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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 31. Die Finanzstrafe.

2. Das gilt alles vom Finanzdelikt im allgemeinen, auch vom
einfachen Finanzdelikt, von der blossen Ordnungswidrigkeit. Die
Hinterziehung ist nun aber ein ausgezeichnetes Finanzdelikt, aus-
gezeichnet durch schwerere Strafen und manchmal noch besondere
Straffolgen. Dem entsprechend hat auch sein Thatbestand besondere
Merkmale. Worin bestehen die11?

Der Kern des Begriffs liegt offenbar in der Wirkung, welche das
strafbare Verhalten auf die Staatseinnahmen zu äussern geeignet ist:
das Unternehmen muss diese unmittelbar mit Nachteil bedrohen;
wenn es gelingt, ist die Verkürzung da. Den Gegensatz dazu bieten
solche Unternehmungen, welche bloss die Überwachung erschweren,
günstige Voraussetzungen für eine wirkliche Benachteiligung der
Finanzen schaffen, aber diese auch im Falle des Gelingens zunächst
noch nicht selbst bewirken. Die letzteren sind der Gegenstand der
Ordnungsstrafe. Hinterziehung wäre also ein auf Verkürzung
der Staatseinnahmen sich richtendes Verhalten
12.

schlossen würde, dass jemand irrtümlich andere Stempelmarken für Wechsel-
stempelmarken hielt und verwendete; denn: "es ist ein allgemeiner in der Natur
fiskalischer Abgabengesetze liegender Grundsatz, dass die Strafbarkeit weder dolus
noch culpa voraussetzt". -- Daraus sieht man wieder, wie wenig auf die Begriffs-
bestimmungen und Grundsatzformulierungen der Gerichte zu geben ist: sie sind
immer der zu begründenden Entscheidung angepasst.
11 Die Gesetze drücken sich sehr unbeholfen aus. Das Zollges., das für die
Rechtsbegriffe und die Rechtssprache der Reichssteuergesetzgebung führend geworden
ist, sagt in § 135: "Wer es unternimmt, die Ein- und Ausgangsabgaben zu hinter-
ziehen, macht sich der Defraudation schuldig". Ebenso Branntweinsteuerges. v.
1887 § 17. Hierin liegt also die Erklärung, dass bei der Hinterziehung der blosse
Versuch ("es unternimmt") schon das Vergehen darstellt, und dass man deshalb
statt des Wortes "Hinterziehung", welches den eingetretenen Erfolg voraussetzen
könnte, das Fremdwort Defraudation gebrauchen soll, das eben als Fremdwort den
Vorzug einer gewissen Unbestimmtheit hat; denn eigentlich ist ja Defraudation
nichts anderes als Hinterziehung. Bei den Schriftstellern werden die beiden Aus-
drücke bald einfach als gleichbedeutend angesehen (G. Meyer, V.R. II S. 347:
"Zolldefraudation oder Hinterziehung der Zölle"); bald wieder glaubt man den
einen verwenden zu dürfen zur Begriffsbestimmung des anderen (Laband, St.R.
II S. 946: "die Zolldefraudation ist die Hinterziehung der schuldigen Zollgefälle").
Da im Sinne jener Bestimmung des Zollges. § 135 Zolldefraudation auch die ver-
suchte Hinterziehung mit umfassen soll, so wäre eigentlich eine "versuchte Zoll-
defraudation" undenkbar; gleichwohl findet sich auch dieser Ausdruck amtlich
gebraucht z. B. Begleitscheinregulativ § 37 Abs. 2 (Centr.Bl. 1888 S. 510).
12 O.L.G. München 30. Dez. 1884 (Reger V S. 440): "der Angriff auf
das Gefäll ist (mit Strafe) bedroht; es braucht keine Vermögensbeeinträchtigung
wirklich gelungen zu sein".
§ 31. Die Finanzstrafe.

2. Das gilt alles vom Finanzdelikt im allgemeinen, auch vom
einfachen Finanzdelikt, von der bloſsen Ordnungswidrigkeit. Die
Hinterziehung ist nun aber ein ausgezeichnetes Finanzdelikt, aus-
gezeichnet durch schwerere Strafen und manchmal noch besondere
Straffolgen. Dem entsprechend hat auch sein Thatbestand besondere
Merkmale. Worin bestehen die11?

Der Kern des Begriffs liegt offenbar in der Wirkung, welche das
strafbare Verhalten auf die Staatseinnahmen zu äuſsern geeignet ist:
das Unternehmen muſs diese unmittelbar mit Nachteil bedrohen;
wenn es gelingt, ist die Verkürzung da. Den Gegensatz dazu bieten
solche Unternehmungen, welche bloſs die Überwachung erschweren,
günstige Voraussetzungen für eine wirkliche Benachteiligung der
Finanzen schaffen, aber diese auch im Falle des Gelingens zunächst
noch nicht selbst bewirken. Die letzteren sind der Gegenstand der
Ordnungsstrafe. Hinterziehung wäre also ein auf Verkürzung
der Staatseinnahmen sich richtendes Verhalten
12.

schlossen würde, daſs jemand irrtümlich andere Stempelmarken für Wechsel-
stempelmarken hielt und verwendete; denn: „es ist ein allgemeiner in der Natur
fiskalischer Abgabengesetze liegender Grundsatz, daſs die Strafbarkeit weder dolus
noch culpa voraussetzt“. — Daraus sieht man wieder, wie wenig auf die Begriffs-
bestimmungen und Grundsatzformulierungen der Gerichte zu geben ist: sie sind
immer der zu begründenden Entscheidung angepaſst.
11 Die Gesetze drücken sich sehr unbeholfen aus. Das Zollges., das für die
Rechtsbegriffe und die Rechtssprache der Reichssteuergesetzgebung führend geworden
ist, sagt in § 135: „Wer es unternimmt, die Ein- und Ausgangsabgaben zu hinter-
ziehen, macht sich der Defraudation schuldig“. Ebenso Branntweinsteuerges. v.
1887 § 17. Hierin liegt also die Erklärung, daſs bei der Hinterziehung der bloſse
Versuch („es unternimmt“) schon das Vergehen darstellt, und daſs man deshalb
statt des Wortes „Hinterziehung“, welches den eingetretenen Erfolg voraussetzen
könnte, das Fremdwort Defraudation gebrauchen soll, das eben als Fremdwort den
Vorzug einer gewissen Unbestimmtheit hat; denn eigentlich ist ja Defraudation
nichts anderes als Hinterziehung. Bei den Schriftstellern werden die beiden Aus-
drücke bald einfach als gleichbedeutend angesehen (G. Meyer, V.R. II S. 347:
„Zolldefraudation oder Hinterziehung der Zölle“); bald wieder glaubt man den
einen verwenden zu dürfen zur Begriffsbestimmung des anderen (Laband, St.R.
II S. 946: „die Zolldefraudation ist die Hinterziehung der schuldigen Zollgefälle“).
Da im Sinne jener Bestimmung des Zollges. § 135 Zolldefraudation auch die ver-
suchte Hinterziehung mit umfassen soll, so wäre eigentlich eine „versuchte Zoll-
defraudation“ undenkbar; gleichwohl findet sich auch dieser Ausdruck amtlich
gebraucht z. B. Begleitscheinregulativ § 37 Abs. 2 (Centr.Bl. 1888 S. 510).
12 O.L.G. München 30. Dez. 1884 (Reger V S. 440): „der Angriff auf
das Gefäll ist (mit Strafe) bedroht; es braucht keine Vermögensbeeinträchtigung
wirklich gelungen zu sein“.
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[453/0473] § 31. Die Finanzstrafe. 2. Das gilt alles vom Finanzdelikt im allgemeinen, auch vom einfachen Finanzdelikt, von der bloſsen Ordnungswidrigkeit. Die Hinterziehung ist nun aber ein ausgezeichnetes Finanzdelikt, aus- gezeichnet durch schwerere Strafen und manchmal noch besondere Straffolgen. Dem entsprechend hat auch sein Thatbestand besondere Merkmale. Worin bestehen die 11? Der Kern des Begriffs liegt offenbar in der Wirkung, welche das strafbare Verhalten auf die Staatseinnahmen zu äuſsern geeignet ist: das Unternehmen muſs diese unmittelbar mit Nachteil bedrohen; wenn es gelingt, ist die Verkürzung da. Den Gegensatz dazu bieten solche Unternehmungen, welche bloſs die Überwachung erschweren, günstige Voraussetzungen für eine wirkliche Benachteiligung der Finanzen schaffen, aber diese auch im Falle des Gelingens zunächst noch nicht selbst bewirken. Die letzteren sind der Gegenstand der Ordnungsstrafe. Hinterziehung wäre also ein auf Verkürzung der Staatseinnahmen sich richtendes Verhalten 12. 10 11 Die Gesetze drücken sich sehr unbeholfen aus. Das Zollges., das für die Rechtsbegriffe und die Rechtssprache der Reichssteuergesetzgebung führend geworden ist, sagt in § 135: „Wer es unternimmt, die Ein- und Ausgangsabgaben zu hinter- ziehen, macht sich der Defraudation schuldig“. Ebenso Branntweinsteuerges. v. 1887 § 17. Hierin liegt also die Erklärung, daſs bei der Hinterziehung der bloſse Versuch („es unternimmt“) schon das Vergehen darstellt, und daſs man deshalb statt des Wortes „Hinterziehung“, welches den eingetretenen Erfolg voraussetzen könnte, das Fremdwort Defraudation gebrauchen soll, das eben als Fremdwort den Vorzug einer gewissen Unbestimmtheit hat; denn eigentlich ist ja Defraudation nichts anderes als Hinterziehung. Bei den Schriftstellern werden die beiden Aus- drücke bald einfach als gleichbedeutend angesehen (G. Meyer, V.R. II S. 347: „Zolldefraudation oder Hinterziehung der Zölle“); bald wieder glaubt man den einen verwenden zu dürfen zur Begriffsbestimmung des anderen (Laband, St.R. II S. 946: „die Zolldefraudation ist die Hinterziehung der schuldigen Zollgefälle“). Da im Sinne jener Bestimmung des Zollges. § 135 Zolldefraudation auch die ver- suchte Hinterziehung mit umfassen soll, so wäre eigentlich eine „versuchte Zoll- defraudation“ undenkbar; gleichwohl findet sich auch dieser Ausdruck amtlich gebraucht z. B. Begleitscheinregulativ § 37 Abs. 2 (Centr.Bl. 1888 S. 510). 12 O.L.G. München 30. Dez. 1884 (Reger V S. 440): „der Angriff auf das Gefäll ist (mit Strafe) bedroht; es braucht keine Vermögensbeeinträchtigung wirklich gelungen zu sein“. 10 schlossen würde, daſs jemand irrtümlich andere Stempelmarken für Wechsel- stempelmarken hielt und verwendete; denn: „es ist ein allgemeiner in der Natur fiskalischer Abgabengesetze liegender Grundsatz, daſs die Strafbarkeit weder dolus noch culpa voraussetzt“. — Daraus sieht man wieder, wie wenig auf die Begriffs- bestimmungen und Grundsatzformulierungen der Gerichte zu geben ist: sie sind immer der zu begründenden Entscheidung angepaſst.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/473>, abgerufen am 23.12.2024.