einzelnen zu Bewuſstsein komme; aber auch nicht einmal, daſs<lb/>
sie jedem Einzelnen so nahe gebracht werde, daſs er sie hätte wahr-<lb/>
nehmen können oder wahrnehmen sollen. Die Veröffentlichung geht<lb/>
immer nur darauf, daſs das Wissen von der Erklärung eine Art gesell-<lb/>
schaftliches Gemeingut werde; wie weit der Einzelne dann wirklich<lb/>
daran Teil hat, ist für die Wirksamkeit der Erklärung gleichgültig.<lb/>
Die <hirendition="#g">natürliche</hi> Art der Veröffentlichung lehnt sich deshalb stets an<lb/>
bestimmte gesellschaftliche Einrichtungen an, die geeignet sind, die<lb/>
Gemeinbekanntschaft, die Publizität zu vermitteln. Die Form wird<lb/>
durch die gesellschaftlichen Zustände, durch die Sitte bestimmt, und<lb/>
wenn danach verfahren ist, ist die Kundgabe gültig und wirksam,<lb/>
gleichviel ob der Einzelne davon berührt worden ist, oder nicht. So<lb/>
finden wir als genügende Veröffentlichungsarten: Verlesen in der<lb/>
Kirche, Bekanntmachung in besonders berufenen Versammlungen,<lb/>
Anschlagen an öffentlichen Orten, Austrommeln auf der Straſse, Mit-<lb/>
teilung durch die Presse u. s. w. Das geltende Recht ist allent-<lb/>
halben dazu übergegangen, an die Stelle dieser natürlichen Veröffent-<lb/>
lichungsarten für die Gesetze und nach und nach im Anschluſs daran<lb/>
auch für die Verordnungen <hirendition="#g">formale</hi> Veröffentlichungsarten zu setzen.<lb/>
Es werden amtliche Blätter bestimmt, Gesetzblätter, Amtsblätter<lb/>
u. s. w. Der Rechtssatz, welcher in diesen Blättern gedruckt er-<lb/>
schienen ist, gilt als gehörig veröffentlicht, ohne Rücksicht darauf, ob<lb/>
das Blatt nach seiner Verbreitung und nach den Gewohnheiten des<lb/>
Volkes geeignet ist, den Befehl zur Gemeinbekanntschaft zu bringen.<lb/>
Durch die Bestimmung selbst, daſs die Veröffentlichung auf diese<lb/>
Weise gültig erfolge, werden die Unterthanen erst gezwungen, sich<lb/>
um das Blatt zu kümmern.</p><lb/><p>Diese Bestimmung einer formalen Veröffentlichungsart kann vom<lb/>
Gesetze selbst ausgehen; sie kann auch den Behörden übertragen<lb/>
werden. Sie stellt selbst einen besonderen Rechtssatz vor von binden-<lb/>
der Kraft. Die Ermächtigung dazu ist nicht von selbst enthalten in<lb/>
der Ermächtigung, Polizeiverordnungen zu erlassen. Denn es ist aller-<lb/>
dings eine Gewalt, welche damit über die Unterthanen geübt wird,<lb/>
zur Vorbereitung künftiger Gewaltübung, aber eben eine andere als<lb/>
die Polizeigewalt. Sofern also das Gesetz nichts darüber bestimmt,<lb/>
müssen Polizeiverordnungen in den natürlichen Veröffentlichungsarten,<lb/>„in der üblichen Weise“, kundgegeben werden<noteplace="foot"n="10"><hirendition="#g">Rosin,</hi> Pol. Verord. S. 168 ff.; <hirendition="#g">Seydel,</hi> Bayr. St.R. III S. 602 ff.; Bayr.<lb/>
Pol. Stf.G.B. art. 11; Württemb. Pol. Stf.G.B. art. 55 u. Min.Verf. v. 9. Jan. 1872;<lb/>
Bad. Pol. Stf.G.B. art. 27 u. Min.Verord. 15. Sept. 1864.</note>.</p><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[279/0299]
§ 20. Der Polizeibefehl.
Dazu ist selbstverständlich nicht nötig, daſs die Willenserklärung
jedem Einzelnen zu Bewuſstsein komme; aber auch nicht einmal, daſs
sie jedem Einzelnen so nahe gebracht werde, daſs er sie hätte wahr-
nehmen können oder wahrnehmen sollen. Die Veröffentlichung geht
immer nur darauf, daſs das Wissen von der Erklärung eine Art gesell-
schaftliches Gemeingut werde; wie weit der Einzelne dann wirklich
daran Teil hat, ist für die Wirksamkeit der Erklärung gleichgültig.
Die natürliche Art der Veröffentlichung lehnt sich deshalb stets an
bestimmte gesellschaftliche Einrichtungen an, die geeignet sind, die
Gemeinbekanntschaft, die Publizität zu vermitteln. Die Form wird
durch die gesellschaftlichen Zustände, durch die Sitte bestimmt, und
wenn danach verfahren ist, ist die Kundgabe gültig und wirksam,
gleichviel ob der Einzelne davon berührt worden ist, oder nicht. So
finden wir als genügende Veröffentlichungsarten: Verlesen in der
Kirche, Bekanntmachung in besonders berufenen Versammlungen,
Anschlagen an öffentlichen Orten, Austrommeln auf der Straſse, Mit-
teilung durch die Presse u. s. w. Das geltende Recht ist allent-
halben dazu übergegangen, an die Stelle dieser natürlichen Veröffent-
lichungsarten für die Gesetze und nach und nach im Anschluſs daran
auch für die Verordnungen formale Veröffentlichungsarten zu setzen.
Es werden amtliche Blätter bestimmt, Gesetzblätter, Amtsblätter
u. s. w. Der Rechtssatz, welcher in diesen Blättern gedruckt er-
schienen ist, gilt als gehörig veröffentlicht, ohne Rücksicht darauf, ob
das Blatt nach seiner Verbreitung und nach den Gewohnheiten des
Volkes geeignet ist, den Befehl zur Gemeinbekanntschaft zu bringen.
Durch die Bestimmung selbst, daſs die Veröffentlichung auf diese
Weise gültig erfolge, werden die Unterthanen erst gezwungen, sich
um das Blatt zu kümmern.
Diese Bestimmung einer formalen Veröffentlichungsart kann vom
Gesetze selbst ausgehen; sie kann auch den Behörden übertragen
werden. Sie stellt selbst einen besonderen Rechtssatz vor von binden-
der Kraft. Die Ermächtigung dazu ist nicht von selbst enthalten in
der Ermächtigung, Polizeiverordnungen zu erlassen. Denn es ist aller-
dings eine Gewalt, welche damit über die Unterthanen geübt wird,
zur Vorbereitung künftiger Gewaltübung, aber eben eine andere als
die Polizeigewalt. Sofern also das Gesetz nichts darüber bestimmt,
müssen Polizeiverordnungen in den natürlichen Veröffentlichungsarten,
„in der üblichen Weise“, kundgegeben werden 10.
10 Rosin, Pol. Verord. S. 168 ff.; Seydel, Bayr. St.R. III S. 602 ff.; Bayr.
Pol. Stf.G.B. art. 11; Württemb. Pol. Stf.G.B. art. 55 u. Min.Verf. v. 9. Jan. 1872;
Bad. Pol. Stf.G.B. art. 27 u. Min.Verord. 15. Sept. 1864.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/299>, abgerufen am 01.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.