Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.§ 30. Der Finanzbefehl. allerlei Befehlen, die im einzelnen nicht bemessen und vorgesehensind. Insbesondere können solche Befehle auch gegeben werden in Gestalt von Generalverfügungen, wirksam ein für alle Mal für jeden, der in das Verhältnis eintritt. Das ergiebt sich aus dem Wesen des Gewaltverhältnisses. Diese Generalverfügungen sind keine Rechts- sätze, aber sie thun in gewissem Masse den Dienst derselben, insofern sie Ordnung und Gleichmass in das Verhältnis bringen. Während die Einzelbefehle auch hier wirksam werden nur durch die Eröffnung an den Betroffenen, wie der gewöhnliche Verwaltungsakt überhaupt, im Gegensatz zur Rechtsregel, vermag die Generalverfügung gerade im Zusammenhang mit dem Gewaltverhältnis eine allgemeinere Form der Kundgabe sich zu verschaffen, durch die sie wirksam wird: Anschläge an den betreffenden Räumlichkeiten, Einrücken in gewöhn- liche Zeitungen, Aufnahme in eigens dazu bestimmte Amtsblätter und sonstige Veröffentlichungsformen können kraft der Überwachungs- gewalt dem Unterworfenen als ausreichende Mittel der Kundgabe auf- erlegt werden. Die Wirkung ist nicht, dass er durch die Versäumnis, sich mit Die veröffentlichten Generalverfügungen sind auf die Dauer be- mehr, sondern ist frei auch ohne gesetzliche Grundlage, und wenn er das ist, wirkt er verbindlich mit der Kraft der obrigkeitlichen Gewalt, von selbst, ohne weiteres. Das mag man einen Rechtsgrundsatz nennen, aber unter Rechtssatz verstehen wir etwas anderes. -- In gleicher Weise möchten wir auch den Begriff des Rechts- geschäftes nicht anwenden lassen auf die Unterwerfung, welche in der thatsäch- lichen Inanspruchnahme solcher besonderer Einrichtungen liegt. Der Zusatz "rechts- geschäftliche" Unterwerfung, den Haenel macht, ist eine überflüssige Verstärkung. Es kann sich diese Unterwerfung mit dem gleichzeitigen Abschluss eines Rechts- geschäftes verbinden: mit einem Mietvertrag z. B., wenn man die Benützung der öffentlichen Niederlage (Zollges. § 97 ff.) als einen solchen auffasst; oder mit einem Frachtvertrag (Begleitscheinregulativ § 31 Abs. 2, Centr.Bl. 1888 S. 508). Aber das sind wieder Dinge für sich, die ebensogut fehlen können. Das Niederlage- regulativ § 1 (Centr.Bl. § 551) bestimmt z. B., dass seine Vorschriften gelten für "jeden, welcher die Niederlage betritt". Was wäre das für ein Rechts- geschäft? 14 Vgl. oben § 8 Note 15.
§ 30. Der Finanzbefehl. allerlei Befehlen, die im einzelnen nicht bemessen und vorgesehensind. Insbesondere können solche Befehle auch gegeben werden in Gestalt von Generalverfügungen, wirksam ein für alle Mal für jeden, der in das Verhältnis eintritt. Das ergiebt sich aus dem Wesen des Gewaltverhältnisses. Diese Generalverfügungen sind keine Rechts- sätze, aber sie thun in gewissem Maſse den Dienst derselben, insofern sie Ordnung und Gleichmaſs in das Verhältnis bringen. Während die Einzelbefehle auch hier wirksam werden nur durch die Eröffnung an den Betroffenen, wie der gewöhnliche Verwaltungsakt überhaupt, im Gegensatz zur Rechtsregel, vermag die Generalverfügung gerade im Zusammenhang mit dem Gewaltverhältnis eine allgemeinere Form der Kundgabe sich zu verschaffen, durch die sie wirksam wird: Anschläge an den betreffenden Räumlichkeiten, Einrücken in gewöhn- liche Zeitungen, Aufnahme in eigens dazu bestimmte Amtsblätter und sonstige Veröffentlichungsformen können kraft der Überwachungs- gewalt dem Unterworfenen als ausreichende Mittel der Kundgabe auf- erlegt werden. Die Wirkung ist nicht, daſs er durch die Versäumnis, sich mit Die veröffentlichten Generalverfügungen sind auf die Dauer be- mehr, sondern ist frei auch ohne gesetzliche Grundlage, und wenn er das ist, wirkt er verbindlich mit der Kraft der obrigkeitlichen Gewalt, von selbst, ohne weiteres. Das mag man einen Rechtsgrundsatz nennen, aber unter Rechtssatz verstehen wir etwas anderes. — In gleicher Weise möchten wir auch den Begriff des Rechts- geschäftes nicht anwenden lassen auf die Unterwerfung, welche in der thatsäch- lichen Inanspruchnahme solcher besonderer Einrichtungen liegt. Der Zusatz „rechts- geschäftliche“ Unterwerfung, den Haenel macht, ist eine überflüssige Verstärkung. Es kann sich diese Unterwerfung mit dem gleichzeitigen Abschluſs eines Rechts- geschäftes verbinden: mit einem Mietvertrag z. B., wenn man die Benützung der öffentlichen Niederlage (Zollges. § 97 ff.) als einen solchen auffaſst; oder mit einem Frachtvertrag (Begleitscheinregulativ § 31 Abs. 2, Centr.Bl. 1888 S. 508). Aber das sind wieder Dinge für sich, die ebensogut fehlen können. Das Niederlage- regulativ § 1 (Centr.Bl. § 551) bestimmt z. B., daſs seine Vorschriften gelten für „jeden, welcher die Niederlage betritt“. Was wäre das für ein Rechts- geschäft? 14 Vgl. oben § 8 Note 15.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0463" n="443"/><fw place="top" type="header">§ 30. Der Finanzbefehl.</fw><lb/> allerlei <hi rendition="#g">Befehlen,</hi> die im einzelnen nicht bemessen und vorgesehen<lb/> sind. Insbesondere können solche Befehle auch gegeben werden in<lb/> Gestalt von <hi rendition="#g">Generalverfügungen,</hi> wirksam ein für alle Mal für<lb/> jeden, der in das Verhältnis eintritt. Das ergiebt sich aus dem Wesen<lb/> des Gewaltverhältnisses. Diese Generalverfügungen sind keine Rechts-<lb/> sätze, aber sie thun in gewissem Maſse den Dienst derselben, insofern<lb/> sie Ordnung und Gleichmaſs in das Verhältnis bringen. Während die<lb/> Einzelbefehle auch hier wirksam werden nur durch die Eröffnung an<lb/> den Betroffenen, wie der gewöhnliche Verwaltungsakt überhaupt, im<lb/> Gegensatz zur Rechtsregel, vermag die Generalverfügung gerade im<lb/> Zusammenhang mit dem Gewaltverhältnis eine <hi rendition="#g">allgemeinere Form<lb/> der Kundgabe</hi> sich zu verschaffen, durch die sie wirksam wird:<lb/> Anschläge an den betreffenden Räumlichkeiten, Einrücken in gewöhn-<lb/> liche Zeitungen, Aufnahme in eigens dazu bestimmte Amtsblätter und<lb/> sonstige Veröffentlichungsformen können kraft der Überwachungs-<lb/> gewalt dem Unterworfenen als ausreichende Mittel der Kundgabe auf-<lb/> erlegt werden.</p><lb/> <p>Die Wirkung ist nicht, daſs er durch die Versäumnis, sich mit<lb/> diesen Veröffentlichungen bekannt zu machen, eine Pflichtverletzung<lb/> begeht, für welche er zur Verantwortung gezogen werden könnte;<lb/> sondern sie besteht darin, daſs die Kundgabe alsdann trotz seiner<lb/> Unkenntnis <hi rendition="#g">als gehörig geschehen betrachtet wird</hi> und er<lb/> haftbar ist für die Nichtbefolgung des kundgegebenen Befehls<note place="foot" n="14">Vgl. oben § 8 Note 15.</note>.</p><lb/> <p>Die veröffentlichten Generalverfügungen sind auf die Dauer be-<lb/> rechnet und wirken bis zu ihrer Wiederaufhebung auf alle, die künftig-<lb/><note xml:id="seg2pn_94_3" prev="#seg2pn_94_2" place="foot" n="13">mehr, sondern ist frei auch ohne gesetzliche Grundlage, und wenn er das ist, wirkt<lb/> er verbindlich mit der Kraft der obrigkeitlichen Gewalt, von selbst, ohne weiteres.<lb/> Das mag man einen Rechtsgrundsatz nennen, aber unter Rechtssatz verstehen wir<lb/> etwas anderes. — In gleicher Weise möchten wir auch den Begriff des Rechts-<lb/> geschäftes nicht anwenden lassen auf die Unterwerfung, welche in der thatsäch-<lb/> lichen Inanspruchnahme solcher besonderer Einrichtungen liegt. Der Zusatz „rechts-<lb/> geschäftliche“ Unterwerfung, den Haenel macht, ist eine überflüssige Verstärkung.<lb/> Es kann sich diese Unterwerfung mit dem gleichzeitigen Abschluſs eines Rechts-<lb/> geschäftes verbinden: mit einem Mietvertrag z. B., wenn man die Benützung der<lb/> öffentlichen Niederlage (Zollges. § 97 ff.) als einen solchen auffaſst; oder mit einem<lb/> Frachtvertrag (Begleitscheinregulativ § 31 Abs. 2, Centr.Bl. 1888 S. 508). Aber<lb/> das sind wieder Dinge für sich, die ebensogut fehlen können. Das Niederlage-<lb/> regulativ § 1 (Centr.Bl. § 551) bestimmt z. B., daſs seine Vorschriften gelten<lb/> für „jeden, welcher die Niederlage betritt“. Was wäre das für ein Rechts-<lb/> geschäft?</note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [443/0463]
§ 30. Der Finanzbefehl.
allerlei Befehlen, die im einzelnen nicht bemessen und vorgesehen
sind. Insbesondere können solche Befehle auch gegeben werden in
Gestalt von Generalverfügungen, wirksam ein für alle Mal für
jeden, der in das Verhältnis eintritt. Das ergiebt sich aus dem Wesen
des Gewaltverhältnisses. Diese Generalverfügungen sind keine Rechts-
sätze, aber sie thun in gewissem Maſse den Dienst derselben, insofern
sie Ordnung und Gleichmaſs in das Verhältnis bringen. Während die
Einzelbefehle auch hier wirksam werden nur durch die Eröffnung an
den Betroffenen, wie der gewöhnliche Verwaltungsakt überhaupt, im
Gegensatz zur Rechtsregel, vermag die Generalverfügung gerade im
Zusammenhang mit dem Gewaltverhältnis eine allgemeinere Form
der Kundgabe sich zu verschaffen, durch die sie wirksam wird:
Anschläge an den betreffenden Räumlichkeiten, Einrücken in gewöhn-
liche Zeitungen, Aufnahme in eigens dazu bestimmte Amtsblätter und
sonstige Veröffentlichungsformen können kraft der Überwachungs-
gewalt dem Unterworfenen als ausreichende Mittel der Kundgabe auf-
erlegt werden.
Die Wirkung ist nicht, daſs er durch die Versäumnis, sich mit
diesen Veröffentlichungen bekannt zu machen, eine Pflichtverletzung
begeht, für welche er zur Verantwortung gezogen werden könnte;
sondern sie besteht darin, daſs die Kundgabe alsdann trotz seiner
Unkenntnis als gehörig geschehen betrachtet wird und er
haftbar ist für die Nichtbefolgung des kundgegebenen Befehls 14.
Die veröffentlichten Generalverfügungen sind auf die Dauer be-
rechnet und wirken bis zu ihrer Wiederaufhebung auf alle, die künftig-
13
14 Vgl. oben § 8 Note 15.
13 mehr, sondern ist frei auch ohne gesetzliche Grundlage, und wenn er das ist, wirkt
er verbindlich mit der Kraft der obrigkeitlichen Gewalt, von selbst, ohne weiteres.
Das mag man einen Rechtsgrundsatz nennen, aber unter Rechtssatz verstehen wir
etwas anderes. — In gleicher Weise möchten wir auch den Begriff des Rechts-
geschäftes nicht anwenden lassen auf die Unterwerfung, welche in der thatsäch-
lichen Inanspruchnahme solcher besonderer Einrichtungen liegt. Der Zusatz „rechts-
geschäftliche“ Unterwerfung, den Haenel macht, ist eine überflüssige Verstärkung.
Es kann sich diese Unterwerfung mit dem gleichzeitigen Abschluſs eines Rechts-
geschäftes verbinden: mit einem Mietvertrag z. B., wenn man die Benützung der
öffentlichen Niederlage (Zollges. § 97 ff.) als einen solchen auffaſst; oder mit einem
Frachtvertrag (Begleitscheinregulativ § 31 Abs. 2, Centr.Bl. 1888 S. 508). Aber
das sind wieder Dinge für sich, die ebensogut fehlen können. Das Niederlage-
regulativ § 1 (Centr.Bl. § 551) bestimmt z. B., daſs seine Vorschriften gelten
für „jeden, welcher die Niederlage betritt“. Was wäre das für ein Rechts-
geschäft?
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |